Kapitel 18: Ally, so kann das nicht weitergehen

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Genervt stöhnte ich auf und saß aufrecht in meinem Bett. Ich konnte einfach nicht schlafen und das hatte mal nichts mit meinen Alpträumen zu tun. Daran war ganz allein Jonah schuld. Vielleicht auch die andern Jungs, da sie immer noch in der Halle waren und ihre laute Musik meine Ohren praktisch vergewaltigte. Aber hauptsächlich Jonah. Ich fuhr mir seufzend durch mein Haar. Warum mussten Jungs so kompliziert sein? Ich blickte auf meinen Wecker. 3 Uhr morgens. Erschöpft ließ ich mich wieder in mein Kissen fallen und blickte an die Decke.

Wie konnten sie so lange wach bleiben und am nächsten Tag so fit aussehen, während ich meine Augenringe wegschminken musste und man sie trotzdem noch sah? Ich schloss die Augen und versuchte wieder einzuschlafen. Was mir nicht gelang. Immer wieder sah ich Jonah vor mir oder spürte seine Lippen auf meinen. Das Schlimmste daran war allerdings, dass ich mich fragte ob ich ihn erwidert hätte wenn er mir mehr Zeit gegeben hätte.

Ich hatte mich doch nicht etwa in ihn verknallt? Das konnte einfach nicht sein. Jonah war, genau wie die andern, ein Vollidiot. Ich wette, ihm hatte der Kuss nicht mal etwas bedeutet auch wenn er seinerseits kam. Er meinte ja, dass er es nur tat damit ich die Klappe hielt. Die Musik wurde ausgeschaltet und ich atmete erleichtert aus. Endlich! Wie konnten sie nur freiwillig solche Musik hören.

Wenige Minuten später verebbten auch die Stimmen und ich hörte die Autos davonbrausen. Mittlerweile waren es viertel nach 3 und ich befürchtete, dass aus dem Schlaf nichts mehr werden würde. Ich rappelte mich also wieder auf und ging ins Wohnzimmer. Dad war noch immer unten in seinem Büro. Er machte echt viel für diese Jungs, dass er immer bis in den frühen Morgenstunden wach blieb und arbeitete. Ich könnte das nicht.

An seiner Stelle hätte ich sie schon lange rausgeschmissen und wäre ins Bett gegangen. Ich stellte mich an die Staffelei und malte an dem Bild weiter an dem ich gearbeitet hatte, bevor Josh mich unterbrochen hatte. Ich tauchte den Pinsel in die rosa Farbe, die ich mir gerade selbst gemischt hatte und tupfte mit dem Pinsel quer über die Leinwand. Das Malen faszinierte und beruhigte mich einfach.

Konzentriert setzte ich einen Punkt nach dem andern auf die Leinwand, bekam aber doch mit wie sich die Tür zur Wohnung öffnete und ich die schweren Schritte meines Vaters hörte. Die Schritte kamen näher und als ich mich umdrehte stand er fast genau hinter mir.

"Ich frag' einfach gar nicht, warum du hier bist" Ich lachte kurz auf und betrachtete mein Bild. Noch konnte man nicht erkennen was es wird, da es noch nicht fertig war. Hinter mir hörte ich ein Seufzen. Dad setzte sich auf das Sofa und gab mir zu verstehen, dass ich mich zu ihm setzten sollte. Ich folgte seiner Aufforderung und saß kurze Zeit später neben ihm und blickte ihn fragend an.

"Ally, so kann das nicht weitergehen. Du schleichst nächtelang durch die Wohnung, bekommst nur um die 2 Stunden Schlaf und... Ach keine Ahnung! Ich mach' mir Sorgen um dich. Ich überlege mir gerade ob du nicht doch wieder zu einem Psychologen gehen solltest"

Er legte einen Arm um mich und zog mich zu sich. Ich wusste, dass er es nur gut meinte, doch ich wollte nicht.

"Damit du noch mehr Geld ausgeben musst? Du hast schon mein Internat bezahlt und lässt mich bei dir wohnen."

"Ally, du bist meine Tochter. Das ist das Mindeste was ich für dich tun kann. Ich will doch nur nicht, dass du dich so quälen musst. Ich seh' doch, dass du dich immer noch damit beschäftigst"

Schuldbewusst sah ich zu Boden. Ich wollte nicht, dass er sich zu viele Sorgen machen musste.

"Ich hab' schon mal mit einem Psychologen gesprochen. Mehrere Male und es half trotzdem nicht. Ich möchte es auch nicht noch mal versuchen"

Er nickte verständnisvoll und wir blickten zusammen auf den Fernseher, der ausgeschaltet war. Nach einer Weile konnte Dad ein Gähnen nicht mehr unterdrücken. Er schaute auf die Uhr.

"Halb 5. Ich weiß echt nicht, wie du das aushältst. Ich geh' jetzt schlafen. Denk dran, dass du heute Schule hast" Ich nickte.

"Schlaf gut" Ich ging wieder zu meinem Bild und mischte eine dunkelbraune Farbe. Präzise fuhr ich eine Linie und noch eine und noch eine. Ich mischte ein helleres Braun und malte noch verschiedene Einzelheiten. Ich trat zurück und betrachtete zufrieden mein Werk. Unser Kirschbaum, der im Garten stand, mit seinen rosa Kirschblüten und der kleinen Bank davor. Ich blickte auf meine Armbanduhr. 6 Uhr.

Ich ging wieder hoch in mein Zimmer und suchte mir meine Kleidung aus dem Schrank. Damit ging ich ins Bad und stellte mich unter die Dusche. Danach trocknete ich mich ab und zog mich an. Vor meinem Spiegelbild erschrak ich. Das hatte Jonah also gemeint.

Die Augenringe konnte man wirklich nicht übersehen. Ich wühlte in einigen Schubladen bis ich gefunden hatte, was ich suchte. Einen Augenring-Abdeckstift. Ich trug ein wenig davon auf und schminkte mich dann wie ich es sonst auch immer tat. Ich kämmte noch meine Haare. Die Augenringe sah man nur noch wenn man wusste, dass sie vorhanden waren. Die, die mich nicht kannten, würden sie nicht sehen. Ich trank in der Küche noch schnell eine Tasse Kaffee, bevor ich meine Tasche schnappte und mich auf den Weg zum Parkplatz machte. Auf den Weg zu Jonah.


Scars of the pastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt