Kapitel 2: Verdammt, bist du gewachsen!

1.3K 45 0
                                    

Wie in meiner Erinnerung kam man nicht sofort in den Hauptraum der Halle, sondern in einen kleinen Vorraum, der in viele kleine Räume und eben in den Hauptraum führte. Ich stellte meinen Koffer hier ab, da es mir schon ziemlich auf die Nerven ging, ihn hinter mir her zu ziehen. Die Wände klebten voll mit Plakaten, auf denen Sportler aller möglichen Sportarten abgebildet waren. 

Ich hielt mich nicht länger hier auf sondern schritt auf die große Doppelflügeltür zu. Ich öffnete die Tür gerade mal so weit, dass Dexer und ich ungehindert hindurchschlüpfen konnten. Ich wollte gerade so wenig Aufmerksamkeit wie möglich. Das gerade vor der Tür hatte mir gereicht. Kaum in der Halle angekommen, staunte ich nicht schlecht. Inmitten des Raumes stand ein großer Boxring, überall verteilt standen Boxsäcke. 

Ganz hinten in der Halle konnte ich viele Sofas und eine Musikanlage, aus der irgend ein Techno-Scheiß dröhnte, erblicken. Was mir jedoch fast den Atem raubte, war, dass an fast jedem Boxsack ein Typ stand und ich dadurch, dass sie oberkörperfrei waren, eine gute Sicht auf ihren bemerkenswert trainierten Körper hatte. Ich löste jedoch schnell meinen Blick von ihnen und suchte meinen Vater.

Ich fand ihn auch ziemlich schnell. Er stand mit noch so einem oberkörperfreien Typen im Ring und dieser schlug auf die kissenähnlichen Handschuhe meines Dads ein. Pötzlich fing Dexter, neben mir, an zu bellen, sodass mein Vater den Kopf in unsere Richtung wandte. Als er mich sah, lächelte er, flüsterte dem Typen etwas zu und zog die Handschuhe aus. Er stieg aus dem Ring und kam lässig in meine Richtung. Auf halbem Wege rannte ich auf ihn zu. 

Mir war in dem Moment ganz egal, wer uns sah oder nicht. Ich sprang in Dads Arme und er wirbelte mich umher. Dexter sprang um uns herum und bellte, sodass sich nun jeder zu uns umdrehte.

"Verdammt, bist du gewachsen!" Der Stolz in seiner Stimme war nicht zu überhören, als er mich musterte.

"Ich habe dich vermisst, Dad", flüsterte ich und drückte mein Gesicht an seine Brust.

"Ich dich doch auch" Sanft strich er mir über den Rücken. So standen wir einige Sekunden bis ich mich wieder von ihm löste. Er betrachtete mich noch mal eingehend und nahm meine Hände in die seine. Auch diese musterte er genaustens.

"Du trägst keine Verbände mehr", stellte er fest.

"Ein halbes Jahr Physiotherapie und sie waren so gut wie neu" Dad ließ meine Hände los und seufzte.

"Komm, ich zeige dir dein Zimmer"

"Es ist okay, Dad. Geh wieder zu den Jungs und mach da weiter, wo du aufgehört hast. Ich finde mich schon zurecht. Ist mein Zimmer noch das Gleiche, wie vor 12 Jahren?"

"Das weißt du noch?" Ich nickte, was ihm ein Lächeln entlockte.

"Ja ist es" Mit diesen Worten kletterte er wieder in den Ring und zog sich diese Handschuhe an. Die anderen Jungs boxten auch wieder weiter, doch ich fühlte mich trotzdem beobachtet. Ich ging wieder zurück zu dem kleinen Vorraum, wo ich meinen Koffer stehen gelassen hatte. Gerade als ich ihn mir schnappen wollte, kamen die beiden Trottel von eben wieder rein. Der Dunkelhäutige nickte mir kurz zu und verschwand dann in der Halle, der andere blieb jedoch bei mir stehen und kratzte sich unschlüssig am Hinterkopf. Dexter, der ihn wohl nicht leiden konnte, sprang um ihn herum und kläffte ihn an.

"Dexter aus!", befahl ich ihm. Mit eingezogenem Schwanz kam er zu mir. 

