15

1.1K 107 64
                                    

Melissa sprang auf und wirbelte so schnell herum, dass sie fast die Balance verlor. Diese Stimme, so leise sie auch erklang, sie hätte sie an jedem Ort dieser Welt zu jeder Zeit wiedererkannt.

»Was willst du hier?«, zischte sie. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an und ging langsam einige Schritte rückwärts, ohne ihn aus den Augen zu lassen.

Er war hier.

Er musste ihr gefolgt sein.

Nein, das konnte nicht sein. Sie selbst hatte doch die Barrikade gespürt, die klar machte, dass sie die weitestmögliche Entfernung erreicht hatte. Schließlich hatte sie aufgegeben und sich an diesem kalten, unwirtlichen Ort niedergelassen. Sie war nicht in der Lage gewesen weiterzugehen und nicht willens umzudrehen.

Aber jetzt stand er hier, genau vor ihr. Wie war es möglich, dass er sie so schnell gefunden hatte? Aber spielte das überhaupt eine Rolle?

Fast musste sie lachen über die Ironie, sich so schnell wieder mit ihm in einem finsteren Wald wiederzufinden. Nur das sie diesmal völlig im Bilde über seine wahre Natur war. Und seine damalige Hilflosigkeit gehörte der Vergangenheit an. Diesmal würde er sie zerreißen wie ein wildes Tier. Jetzt gab es nichts und niemand mehr, das ihn davon abhalten konnte.

»Ich hätte gerne meinen Mantel wieder,« sagte Nicolas gelassen. Keine Drohung, kein Zähnefletschen. Nur eine sachliche Mitteilung.

Und dennoch schien sich etwas um ihre Kehle zu legen und langsam zuzudrücken.
»Was?«, keuchte sie.

»Meinen Mantel, das schwarze Teil, in dem du gerade versinkst. Das ist meiner. Und ich teile nicht gerne.«

Entgeistert starrte sie ihn an. Sie hatte beim Verlassen des Hauses nicht weiter drüber nachgedacht, wessen Kleidungsstück sie sich da griff. Es war bittere Ironie, dass es unbedingt der seine sein musste. Das Universum machte sich lustig über sie.

Sekundenlang rührte sich keiner.

»Dein Ernst? Der Mantel?«, brachte Melissa schließlich hervor. »Du verfolgst mich bis in die Tiefen dieses Waldes? Mitten in der Nacht? Für einen Mantel?«

»Reinste italienische Handarbeit und ein Unikat. Und du ruinierst ihn gerade.«

Entweder Nicolas war völlig wahnsinnig, schlimmer noch, als Melissa vermutet hatte, oder aber er spielte mit ihr. Sie konnte sich nicht entscheiden.

»Und die Tiefen dieses Waldes sind hier gerade wenige hundert Meter tief«, sagte Nicolas, »also bitte nicht so maßlos übertreiben. Ach, und nur weil es in dieser Jahreszeit früh dämmert, ist es noch lange nicht Nacht. Der Abendkrimi läuft noch im Fernsehen.«

Definitiv verrückt.

Ganz sicher gefährlich verrückt, aber verrückt.

Melissas Gedanken rotierten wild. Was konnte sie tun? Wegrennen? Keine Chance. An seine Vernunft appellieren? Wem wollte sie etwas vormachen? Welche Sprache sprachen Verrückte? Eine verrückte Sprache.

»Dies ist also dein Mantel?« Sie sah an sich hinab auf den feinen schwarzen Stoff, getränkt vom Regen, tropfend, und ihre Hände, von denen die Ärmel gerade so ihre Fingerspitzen unbedeckt ließen.

Melissa hob ihre Hände auf Kopfhöhe und schüttelte sie, sodass die Ärmel hinabrutschten und diese freigaben. Dann fuhr sie sich durch das regennasse Gesicht, weiter über ihre durchtränkten, dreckverschmierten Haare. Eingehend betrachtete sie jetzt ihre Handflächen. Obwohl sie in der Dunkelheit kaum mehr als Schemen erkannte, wusste sie, dass diese gänzlich mit matschigem Schmutz bedeckt waren.

»Warte«, sagte sie nach Atem ringend, »hier, ich gebe ihn dir zurück.« Sie wischte demonstrativ langsam ihre Hände von oben bis unten am Mantel ab. »Das war nur ein Versehen. Natürlich wollte ich dir nicht deinen Mantel stehlen.« Sie zog das Kleidungsstück aus und hielt es ihm hin. »Hier, bitte sehr.«

♥︎Bad Salvation♥︎ - The Girl With The VampireWhere stories live. Discover now