Das Schild neben der Tür

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Die Abendluft roch nach fremden Gewürzen und Pflanzen. Tief atmete Elionor den Geruch ein. Sie flogen über den Abendhimmel Richtung Südafrika. Viele Wolken zogen sich über den Himmel und boten somit guten Sichtschutz. Allerdings sah man immer wieder durch die Löcher einige Landstriche. So entdeckte Ferus auch die kleine Stadt, die friedlich dalag.

"Da könnten wir landen", meinte er hoffnungsvoll.
Elionor seufzte. Ferus sehnte sich noch immer nach dem Boden, denn im Gegensatz zu den anderen war er kein Drache. Sie gab nach und Lima steuerte ein Feld in der Nähe des Dorfes an.
Kurz darauf rutschte Ferus ungeschickt von Limas Rücken. Seine Beine waren vom langen fliegen steif und taten weh. Einige Minuten humpelte er durch die Gegend, bis er wieder halbwegs normal gehen konnte.

Gemeinsam mit Elionor näherte er sich der Stadt und sie schlenderten durch die Straßen. Als sie gerade eine kleine Gasse entlang gingen, blieb Elionor abrupt stehen.
"Ist was?", erkundigte sich Ferus nach dem Grund für ihr stehen bleiben und blickte sich verwirrt um.
"Da", meinte sie und zeigte auf ein Schild, das neben einer Tür angebracht war.

Langsam dämmerte er Ferus und er stellte sich neben sie. Schnell griff Elionor in ihre Tasche und zog ein Stück Papier heraus. Rasch hielt sie es neben das Schild. Fast identisch war auf beiden in schnörkeliger Handschrift KW geschrieben worden.
"Also... doch nicht Konrad...", stotterte Ferus verwirrt und runzelte die Stirn.
Kurz standen sie einfach nur da und sahen das Schild an.

Dann meinte Elionor: „Schau mal. Da steht der ganze Name. Klingt nicht besonders indisch. Vielleicht können wir ja mit ihm reden."
Sie zeigte auf ein kleineres Schild auf der anderen Seite der Tür. Darauf stand in einer geraden Schrift 'Dr. Klaus Wollberger'.
Entschlossen drückte Elionor den kleinen Knopf, von dem sie vermutete, dass er die Klingel war. Tatsächlich öffnete nach kurzer Zeit ein Mann mit unordentlichen Haaren, zu großer Kleidung und runder Brille die Tür. Er sah jung aus, obwohl sein Gesicht schon von Falten gezeichnet war. Er wirke überrascht und sagte einige Worte in einer für Elionor fremden Sprache. Hilfesuchend sah sie Ferus an. Was wenn der Mann sie doch nicht verstand?

"Hallo?", meinte sie unsicher und sah zu dem Mann hinauf.
Ihr Gegenüber wirkte noch überraschter und trat einen Schritt zurück.
"Was willst du?", meinte er ohne Akzent, wodurch Elionor schloss, dass er ihre Sprache sehr gut beherrscht wenn nicht als Muttersprache hatte.
"Ähm...", jetzt wo Elionor wusste, dass der Mann sie verstand, hatte sie keine Ahnung was sie ihm sagen sollte.

"Wir sind auf einer Reise und wollten uns etwas zu essen besorgen. Doch wir können die Sprache, die hier gesprochen wird, nicht. Und da sahen wir ihr Namensschild und dachten sie können uns vielleicht weiter helfen", kam ihr Ferus zu Hilfe.
Verblüfft starrte Elionor Ferus an, da sie sich diese Reaktion und Spontanität nicht erwartet hatte. Ferus war bis jetzt nicht sehr gewandt mit Wörter gewesen.

Schulterzuckend ging Ferus an ihr vorbei, anscheinend hatte der Mann sie herein gebeten, ohne dass Elionor es mitbekommen hatte. Elionor folgte Ferus in das kleine Haus. Sie gingen durch einen Flur in ein Zimmer mit einem Tisch, dazugehörige Sessel, einem Schrank und vielen Regalen. Elionor staunte nicht schlecht, als sie erkannte was für Figuren in den unzähligen Regalen standen, die das ganze Zimmer verkleideten. Drachen. Jede einzelne Figur, ohne Ausnahme, zeigte einen oder mehrere Drachen. Sie waren in den unterschiedlichsten Farben, Formen und Größen vorhanden. Staunend sah sie sich um und entdecken auch fünf Bücher in einem Regal in der Ecke. Neugierig las sie die Titel und ihr wurde mulmig zumute, denn alle hatten etwas mit Drachen zu tun. Märchen& Legenden der Drachen, Geschichte der Drachen, Arten der Drachen und Sagen über Drachen waren die vier Titel, den fünften konnte sie nicht lesen, da er in einer ihr fremden Schrift geschrieben war. Dieser Mann musste sich wahnsinnig gut mit Drachen auskennen, dachte Elionor.

