»Aber gut, dass du hier bist. Ich muss mit dir reden. Amia, Liebes, lässt du uns bitte alleine?« Das Mädchen ergriff ihre Bastelutensilien und stand auf. An der Tür drehte sie sich noch einmal um, als wolle sie etwas sagen, blickte aber nur wehmütig auf Melissa und verließ wortlos den Raum. Etwas ging hier vor, und Melissa verstand noch nicht, was das war.

»Warum will Adam mich nicht ...«

»Er traut sich nicht, dir unter die Augen zu treten, und du weißt genau, warum.« Beantwortete Tara ihre Frage, bevor sie diese überhaupt zu Ende gesprochen hatte.

»Ich werde ihm sagen, dass ich ihm nichts nachtrage.«

»Und du glaubst, damit ist alles wieder wie zuvor?«

»Aber ...«

»Aber es ist unmöglich, einen solchen Vorfall wieder zu vergessen. Melissa, was glaubst du, wird passieren, wenn Adam eine zu schnelle Bewegung macht? Wenn er dich schlecht gelaunt ansieht? Könntest du wirklich wieder ganz entspannt bleiben, so wie sonst auch? Oder wärst du immer auf der Lauer und voller Furcht vor dem nächsten Angriff? Könntest du das aushalten?«

Zweimal hatte Melissa jetzt gesehen, zu welchem Jäger Adam werden konnte. Einmal hatte er sie ernsthaft in Gefahr gebracht und nie würde sie vergessen, wie sich der Biss angefühlt hatte, wie gleißend die Schmerzen gewesen waren und wie verschlingend die Todesangst. Nichts hatte der Biss eines vor Wut rasenden Vampires mit dem gemein, was Nicolas mit ihr gemacht hatte. Ja, selbst Karis Kostprobe von ihrem Blut war ein regelrechtes Vergnügen gewesen, im Vergleich zu Adams Attacke. Und doch, sich Adam als bedrohliches Wesen vorzustellen, vor dem sie auch nur eine Sekunde zurückschreckte, war bizarr. Im Gegenteil, gerade hat sie das riesige Bedürfnis, ihn in den Arm zu nehmen und ihm zu erklären, dass er sich keine weiteren Gedanken wegen des Vorfalls machen musste, zumal sie einen großen Anteil am Geschehen hatte.

»Ja, das glaube ich«, antwortete sie überzeugt.

Tara seufzte. »Du stellst es dir zu leicht vor. Glaub mir, wenn das Vertrauen erst so stark erschüttert wurde, dann lässt es sich nie wieder komplett herstellen.«

Nach diesen Worten richtete die Vampirin ihren Blick wehmütig in die Ferne und verstummte. Mit einem Mal schien sie weit entfernt mit ihren Gedanken.

»Das ist nicht das erste Mal, dass du erlebst, wie ein Vampir einen Menschen unabsichtlich angreift, oder?«

Taras Pupillen weiteten sich schlagartig. Melissa hatte ins Schwarze getroffen.

»Ja«, gestand die Vampirin zögerlich. »Es gab einmal einen Menschen, dem ich sehr zugetan war und dennoch ist es passiert. Wir hatten eines Tages einen heftigen Streit. Sowas kann vorkommen, wenn man ... viel Zeit miteinander verbringt. Auf jeden Fall ... ich war erst seit kurzem ein Vampir, und der Zorn brachte mich dazu, die Beherrschung zu verlieren. Ich trank kaum mehr als ein paar Schlucke, bevor ich mich wieder unter Kontrolle hatte, doch der Schaden war angerichtet. Ich hatte Angst und Misstrauen geschaffen. Wir haben noch fast drei Monate versucht, den Riss zu kitten – es gelang uns nicht. Schließlich mussten wir einsehen, dass es hoffnungslos war. Ich ging fort, nur mit Nicolas an meiner Seite, an einen Ort, wo man nichts von unserer Vampirnatur wusste und wo niemand zusammenzuckte und Herzrasen bekam, alleine aufgrund meines Anblicks.« So sachlich die Beschreibung wirkte, so verbittert klang Taras Tonfall.

»Es war das erste Mal, dass ich einen Menschen auf diese Art geliebt hatte. Ich hatte lange gebraucht, bis ich dazu bereit war. Und danach hab ich es vorgezogen, diese Erfahrung nicht zu wiederholen.« Melissa kam der Anblick in den Sinn, wie Tara Adam ihr Handgelenk dargeboten hatte und dieser eindeutig die Nähe der Vampirin gesucht hatte, während Tara stocksteif blieb. Sie wusste nicht, wer ihr mehr leidtat: Tara, die sich romantischer Liebe offenbar über Dekaden hinweg verschlossen hatte, oder Adam, dessen Sehnen aussichtslos war.

»Es tut mir sehr leid für dich.« Mitfühlend blickte sie die Vampirin an, der noch immer die Trauer um ihren Verlust ins Gesicht geschrieben stand. Nach einer solch langen Zeit.

