Der Feenkönig

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"Und du bist ganz sicher, dass das der richtige Weg ist, Wolf?", fragte Peter skeptisch, während sie sich durch das Gestrüpp schlugen.
"Peter, ich lebe seit über hundert Jahren auf dieser Insel, ich weiß was ich tue.", antwortete Wolf nur, ohne anzuhalten.
Für einen Riesen wie ihn war es ein leichtes durch das Gestrüpp zu kommen, doch Peter war klein und leider hatte sich der Feenstaub abgenutzt, und deshalb war es äußerst schwierig für ihn mit Wolf mitzuhalten.
Er wollte Wolf bitten langsamer zu gehen, doch da er wusste, dass sie nur wenig Zeit hatten, ließ er es lieber und hechtete weiterhin außer Atem Wolf hinterher.
"Nicht mehr weit", sagte Wolf aufmunternd, der Peters Schnaufen gehört hatte.
"Ich lebe in einer Großstadt!", rief Peter um sich zu verteidigen, "Da muss man nicht oft durch einen Dschungel! Eigentlich nie!"
Wolf lachte nur.

Plötzlich blieb er stehen und Peter wäre beinahe in ihn reingelaufen, wenn er nicht nach vorne gesehen hätte.
"Ich habe eine Idee", sagte Wolf lächelnd an Peter gewandt.
"Was für eine?", fragte Peter ungeduldig.
Auf einmal begann Wolf vor Peters Augen zu schrumpfen.
Peter taumelte erschrocken zurück und starrte mit großen Augen Wolf an.
Er war jetzt nur noch einen Kopf größer als Peter und ging in den Vierfüßlerstand.
Erstaunt beobachtete Peter, wie sich zuerst die Beine veränderten.
Wolfs Kleidung verschwand und ihm wuchsen am ganzen Körper weiße Haare. Die Hände und Füße wurden zu Pfoten mit Krallen und Wolfs Haltung wurde gerader. Dann veränderte sich das Gesicht.
Seine Nase, sein Mund und sein Kinn wurden lang und seine Ohren wuchsen spitz nach oben.
Seine Haare gingen in seinen Körper über und wurden von schwarz zu weiß.
Als letztes wuchs Wolf über dem Po noch ein puschiger Schwanz und Peter starrte ungläubig auf das, was jetzt vor ihm stand.
Wolf hatte sich in einen weißen Wolf verwandelt!
Peter war vollkommen geplättet.
"Das ist... unglaublich!", rief er begeistert aus.
"Danke", antwortete der Wolf fröhlich. Es hörte sich komisch für Peter an, denn Wolfs Stimme war immernoch die selbe, nur dass sie jetzt durch einen Wolf sprach.
"Komm, spring auf, dann geht es schneller!", forderte Wolf Peter auf.
Peter musterte besorgt Wolfs Rücken.
"Meinst du, du hälst das aus?"
"Ich hab schon zwei erwachsene Männer auf diese Weise transportiert, also ja, das halte ich sicher aus.", erwiderte Wolf amüsiert. "Nun komm schon!"
Das ließ Peter sich nicht zweimal sagen. Schnell kletterte er auf Wolfs flauschigen Rücken und hielt sich an den langen Nackenhaaren fest.
"Und LOS!", rief Wolf mit wilder Stimme und rannte augenblick los.
Peter musste überrascht von dem plötzlichen Start tiefer in Wolfs Fell greifen, um nicht runterzufallen.
Er hätte nie gedacht, dass ein Wolf so schnell sein konnte.
"Okay, ich werde nie wieder etwas Schlechtes gegen Wölfe sagen!", rief Peter begeistert und johlte. Das war unglaublich toll - nur Fliegen war noch besser.
Wolf antwortete nicht, doch Peter wusste, dass er lächelte.
Das Gestrüpp flog praktisch an ihnen vorbei, als würden es extra Platz machen.
Für Peters Geschmack ging der kleine Ritt aber viel zu schnell vorbei, bereits nach zehn Minuten ließ Wolf Peter wieder absteigen und verwandelte sich zurück in seine übliche Gestalt.
