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-Michael-

,,Ophelia!"

Ihren Namen rufend lief ich durch das verlassene Museum. Es war so finster, dass ich aufpassen musste, wo ich hintrat. Die Laternen aus der Eingangshalle waren längst erloschen. Ohne den Schimmer von Lachesis sah ich nur dumpfe Umrisse der Ausstellungsstücke.

Lachesis' Worte wiederholten sich immer wieder in meinem Kopf. Entscheide dich, Michael.

Was meinte sie damit? Und warum hatte sie mir das gesagt?

,,Michael!"

Ich schreckte hoch. Es war Ophelia. Eilig suchte ich den Weg zu ihr. Erst jetzt fiel mir auf, wie gefährlich es eigentlich gewesen war, durch einen Ausstellungsraum voller altgriechischer Fabelwesen zu stolzieren, ohne etwas zu sehen.

Kam es mir nur so vor, oder schmerzte mein Kopf jetzt wieder? Wie vorhin, als die Moiren uns getrennt hatten und unsere Wahrnehmung durch den Nebel manipulierten?

,,Michael! Hier bin ich!" Immer wieder rief Ophelia nach mir, lockte mich im Dunkeln durch das Museum. Jedoch konnte ich sie nicht finden.

,,Hier! Du hast es fast geschafft!" Sie feuerte mich an. Dabei klang ihre Stimme so wunderschön. So, als würde ich einem endlos schönen Gesang lauschen. 

Ich war bereits durch die halbe Ausstellung gelaufen. Und immer, wenn ich dachte, ihre Stimme lauter wahrzunehmen, erschien sie beim nächsten Ruf doch noch so weit entfernt. 

Jedoch änderte sie niemals ihren atemberaubenden Klang, dem ich so benommen folgte. 

Und endlich. In einer Ecke der Ausstellung, auf dem Boden liegend, sah ich sie. Die Silhouette einer jungen Frau. 

,,Endlich hast du mich gefunden!" Sie klang jetzt so sehnsüchtig, als hätte sie lange auf mich gewartet. War sie verletzt? 

Schnell eilte ich auf sie zu, um ihr zu helfen.

-Ophelia-

Es war eine dumme Idee, sich zwischen Statuen von Chimären und Mantikoren herumzutreiben, wenn man als Halbgott in einem Geschichtsmuseum war. 

Ein feuerspeiendes Wesen, zusammengesetzt aus Löwe, Ziege und Schlange rannte mir hinterher. Dieses Tier hatte ich jetzt wirklich nicht gebrauchen können. 

Ich wollte nur nach Michael sehen und war einmal quer durch die Etage gelaufen, als mich diese Chimäre negativ überrascht hatte. 

Im letzten Moment war ich zur Seite ausgewichen, als sie einen heißen Feuerstrahl auf mich loslassen wollte.

Ich hatte weder einen Schild, noch andere Ausrüstung bei mir. Und in der Finsternis herumzuirren, ohne etwas zu zerstören, erwies sich als wirklich kompliziert.

Ich hatte nur das Feuer der Chimäre, welches gelegentlich auf mich gerichtet wurde. 

Als ich mich hinter einer Statue einer Gottheit verschanzen konnte, hörte ich, wie das schnaufende Mischwesen gierig nach mir suchte. 

Beim Umdrehen meines Kopfes ließ ich fast einen schrillen Schrei aus. Die Statue, unter der ich mich versteckte, hatte ein Haustier. Ein angsteinflößendes Haustier.

Einen dreiköpfigen Hund. Kerberos, Hades Hund. Ich saß unter einer Statue meines Vaters. 

Die Chimäre brüllte laut auf. Mach schon, Ophelia! Denk nach!

Natürlich!

Die Chimäre war eine Schwester des Kerberos! Und ich war ein Kind der Unterwelt. Die Höllenhunde hatten sich damals schützend vor mich gestellt, um mich vor den Empusen zu retten.

Der Schatten Der SonneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt