Kapitel 5: Wie wäre es mit dem Bus?

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"Wo ist dieses verdammte Blatt nur hin?" 

Nachdem ich mich in der Mathestunde wieder setzen konnte, bemerkte ich, dass mir das Blatt mit der Zeichnung von Dexter auf der Rückseite fehlte.  Anfangs dachte ich, dass es auf den Boden gefallen ist, doch ich fand es nirgends. Jetzt stand ich also vor meinem Spind und durchwühlte alle meine Sachen, fand jedoch nichts. Als ich Gelächter hörte, welches definitiv einer Jungsgruppe gehörte, stoppte ich mit dem was ich gerade tat und drehte mich zu ihnen um. 

Die 3 Typen aus meinem Mathekurs wedelten vor noch anderen Typen sehr unauffällig mit einem Blatt herum. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich, dass es mein gesuchtes Blatt, mit der Zeichnung drauf, war. Augenverdrehend machte ich mich auf den Weg zu ihnen. Warum ließ Dad diese Trottel bei uns ein und aus gehen? So wie sie durch den Gang gröhlten, hatten sie mich noch nicht bemerkt und ich konnte ihrem Gespräch folgen.

"Du hättest die Wiedersehenszeremonie gestern sehen sollen, alter. Der Trainer lässt einfach alles stehen und liegen, damit die Tussi ihm um den Hals fallen konnte. Hab den Trainer noch nie so gesehen", hörte ich Devin, den Typ der mit meinem Vater im Ring stand, sagen. Ohne lange nachzudenken wusste ich, dass ich die Tussi bin von der sie sprachen.

"Ich frag mich immer noch wie man sich so 'nen Köter anschaffen kann. Der ist jetzt schon 2 Jahre lang beim Trainer und hört auf niemanden von uns. Haut einfach ab wenn es ihm passt und dann kommt die, pfeift einmal und der Köter kommt sofort angedackelt" Wieder verdrehte ich die Augen. Die sind so frauenfeindlich, nur weil Dexter auf mich hört und nicht auf sie. Ich lehnte mich gegen den Spind hinter mir und hörte ihnen weiter zu. Ich fand das richtig amüsant und wir hatten gerade Pause also hatte ich noch etwas Zeit bevor ich wieder in den Unterricht musste.

"Die Kleine scheint den Köter zu mögen, sonst würde die ihn nicht abkritzeln. Die wird uns noch irgendwann mächtig Ärger bescheren, das versprech' ich euch. Das Weib wird uns für jeden Scheiß bei Daddy verpfeifen" Ich hatte jetzt doch genug gehört, ich musste auch mal ein Machtwort sprechen, immerhin ging es gerade um mich.

"Die Tussi hätte gerne ihre Sachen wieder" Wie auf Kommando drehte sich die Horde um und blickte mich mit großen Augen an. Aramis, der dunkelhäutige Typ, kratzte sich am Hinterkopf.

"Wie viel hast du mitgehört?" Ich drückte mich von dem Spind ab und riss Jonah, dem blonden, blauäugigen Typen, das Blatt aus der Hand.

"Genug um zu wissen, dass Weiber bei euch nicht willkommen sind. Vor allem nicht, wenn sie mit eurem Trainer verwandt sich und auf eure Schule gehen. Falls es euch interessiert, es war die Idee meines Vaters, dass ich hier hin ziehe" Ich strich das Blatt glatt und verstaute es in meiner Tasche.

"Das war die Idee des Trainers?" Ich nickte.

"Und was das Verpfeifen angeht, darum müsst ihr euch keine Sorgen machen. Mich interessiert es nicht und ich bin keine Klatschtante. Das hab' ich schon eurem Kumpel Seth erzählt" 

Mit diesen Worten ging ich meines Weges und ließ einen Haufen verdutzter und wahrscheinlich auch überforderter Vollidioten zurück.

"So, du gehst jetzt hoch und machst deine Hausaufgaben, danach kommst du zu mir ins Büro. Wir müssen noch etwas besprechen" Vor der Eingangshalle drehte ich mich zu Dad um, sodass er ruckartig abbremsen musste um mich nicht umzustoßen.