"Das war der HAMMER!", schwärmte Peter lauthals, "Das müssen wir unbedingt wiederholen!"
Wolf legte lächelnd einen Finger auf die Lippen.
"Wir befinden uns direkt vor der Feenstadt", flüsterte er, "Hier müssen wir leise und vorsichtig sein."
Peter nickte schnell.
Er sah sich um.
Die Landschaft hatte sich verändert. Sie befanden sich in einem Wald mit sehr hohen Bäumen und es gab zum Glück kein nerviges Gestrüpp mehr. Ein kleiner Waldweg führte direkt auf eine große Lichtung zu, in deren Zentrum ein gewaltiger Baum stand - Peter hatte noch nie einen solchen Baum gesehen.
Seine Äste waren so dick wie Peters Körper und der Stamm war so umfangreich, dass fünf Männer mit augestreckten Arme darum stehen konnten.
"Das ist der Feenbaum", erzählte Wolf gerade, als Peter nachfragen wollte.
"Es gibt selbstverständlich noch mehr Feenbäume, aber dass hier ist der Königssitz. Vielleicht schaffst du es ja mit dem König sprechen zu dürfen. Komm, gehen wir näher ran."
Vorsichtig wagte Wolf sich weiter vor, Peter folgte ihm leise. Dabei konnte er seinen Blick einfach nicht von dem Baum lassen. Plötzlich hatte er sich in Gedanken vor sich, wie er zusammen mit seinen Freunden auch in so einem Baum lebte, mit Geheimversteck unter den Wurzeln und einem Geheimgang, damit niemand erkannte, dass der Baum bewohnt wurde.
Von dieser Vorstellung war er geradezu begeistert. Sollten er und seine Freunde hier bleiben, würde er sich ernsthafte Gedanken darüber machen, ob er so etwas nicht mal ausprobieren wollte.
Aber jetzt musste er erstmal seine Freunde retten.
Er hoffte so sehr, dass die Feen kooperieren wollten. Sonst waren seine Freunde verloren.
Peter und Wolf erreichten den Feenbaum. Von außen wirkte er unscheinbar und gewöhnlich, doch Peter konnte die Magie spüren, die von diesem Baum ausging.
Als er die Hand ausstreckte und die Rinde berührte, hatte er ein wohlig warmes Kribbeln an den Finger. Es fühlte sich so schön an, dass es Peter schwer fiel, seine Finger wieder zu lösen.
"Magisch, nicht wahr?", fragte Wolf grinsend und strich ebenfalls über die Rinde.
"Die Feen haben ihren Eingang meistens oben in den Ästen. Wir werden wohl ein wenig klettern müssen. Sei möglichst leise, wir wollen sie nicht unnötig aufschrecken."
Vorsichtig begann Wolf den Stamm zu erklimmen. Es sah schwierig aus, aber es schien sich machen zu lassen.
Das einzige Problem war, dass Peter deutlich kleiner als Wolf war und bestimmt nicht so leicht wie er da hoch kam.
Als Peter gerade sein Glück versuchen wollte, schwirrte plötzlich ein helles Licht vor seiner Nase herum.
"Tinkerbell!", rief er überrascht aus und ließ von dem Baum ab. Ein wenig beleidigt war er schon, da sie scheinbar einfach ins Nimmerland zurück geflogen war und Peter im Stich gelassen hatte.
"Ach, guten Tag, Draufgänger!", spottete sie und Peter konnte den leicht verärgerten Unterton in ihrer Stimme hören.
Wolf hielt mitten in der Bewegung inne und sah nach unten.
"Tink!", sagte er erfreut, "Schön dich zu sehen!"
Tinkerbell schenkte Wolf ein leichtes Lächeln, dann wandte sie sich wieder Peter zu und ihr Lächeln verschwand.
"Na, hättest mal lieber auf mich gehört, was?", schimpfte sie mit den Händen in den Hüften, "Das hast du nun davon!"
