2.Kapitel

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Die Polizeistation kam ihr unwirklich vor. Zu voll. Zu sauber. Zu weiß.

Sie hatte sich widerstandslos mitnehmen lassen und auf der ganzen Fahrt hierher geschwiegen. Jetzt hatte sie sich auf einen Stuhl setzen müssen und wurde von zwei Polizisten, einem Mann und einer Frau gemustert.

„Okay, wie heißt du?", fragte die Frau, die sich hinter einen Schreibtisch gesetzt hatte.

„Romy Lindner", sagte sie tonlos.

Die Frau tippte etwas in ihren Computer ein.

„Vater Michael Lindner?" Romy nickte.

„Mutter Eliza Lindner..." Auch wenn es diesmal keine Frage war, nickte sie wieder.

„Oh", machte die Polizistin „Sie ist gerade... gestorben."

Nette Umschreibung dachte Romy mürrisch. Wie taktvoll.

Der Mann beugte sich ebenfalls über den Computer. „Darf ich dir nochmal mein aufrichtiges Beileid aussprechen? Wir tun unser Bestes, um den Mord aufzuklären, okay?" Wieder nickte Romy. „Aber erzähl uns doch jetzt mal bitte, was du um diese Uhrzeit bei der Fabrik gemacht hast. Das ist gefährlich und verboten noch dazu, das weißt du?"

Romy wog ihre Möglichkeiten ab. Wenn sie die Wahrheit sagte, dann musste sie auch die Sache mit Emilia erklären und sie hatte wirklich keine Lust, dass die Polizisten behaupteten, sie würden sich um alles kümmern und hätten alles im Griff.

Ihre Mutter war seit etwa einem Monat tot und Emilia seit einer Woche verschwunden und nichts war seitdem passiert.

„Ich war mal wieder sehr einsam und ich hab es zu Hause nicht mehr ausgehalten. Ich bin losgelaufen und unbewusst zur Fabrik gekommen. Ich war so neugierig und hatte Lust, etwas Verbotenes zu machen. Ich weiß, das war dumm. Es tut mir leid." Himmel, seit wann fiel es ihr so leicht, zu lügen?

Die Polizisten sahen sich an.

„Okay", begann der Mann „Mach das einfach nicht nochmal. Das war leichtsinnig. Brauchst du eventuell irgendwelche Hilfe, um mit deinem Verlust klar zukommen?"

Romy schüttelte den Kopf.

„Dann rufen wir jetzt deinen Vater an, damit er dich abholt, ja?"

„Bitte nicht. Er hat es momentan auch nicht leicht und wird schon schlafen. Ich komme allein nach Hause."

Wieder sahen sich die Polizisten an.

„Wir fahren dich, in Ordnung?"

„Ja", sie hatte keine andere Wahl, also stand sie auf und folgte den beiden.

Hatten sie eigentlich Navin wegrennen sehen? Waren andere Polizisten ihm hinterher gerannt? Hatten sie ihn gekriegt? Und hatten sie die Tütchen auf dem Boden gefunden? Hatten sie sie mitgenommen? Würden sie sie untersuchen und ihre Fingerabdrücke darauf finden? Würden sie erkennen, dass sie gelogen hatte?

Romy war zu müde, um darüber nachzudenken. Sie war nur froh, dass sie nach Hause konnte und nicht die restliche Nacht hier verbringen musste.

Sie stiegen jetzt in ein Auto ein.

Dann musste Romy wieder an den Drogenboss denken und die Wut begann in ihr hochzukochen. Er war so ein Feigling. Wie konnte er sie einfach so sitzen lassen und sie das, nachdem er sie da rein geritten hatte, alleine ausbaden lassen? Seine Kumpels waren genauso schlimm. Für sie zählte nur, dass sie ihre Drogen bekamen. Alles andere war nebensächlich.

Da fiel ihr auf, dass sie nicht nur für sich gelogen hatte, sondern auch für den Drogenboss. Ihre Wut steigerte sich. Jetzt waren die alle mal wieder davongekommen, aber sie selbst war Emilia durch die ganze Aktion kein Stückchen näher gekommen.

Wo war sie nur? Ihre Wut wurde zu Ärger und dann zu Trauer. Eine vereinzelte Träne lief ihr über die Wange.

Der Wagen hielt vor ihrem Haus. Romy fragte nicht, woher sie die Adresse hatten. Die hatte ihnen bestimmt ihr allwissender Computer verraten.

„Danke fürs Bringen", murmelte Romy und stieg aus. „Ich werd's ihm jetzt gleich erzählen, okay?"

Sie zögerten, aber Romy hatte das Gefühl, dass sie mit ihr gnädiger umgingen und nicht so streng waren wie sie es bei anderen wären.

„In Ordnung. Mach's gut. Und wenn du mal Hilfe brauchst..., wir sind für dich da", verkündete der Mann. Er meinte es gut, das wusste sie, aber ihr war auch klar, dass sie sich niemals an ihn wenden würde.

Das Auto wendete und die beiden fuhren davon.

Romy war sich ziemlich sicher, dass ihr Vater in Wahrheit gar nicht zu Hause war.

MedaillenblutWhere stories live. Discover now