Du meinst also, dass ein guter Mensch handelt?

Dann sind wir also alle keine guten Menschen mehr.

Romy sah sich um. Die Anhänger der Fledermaus hatten sich in einer Art Kreis um sie herum positioniert. Veronika saß neben Emilia auf dem Boden, die ihren Fuß in der Hand hielt und langsam vor und zurück wippte. Tino und Kelly standen Hand in Hand nebeneinander. Alan stand in der Nähe der Tür. Er stand ganz normal da, aber irgendetwas störte sie an ihm. Er war nicht mehr angespannt, bereit loszurennen, bereit zur Flucht. Er hatte seinen Kampfgeist draußen gelassen. Während die Fledermaus unruhig auf und ab ging, stand Michael wenige Meter neben ihr einfach nur da. Erstarrt.

Warum handelt denn niemand?

Haben wir alle aufgegeben?

Irgendwann muss jeder aufgeben. Du hast das eben früher als die anderen getan.

Ist das so?

Die Waffe glänzte so schön im Licht der Lampen. Wie kann etwas Gefährliches so schön aussehen?

„Mit wem fangen wir an? Der Krüppel zuerst?", er lachte wieder und betrachtete sie sorgfältig. Emilia heulte auf. „Komm schon. Bei dir ist es am wenigsten schlimm. Ich erlöse dich von deinen Schmerzen."

„Nein!", schrie Veronika, stand auf und stellte sich schützend vor sie.

„Ich mag es nicht, wenn man mir widerspricht", klärte er sie auf. „Komm zu mir."

Sie rührte sich nicht.

„Komm her, Veronika Birnbaum. Ich allein habe in der Hand, wie viele Sekunden dein jämmerliches Leben jetzt noch andauert."

Sie ging los. Schritt für Schritt dem Lauf der Pistole entgegen.

Es hatte lange gedauert, aber jetzt wurde Romy endlich klar, wie bitter ernst die Fledermaus es meinte. Wie leer seine Seele, wie abgestorben sein Herz und wie verzweifelt sein Wunsch nach Anerkennung war. Nach dem Leben aus seinen Vorstellungen.

Vorhin noch im Raum mit dem Kessel hatte sie sich ihm überlegen gefühlt. Sie hatte Emilias Angst nicht nachvollziehen können. Sie hatte geglaubt, nach dem Ritual hätten sie einfach wieder gehen können und alles wäre gut geworden.

Es war kein Schuljungenscherz mehr. Kein Spiel: Wer trägt am schnellsten alle Medaillen zusammen? Es war der gefährlichste Balanceakt auf dem Drahtseil zwischen Leben und Tod geworden, den sie sich vorstellen konnte.

Bin ich ein guter Mensch?

Veronika ist ein guter Mensch.

Sie hat widersprochen.

Zeichnet die Kraft zum Widerspruch einen guten Menschen aus?

Ein Mensch ist nichts ohne seine Gefühle.

War ich mal ein guter Mensch?

Irgendetwas muss gut an mir sein.

Emilia. Alan. Veronika.

Irgendetwas hatte ich an mir, dass diese Menschen mir vertrauen.

Emilia hat mir zugehört. Sie war für mich da. Ausnahmslos. Sie hat an mich geglaubt. Bis zum Ende. Auch als die Männer in der Rosengasse versucht haben, ihr Lügen über mich zu unterbreiten. In den letzten Tagen und Stunden hat sich etwas in die zarten Ritzen unserer Freundschaft geschoben, aber daran bin allein ich schuld. Sie hat mich nicht aufgegeben. Das würde sie niemals tun.

Alan hat wegen mir Olympia geschaut. Er saß wegen mir im Schnee auf dem Spielplatz. Aus irgendeinem unverständlichen Grund war es ihm wichtig, dass ich ihm vertraue. Er hat mir seine gesamte Lebensgeschichte erzählt. Alan vertraut mir.

MedaillenblutWhere stories live. Discover now