"Tink, lass ihn in Ruhe!", erwiderte Wolf, bevor Peter etwas sagen konnte. "Seine Freunde sind in den Händen von Piraten! Er hat instinktiv gehandelt."
Tinkerbell schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Rackham will, dass ich ein paar Feen zu seinem Schiff mitbringe.", erklärte Peter leise, "Sonst tötet er meine Freunde."
"Ach und du denkst, der König wird dir vertrauen?!", fauchte die Fee zornig. Das goldene Licht, das sie ausstrahlte, war teuflisch rot geworden.
"Ich muss es versuchen", antwortete Peter fest und begann zu klettern. Tatsächlich war es einfacher, als er gedacht hatte.
Er hatte keine Lust, auf Tinks Zickerein. Eigentlich hätte er sie anmotzen müssen, weil sie einfach so abgehauen war.
"Lasst das lieber", sagte Tink mit scharfer Stimme. "Ich fliege rein und bitte den König heraus zu kommen, okay? Ihr wartet lieber unten. Dieser Baum ist uns heilig." Damit flog sie an Peter und Wolf vorbei und verschwand im Blätterdach.
Peter sprang von dem Ast, den er mittlerweile erreicht hatte, zurück auf den Boden und sah Wolf dabei zu, wie er ein Stück runter kletterte und sich dann auch fallen ließ.
"Das macht die Sache natürlich einfacher.", sagte Wolf lächelnd und klopfte sich den Dreck von den Händen.
Peter sagte nichts. Er war wütend auf Tinkerbell und auf die Piraten. Durch sie könnte er das einzige, was er an Familie hatte, verlieren. Er musste es schaffen, das Vertrauen der Feen zu gewinnen, das war ihre einzige Chance.
"Ist alles in Ordnung?", fragte Wolf sanft und legte eine Hand auf Peters Schulter.
"Klar", presste Peter hervor und versuchte ein Lächeln. Er wollte nicht an Wolf seine miese Laune auslassen. Immerhin war er die ganze Zeit über immer sehr freundlich zu Peter gewesen.
"Wir retten deine Freunde", versicherte Wolf ihm, "Selbst wenn die Feen nicht bereit sein sollten zu helfen - wir finden andere Wege. Versprochen."
Peter drehte den Kopf und sah Wolf an. Dabei musste er den Kopf fast in den Nacken legen. Wolf war so unglaublich groß.
Der Riese schenkte Peter ein warmherziges Lächeln.
Peter lächelte zurück und dieses Mal war es echt.

Es dauerte eine Weile bis Tinkerbell wieder auftauchte. Peter war die ganze Zeit unglaublich ungeduldig gewesen. Mit jeder Minute, die verstrich, bang er etwas mehr um seine Freunde. Als sie dann endlich wieder kam, seufzte er erleichtert auf.
Und sie war nicht allein.
Ihr dicht gefolgt kamen mehrere Feen aus dem Blätterdach geflogen und näherten sich Wolf und Peter sehr vorsichtig.
Peter wusste, sie trauten ihnen nicht. Er musste es irgendwie schaffen, ihr Vertrauen zu gewinnen.
Wenn allerdings alle Feen so sturköpfig wie Tinkerbell waren, sollte sich dies als eine äußerst schwierige Angelegenheit herausstellen.
Eine männliche Fee in einem königlichen Gewand schwebte vor.
Peter vermutete, dass das der Feenkönig war.
Der Feenmann musterte zuerst Wolf skeptisch, dann Peter. Schließlich wandte er sich von Peter ab und sprach Wolf an:
"Ihr braucht Hilfe, sagte Tinkerbell mir. Wir sind keine hartherzigen Wesen, aber Ihr wisst ganz genau, dass wir niemandem trauen dürfen, zum Schutze der Magie!"
Obwohl der Feenmann nur ein paar Zentimeter groß war, machte er dennoch einen mächtigen Eindruck auf Peter. Wieder konnte er diese starke Kraft spüren, doch dieses Mal ging sie nicht von dem Baum, sondern von der Fee aus.