Ob Nicolas um Melissa ebenso trauerte?

»Aber ich denke nicht, dass es bei mir so ist, wie es bei ihm war«, fuhr Melissa fort. »Ich habe keine Angst vor Adam. Er will mir nichts Böses, ich weiß das.«

Einige Sekunden blickte Tara sie nachdenklich an. »Ich wollte ihr auch nichts Böses. Aber die Angst war trotzdem da, der Schock saß zu tief. Dein Körper vergißt eine solche Erfahrung nie wieder. Er fragt nicht erst, ob er in den Fluchtmodus schalten darf.«

Oh. Prompt schoss ihr die Hitze in die Wangen aufgrund ihres Irrtums und gleichzeitig wuchs ihr Mitleid mit Adam. Seine Karten in Bezug auf Tara standen verdammt schlecht. Doch seine Beziehung zu ihr war nicht in Gefahr, sie hatten sich bislang gut verstanden, auch sein einmaliger Aussetzer würde daran nichts ändern.

»Okay, du glaubst mir nicht. Dann beweise ich es dir. Du wirst merken, dass ich kein Herzrasen bekommen, nur weil Adam den Raum betritt.« Und dann fügte sie zerknirscht hinzu: »Ich weiß ja, dass er die Kontrolle nur verloren hat, weil ich ihn dazu gebracht habe.«

»Das ist der andere Punkt.«

»Welcher andere Punkt?«

»Wie hast du es nur geschafft, Adam derart zu provozieren, dass er sich auf dich stürzt? Ja, ich weiß, er war in einer Ausnahmesituation und ziemlich hungrig. Aber ... du hättest merken müssen, wie angespannt er war. Wie konntest du ihn trotzdem weiter reizen? Ich weiß, du hast mit dir zu tun, aber ... du musstest gesehen haben, wohin du ihn treibst. Ich will gar nicht wissen, was du ihm an den Kopf geworfen hast, es muss ihn tief getroffen haben. Hattest du keine Ahnung, was geschehen könnte? Verdammt, Melissa, wir reden hier nicht von einem dahergelaufenen Vampir, sondern von Adam. Es gehört schon eine gewisse Anstrengung dazu, ihn so weit zu treiben. Elisa hatte mich damals nur so weit bekommen, weil sie sich beim Gestikulieren die Hand angeschlagen hatte und einige Blutstropfen ausgetreten waren. Aber das war bei dir nicht der Fall, oder?«

Melissa senkte den Blick. Hatte sie mit einem Angriff gerechnet, als sie den Streit immer weiter eskalieren ließ? Die Wahrheit war: ja. Sie hatte gewusst, was sie riskierte. Sie kannte mittlerweile die Anzeichen eines hungrigen Vampirs und sie wusste, dass Jungvampire in einem solchen Zustand unberechenbar sein konnten. Selbst manche der älteren. Doch es war ihr egal gewesen.

Sie hatte Nicolas versprochen, nie wieder derart leichtfertig zu handeln, doch welchen Wert hatte dieses Versprechen noch, jetzt, wo er fort war?

»Was ist, wenn so etwas wieder geschieht?«, fragte Tara. »Das nächste Mal bin ich vielleicht nicht dabei und er tötet dich wirklich. Ist es das, was du willst?« Durchdringend musterte sie Melissa. »Manchmal glaube ich es fast. Und solange ich dir da nicht vertrauen kann ... Adam würde es nie überwinden, wenn er dich umbrächte. Und so wie die Dinge zurzeit liegen, kann ich nicht sicher sein, dass etwas Ähnliches nicht wieder geschieht. Du spielst mit deinem Leben.«

»Was willst du damit sagen?« Melissa hielt den Atem an.

»Ich habe Nicolas versprochen, dass ich auf Adam und Amia aufpassen werde, wenn er fort ist und dass ich für ihre Sicherheit sorge. Und genau das werde ich tun. Das war kein normaler Streit. Ihr wisst im Moment beide nicht, wohin mit euren Gefühlen. Und das ist eine brandgefährliche Mischung.« Tara presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, bevor sie weitersprach. »Wir werden noch heute ein neues Quartier aufsuchen. Du kannst in diesem Haus bleiben, solange es dir gefällt, Maurice wird sich um alle deine Angelegenheiten kümmern und ein Auge auf dich werfen.« Und dann ging sie zur Tür, um den Raum und gleichzeitig Melissa zu verlassen. Doch bevor sie hinaustrat, drehte sie sich noch einmal um. »Hör' auf solche Dummheiten zu machen, du riskierst damit auch Nicolas' Leben.«

Taras letzte Worte klangen harsch, doch ihr Blick war tiefstem Bedauern durchtränkt. Auch die Vampirin hatte sich diesen Ausgang nicht gewünscht.

♥︎Bad Salvation♥︎ - The Girl With The VampireWhere stories live. Discover now