34. Kapitel

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„Romy", flüsterte Veronika und sie sah zu ihr herüber. Emilias rechter Arm hing verkrampft über ihrer Schulter.

„Was ist?"

„Romy", wiederholte sie. „Romy, ich vertraue dir. Du bist ein guter Mensch."

„Fräulein Birnbaum!", schrie die Fledermaus in diesem Moment plötzlich auf. Er hatte sie wiedererkannt. „Was machst du denn hier?" Vor dem du machte er für den Bruchteil einer Sekunde eine Pause, so als hätte er sich kurz überlegt, sie zu siezen, sich aber blitzschnell dagegen entschieden.

Ich bin ein guter Mensch?

Aber ein guter Mensch muss doch fühlen können, oder? Ich habe meine Gefühle verloren.

Bin ich ein guter Mensch?

Was macht einen guten Menschen überhaupt aus?

Während die Fledermaus Fragen in die Nacht bohrte und Veronika knappe Auskünfte gab, wurden sie zurück in die Halle geführt. Er begann wieder zu verkünden, was für ein großartiger Mann er jetzt war, und sang regelrechte Lobeshymnen auf sich selbst.

Machen Gefühle einen guten Menschen aus?

Heißt das, ich bin ein schlechter Mensch?

Ich möchte kein schlechter Mensch sein.

Ein guter Mensch handelt. Ein guter Mensch lässt sich nicht wie eine Marionette behandeln.

Ein guter Mensch kämpft. Für seine Überzeugung.

Er ist seiner Überzeugung treu. Er ist sich selbst treu.

Stimmt das?

„Ich spüre noch nichts. Ich dachte, ich spüre eine deutliche Veränderung nach dem Ritual."

„Das kommt noch. Das passiert nicht auf einen Schlag", versuchte es Tino mit beruhigender Stimme.

Warum sagten sie ihm nicht einfach, dass er sein Leben auf einer Lüge aufgebaut hatte? Es wäre doch nie so weit gekommen, wenn sie ihm das sofort klargemacht hätten.

Sie hatten Angst. Ganz einfach. Sie wollten ihn hinhalten, hofften auf ein Wunder. Sie hatten Angst vor seiner Reaktion, wenn er die Wahrheit erführe. Eine Lüge aufrecht zu erhalten war einfacher, als der Wahrheit ins Gesicht zu sehen.

„Es darf niemand wissen, wie das Ganze hier vonstatten gegangen ist", überlegte er jetzt. „Jeder einzelne von euch würde sofort zur Polizei rennen, wenn er die Möglichkeit dazu hätte."

Die Tür wurde verrammelt. Sie fiel mit einem entschiedenen Knall ins Schloss, der jedem Anwesenden sofort klarmachte, dass sie in der Falle saßen.

„Ich habe etwas für euch", sagte die Fledermaus jetzt. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Es wurde immer breiter und Romy wünschte sich nichts sehnlicher, als dass es nicht zu einem Lachen werden würde. Ihr Wunsch wurde mit Füßen getreten, denn als er seine Hand in die Innentasche seines Mantels steckte und etwas hervorholte, brach das kranke Lachen wieder aus ihm heraus.

Klein. Silbern.

Der Stoff, aus dem Alpträume gemacht werden.

So geschmeidig. So schön.

Tödlich.

Untermalt mit der Irrsinnsmelodie des Lachens.

„Ich muss das hier jetzt leider für euch beenden. Für euch sieben. Ihr versteht bestimmt, dass ich es nicht verantworten kann, Mitwisser am Leben zu lassen."

MedaillenblutWhere stories live. Discover now