"Setzt euch", forderte Klaus Wollberger sie auf.
Unsicher folgten sie seiner Aufforderung und aßen das Essen, das er ihnen gab.
"Sie scheinen sich sehr für Drachen zu interessieren", bemerkte Ferus, der sich im Raum umsah.
"Ich bin Drachenforscher. Ich bin hierher gezogen um mich näher mit Drachen zu beschäftigen. Alle sagen immer: ‚Hey, Klaus, du bist verrückt. Drachen gibt es nicht'. Doch ich sag immer: ‚Doch. Sie wollen bloß nicht, dass wir sie finden.' Naja, der Vorfall in der Stadt, die von Drachen angegriffen wurde, die dann ein Mädchen mitgenommen haben, bestätigte meinen Verdacht über die Existenz der Drachen. Allerdings wirft dieser meine Vermutungen über ihren Charakter völlig über den Haufen", er seufzte und setzte sich zu ihnen an den Tisch. Elionor war erstaunt, dass er ihnen bereitwillig so viel erzählte, versuchte sich aber nichts anmerken zu lassen. Stattdessen wechselten sie mit Ferus einen geschockten Blick. Fast wäre Elionor raus gerutscht, dass das Mädchen ein Drache sei und dass die Drachen nicht kämpfen wollten, aber sie konnte sich in letzter Sekunde noch bremsen.

Der Mann erhob sich von seinem Stuhl und begann dann in Raum auf und ab zu gehen.
"Naja, anscheinend sind sie doch die bösen Kreaturen aus den alten Sagen. Ich wollte es bloß nie wahr haben", meinte er niedergeschlagen und es klang fast, als würde er mit sich selbst reden.
"Nein, das stimmt nicht. Drachen sind ganz nette Tiere und sie haben das Mädchen nur mitgenommen, weil es besser für sie war", platze es aus Elionor heraus, ohne dass sie sich weiter kontrollieren konnte. Sie meinte zu hören, wie Ferus neben ihr „Drachentemperament" murmelte, doch ignorierte ihn.

Verdutzt und erstaunt sah Herr Wollberger sie an. Betroffen sah das Mädchen zu Boden und biss sich auf die Lippe, als würde ihm das aus dieser Situation helfen. „Woher weißt du das?", fragte der Mann verwundert. Er durchquerte den Raum und stellte sich neben Elionor, die aufgesprungen war.
Elionor und Ferus wechselten eine kurzen Blick, dann sagte Elionor leise, aber immer noch laut genug, dass der Mann sie verstand: "Weil ich das Mädchen bin."
Der Mann sah sie verwirrt an und griff sich an die Stirn.

Dann begann Elionor die ganze Geschichte zu erzählen. Von dem Angriff über die großen Reise bis zu dem jetzigen Zeitpunkt.
Klaus Wollberger wirkte immer geschockter aber in seinem Blick lag auch etwas Stolz. Wahrscheinlich darüber, dass sich sein Verdacht über Drachen bestätigte.

"Und da sahen wir ihr Schild mit den Buchstaben KW und dachten, dass sie vielleicht der waren, der den Zettel geschrieben hat", endete Elionor mit ihrer Erzählung und holte einmal tief Luft, nicht weil sie während der Erzählung nicht geatmet hatte, sondern weil sie einerseits erleichtert war, die Geschichte jemandem erzählt zu haben, da sie die Ereignisse in letzter Zeit belastet hatten und die Sorge um ihre Familie gequält hatten, andererseits war sie gespannt, was Mr. Wollberger antworten würde.

"Ja, da habt ihr vielleicht recht gehabt", meinte er nachdenklich und massierte seine Schläfen.

"Wie?", fragte Elionor überrascht. „Sie haben den Stein?"

"Ich habe ihn gefunden und den Zettel geschrieben. Durch Märchen kam ich auf die Idee, dass es die Steine wirklich gab und durch Zufall entdeckte ich dann den Stein in dieser Höhle. Ich schrieb den Zettel und nahm den Stein", erklärte der Mann.

Gebannt sahen Elionor und Ferus ihn an, doch der Mann machte keine Anstalten weiterzureden.

"Haben sie den Stein?", fragte Elionor und wartete auf die Antwort des Mannes. Wollberger machte aber noch immer keine Anstalten irgendwas zu sagen. Still saß er da und massierte sich die Stirn. Angespannt beobachteten ihn die beiden und wartete, ob er was sagen würde.

Plötzlich schoss Elionor etwas durch den Kopf. Was wenn Konrad Williston schon hier gewesen war? Was wenn Wollberger ihm schon den Stein gegeben hat?

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