"Was müssen wir denn besprechen?" Er beugte sich etwas über mich um die Tür zu öffnen und ließ mich dann vorgehen.

"Musst du so neugierig sein? Du erfährst es noch früh genug, nämlich nachdem du deine Hausaufgaben gemacht hast" Bevor ich ihn mit weiteren nervenaufreibenden Fragen durchlöchern konnte, schob er mich durch die Doppelflügeltür in die Halle.

"Hey Simon. Ist das etwa Ally?" Ein Mann, im Alter meines Vaters, der mir auch bekannt vor kam, kam auf uns zu und begrüßte meinen Dad mit einem lässigen Handschlag.

"Ally, das ist mein alter Kumpel Richard, du erinnerst dich? Er arbeitet mit mir hier" Mir ging ein Licht auf. Vor mir stand der beste Freund meines Vaters seit der High School. Wir reichten uns die Hand, wobei er mich von oben bis unten musterte.

"Was ist mit dem kleinen Mädchen passiert, das immer Zöpfchen und rosa Kleidchen trug?", lachte er.

"Glaub mir Rick. Das hab' ich mich gestern auch gefragt" Ich ließ die Beiden in Erinnerung schwelgen und machte mich, in der Wohnung, an meine Hausaufgaben. Schnell beendigte ich diese und ging wieder, wie abgemacht, runter in die Halle. Mein Dad stand gerade mit Devin im Ring und da ich kein Spielverderber war, suchte ich währenddessen nach meinem Hund. Ich fand ihn schließlich hinten in der Halle, bei den Sofas, alle 4 Pfoten von sich gestreckt, da jemand ihm den Bauch kraulte.

"Bist ein lieber Hund. Ein ganz braver Hund" Diese Stimme klingt wesentlich jünger als die der anderen Jungs hier. Einige von ihnen saßen auf den Sofas und beobachteten den Jungen amüsiert, als ich jedoch näher kam, begannen sie zu tuscheln. Diese Jungs sind schlimmer als jedes, mir bekannte, Mädchen. Ich ging vor dem Jungen in die Hocke.

"Ich glaube, du bist der einzige hier, der Dexter nicht als Köter bezeichnet" Erschrocken sah der Junge auf. Er war lateinamerikanischer Abstammung, hatte dunkles lockiges Haar, große, braune Rehaugen und ist ungefähr 13 Jahre alt. Auch er musterte mich.

 "Ich wollte dir deinen Hund nicht wegnehmen, falls du das glaubst." Ich lächelte.

"Ist okay, du spielst ja nur mit ihm. Manchmal brauch er das." Der Junge reichte mir, über Dexter hinweg, seine Hand, die ich auch ergriff.

"Ich bin Alejandro, du kannst mich aber Alex nennen."

"Allison. Nenn mich einfach Ally" Ich wollte noch weiter reden doch mein Dad bedeutete mir, dass ich ihm in sein Büro folgen sollte. Ich verabschiedete mich von Alex und folgte dann meinem Vater. Ich setzte mich ihm gegenüber.

"Ich wollte mit dir darüber sprechen, wie du in die Schule kommst. Ich muss morgens zu Terminen fahren, da kann ich dich nicht immer mitnehmen, verstehst du? Ich wollte dir deswegen ein eigenes Auto kaufen"

"Dafür müsste man aber einen Führerschein haben" Verwirrt blickte er mich an.

"In Europa macht man den Führerschein erst mit 18", klärte ich ihn auf.

"Dann haben wir ein Problem"

"Wie wäre es mit dem Bus?"

"Ich lasse dich sicher nicht in dieser Gegend und nachdem was passiert ist mit dem Bus fahren" Ich blickte stumm auf meine vernarbten Hände und nickte. Plötzlich sprang er auf und als ich merkte, was er vorhatte und ihn daran hindern wollte, war es schon zu spät.

"Tut einer von euch mir den Gefallen und fährt meine Tochter zur Schule?"

Scars of the pastWhere stories live. Discover now