"Ich weiß, Majestät", erwiderte Wolf freundlich und deutete eine Verbeugung an, "Aber mein junger Freund hier ist der einzige Mensch der das Nimmerland je betreten hat und leider ist das auf der Erde nicht ganz geheim geblieben... Ein paar Piraten halten seine Freunde gefangen und wollen nun, dass er sie hierher bringt."
"Und was haben wir damit zu tun?", fragte der König, doch Peter konnte an seinen Augen ablesen, dass er die Antwort schon wusste.
"Dafür brauchen wir Feenstaub", sagte Wolf mit fester Stimme. "Zwar wird das so die Piraten herbringen, aber wir kennen Mittel und Wege um sie zu bekämpfen. Ich verspreche Ihnen, dass Ihre Kolonien nicht mit ihnen in Kontakt kommen werden."
Gespannt musterte Peter den Feenkönig und wartete auf seine Reaktion.
Der Feenkönig seufzte sehr tief.
"Weißer Wolf", begann er langsam, "Deine guten Taten sowie deine Freundschaft zu Tinkerbell sind uns bekannt. Und dieser Junge ist einer unserer Erschaffer, genau wie seine Freunde. Aber wir können den Schutz der Magie nicht auf's Spiel setzten. Tut mir leid, aber wir haben nichts mit Menschen zu tun."
Peter starrte erschüttert zu den Feen hoch. Der König hatte abgelehnt! Das durfte nicht wahr sein!
Wolf warf Peter einen mitleidigen Blick zu, doch der hatte nur Augen für den Feenkönig. Dieser wollte sich gerade abwenden, als Peter uu sprechen begann:
"Es sind meine Freunde und die einzige Familie, die ich habe!", rief er verzweifelt und der König hielt inne. "Ich habe sie in diese Lage gebracht und ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich sie da nicht wieder raushole! Es sind Waisenjungen und sie zählen auf mich. Die Piraten werden Sie umbringen! Bitte, helfen Sie mir, sonst ist mein Leben zerstört."
Der Feenkönig wandte sich ganz langsam Peter zu und sah ihn an. Peter erschrak. Die Augen des Königs hatten die Farbe eines leuchtenden Gelbs.
"Unter einer Bedingung!", sagte er mit scharfer Stimme, "Sobald die Piraten hier sind, gebe ich dir drei Tage und drei Nächte, um einen Weg zu finden, die Piraten unschädlich zu machen! Bedeutet: Sie können nicht mehr unsere Feenbäume oder die Magiereserven erreichen, verstanden?
Drei Tage! Wenn du versagst, wirst du eine Bestrafung erwarten, die du dir im Traum nicht vorstellen kannst!"
Peter schluckte. Tapfer hielt er den Blick des Feenkönigs stand.
"Ein Dutzend Feen werden dich begleiten.", sagte er schließlich mit etwas neutralerer Stimme.
"Vielen Dank!", rief Peter unendlich erleichtert und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Es gab noch Hoffnung für seine Freunde! Jetzt konnte er sie aus den Klauen der Piraten retten!
Der Feenkönig wandte sich ab und verschwand mit den anderen Feen wieder im Blätterdach. Zurück blieb nur Tinkerbell.
"Peter", sagte Wolf mit ernster Stimme und hockte sich vor dem Jungen auf den Boden. "Das, was der Feenkönig gesagt hat, darfst du nicht unterschätzen. Du musst einen Weg finden die Bedingung zu erfüllen, sonst wird dir Grauenhaftes geschehen!" Er durchborhte Peter mit durchdringendem Blick.
Peter nickte nervös.
"Mir fällt schon was ein", sagte er ausweichend, "Ganz bestimmt."
In Wirklichkeit machten ihm Wolfs Worte Sorgen. Was würde der Feenkönig mit ihm anstellen können? Ihn vielleicht sogar töten? Er musste sich unbedingt etwas überlegen, aber jetzt würde er erstmal seine Freunde befreien. Und dann war Rackham an der Reihe. Ein Monster wie er hatte nichts im Nimmerland verloren.

Peter Pan - Wie alles begann 🏁Onde histórias criam vida. Descubra agora