Ich ging in die Hocke und streichelte ihn damit er nicht auf dumme Gedanken kam. Erwartungsvoll blickte ich nun den Kerl vor mir an.

"Ehm... eigentlich wollte ich mich für eben entschuldigen. Das war nicht gerade die beste Begrüßung" 

Verlegen schaute der große, stark gebaute Kerl vor mir auf den Boden. Ich richtete mich wieder auf ging jedoch einen Schritt von ihm weg um auf Abstand zu gehen.

"Du musst dich nicht bei mir entschuldigen, weil du jetzt weißt, dass ich die Tochter des Trainers bin."

"Du erzählst ihm aber nichts von diesem Vorfall, oder?" Darauf war er also aus.

"Ich weiß ja nicht mit welchen 'Weibern' du es sonst zu tun hast, aber ich bin keine Klatschtante" Er wirkte ziemlich erleichtert.

"Danke. Übrigens, mein Name ist Seth"

"Allison. Du kannst mich jedoch Ally nennen." Ich schnappte mir meinen Koffer und ging wieder in die Halle. Seth schlenderte derweil neben mir her.

Unsere Wege trennten sich bei der Feuertreppe, die ich hochgehen müsste um die Wohnung zu erreichen, er ging weiter zu der Sofagruppe, wo die andern ihn auch schon grölend in Empfang nahmen, als wäre er Jahre und nicht Minuten weg gewesen. Ich verdrehte die Augen. Männer! Ich griff mir den schweren Koffer und trug ihn die Treppe hoch und versuchte nicht schlapp zumachen und mich damit vor den Jungs zum Affen zu machen. In der Wohnung angekommen musste ich nochmal eine Treppe hochsteigen bis ich schließlich vor meiner Zimmertür stand. In der Hoffnung, dass die Wände nicht mehr pink waren, öffnete ich die Tür. 

Das Zimmer war in einem warmen Orange-Ton gestrichen, die Möbel dazu waren weiß. An der Wand war ein kleines Fenster mit Sicht zu der Halle. An einer anderen Wand stapelten sich Kartons, die ich schon vor einer Woche hier hin geschickt hatte. Langsam fing ich an alles auszuräumen. Meine Kleider, Schuhe, Bilder von mir und meinen Freundinnen aus Frankreich und meine Zeichnungen. Ich war die meiste Zeit am Zeichnen, da es meine größte Leidenschaft war.

Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett fallen und sah auf meine Uhr. 21 Uhr. Der Jetlag machte mir zu schaffen. Trotzdem raffte ich mich nochmal auf um mir die Wohnung genauer anzusehen. Gegenüber war das Bad. Was mir vorhin schon aufgefallen war, wenn man die Wohnung betrat, stand man sofort im Wohnzimmer. Dieses hatte eine einfache, aber große, schwarze Couch, gegenüber ein Flachbildfernseher, der, wie ich sah, an vielen Spielekonsolen angeschlossen war. 

Nicht zu vergessen die komplette Wand aus Fensterglas, durch die man die ganze Halle überblicken konnte. In der Küche gab es diese ebenfalls. Die Küche war ziemlich modern und es gab einen Tresen mit Barhockern, der dieser Küche ein gemütliches Flair übermittelte. Alles in einem sah die Wohnung ziemlich junggesellenhaft aus. Ich durchsuchte die Schränke nach Kamillentee und fand ihn schließlich. Ich ließ das Wasser kochen. Ich setzte mich mit meiner Tasse Tee an den Tresen und wenig später kam mein Vater hinzu.

"Ich gehe schlafen", erklärte ich ihm während ich meine Tasse in die Spülmaschine stellte.

"Ist schon okay. Die Jungs werden wohl oder übel noch eine Weile hier bleiben. Ich hoffe es stört dich nicht" Ich schüttelte den Kopf. Ich war viel zu müde um mich darüber aufzuregen. Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare und ging in mein Zimmer. Ich zog mir meine Schlafsachen, die aus einer Jogginghose und einem Top bestehen, an und legte mich ins Bett. Ich hörte noch, wie Dexter in sein Körbchen huschte, bevor mir endgültig die Augen zufielen.

Scars of the pastWhere stories live. Discover now