Nicolas schmunzelte leise. »Es scheint nicht so unerträglich zu sein. Ich habe mich auf wenige Schlucke beschränkt, ich wollte nicht riskieren, dass du kaum noch gerade stehen kannst.« Er vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge und zog tief die Luft ein. Dann hob er den Kopf. »Lass uns gehen, bevor ich mir überlege, dass ich noch Appetit habe.«

Nicolas half Melissa aufzustehen und sich anzukleiden, zügig und in Dunkelheit gehüllt verließen sie das Gebäude. Eng aneinandergeschmiegt eilten sie das letzte Wegstück zum Wagen. Sie war nicht bereit, ihn auch nur eine Sekunde loszulassen, seine Wärme zu entbehren, das endlose harmonische Summen, dass der Kontakt zu seinem Körper in ihr auslöste, zu unterbrechen. Nachdenklich sah er sie an, als sie im Wagen saßen, dann zog er sein Handy aus dem Handschuhfach und schrieb eine Nachricht.

»Was tust du?«, wollte Melissa wissen.

»Ich gebe Tara Bescheid, dass wir bis morgen früh fort sein werden. Ich denke, sie hat alles unter Kontrolle, ansonsten wird sie sich melden.« Dann startete er den Motor.

»Du willst JETZT diesen Ausflug machen?« Verstört sah sie ihn an. Einsam in einem Hotelzimmer sitzen und sich vorzustellen, wie Nicolas auf Nahrungssuche ging – sie wusste beim besten Willen nicht, wie sie das ertragen sollte.

»Du glaubst, ich will jetzt Trinken gehen?« Nicolas schnaubte überrascht aus. »Nun ... es wäre vernünftig ... aber für Vernunft bekommen wir heute ohnehin keinen Preis mehr. Ich hatte da an etwas anderes gedacht. Nenn mich egoistisch, aber ich bin im Moment nicht gewillt, dich mit irgendwem zu teilen. Und ich kenne einen Ort, an dem ich das auch nicht muss.«

Dann öffnete er erneut das Handschuhfach und zog einige Schokoriegel hervor. »Ich wusste doch, dass eine kleine Notreserve eine gute Idee ist. Tut mir leid, dass das mit deinem Abendessen nichts geworden ist. Ich hoffe, du kannst dich damit etwas über Wasser halten.«

Nach kurzer Fahrzeit kamen sie an ihrem Ziel an. Melissa hatte nicht weniger als drei Stücke der schokoladigen Notreserve verdrückt, als Nicolas den Wagen bremste. Dunkel und eindrucksvoll lag der Leuchtturm vor ihnen. Melissa konnte sich keinen Ort auf der Welt vorstellen, wo sie lieber die Nacht mit ihm verbracht hätte.

Als sie sich auf dem Sofa mit Blick auf die Meereskulisse niedergelassen hatten, kuschelte Melissa sich in seine Arme und wie selbstverständlich missbrauchte sie Nicolas als ihr Kopfkissen. Daran könnte sie sich gewöhnen.

Als sie zur Ruhe kam, brachen die Ereignisse des Tages über sie herein und wirbelten in ihrem Kopf herum. Doch seine Nähe gab ihr die nötige Sicherheit, die sie brauchte und nach kurzer Zeit schlief sie erschöpft ein.

Ein paar Mal erwachte sie in dieser Nacht, schrak aus chaotischen Träumen hoch und drehte sich unruhig herum. Jedes Mal empfingen sie warme, kräftige Arme, welche sich liebevoll um sie legten und sie beruhigten. Als sie am Morgen ausgeruht erwachte, strichen seine Hände fürsorglich durch ihre langen Haare. Die erste Morgenröte breitete sich am Horizont aus.
»Du bist schon wach?«, murmelte sie schläfrig.

»Hmmm.« Nicolas warmes Brummen vibrierte durch ihren Körper. »Ich wollte das hier nicht verpassen.« Sanft strich seine Hand über ihre Haare und über ihre Schulter. »Du wirkst so ganz anders, wenn du schläfst. So friedlich.«

»Und sonst bin ich unentspannt?«

»Nein.« Er überlegte kurz. »Doch, manchmal. Aber nicht ständig. Es ist eher ... sonst wirkst du so ... zweifelnd. Als wenn du stets darauf wartest, welchen Hinterhalt die Welt dir als Nächstes stellt. Als könntest du nicht glauben, dass das Leben auch hin und wieder einfach nur gut sein kann. In all deinen leichten Momenten schwingt ein unausgesprochenes Misstrauen mit. Und eine versteckte Traurigkeit. Als wenn du bezweifelst, dass sich der ganze Aufwand lohnt.«

Eine lange Zeit schwiegen sie. Schließlich legte Nicolas seine Hand auf ihre Wange. »Melissa, sieh mich an.«

Zögernd hob sie den Blick und sah in seine wunderschönen Augen. Angestrahlt von dem Licht der aufgehenden Sonne leuchteten diese in einem hellen Grün auf. Intensiv musterte er sie. »Nicht alle Menschen sind wie dein Vater.«

Sie senkte den Kopf. »Das weiß ich« flüsterte sie abwehrend.

Nicolas schob seine Hand unter ihr Kinn und hob ihren Kopf erneut. »Bist du sicher?«

Sie nickte, während ihre Augen seinem Blick auswichen. Doch Nicolas ließ sie nicht entkommen.
»Was glaubst du, wie lange werde ich bei dir bleiben?«

»Was?« Was sollte das werden? Wollte er eine exakte Zeitangabe von ihr? Das war doch absurd. »Ich habe noch nicht darüber nachgeda...«

»Denk jetzt darüber nach!«, unterbrach er sie.

Melissa hob die Augen und fand seinen auffordernden Blick, der gleichzeitig so viel Wärme ausstrahlte. Ihre Kehle wurde eng und ihre Augen brannten mit einem Mal. Sie kämpfte gegen das erstickende Gefühl an und schluckte trocken.

Nicolas Blick ließ nicht von ihr ab. Er würde auf eine Antwort bestehen, da machte sie sich keine Illusion. »Ich ... weiß nicht ...«, stotterte sie heiser. Sie erkannte ihre eigene Stimme kaum. »So lange es dir Spaß bereitet?« Es sollte eine Aussage werden, kroch aber eher wie eine Frage aus ihrem Mund. »Solange der Zauber nicht ...«

»Der Zauber kann mich nicht dazu zwingen, deine Nähe zu suchen. Das schaffst nur du. Und sollte er jemals gelöst werden, ich werde dennoch nicht von deiner Seite weichen. Wenn es nach mir geht, dann dürfte der Zauber für ewig bestand haben.«

Melissa bemerkte die Feuchtigkeit in ihren Augen. »Das sagst du jetzt. Aber irgendwann, wenn ich dir zu viel werde, wenn ich dir lästig werde ...«

Nicolas legte seine Hand auf ihren Mund und hinderte sie so am Weitersprechen. »Niemals.« Er schloss die Augen und ließ seine Stirn gegen ihre sinken. »Ich werde nicht wieder gehen. Ich bin nicht sicher, ob du mir das zu diesem Zeitpunkt glauben kannst. Ich werde bei dir bleiben. Du wirst mich erst wieder los, wenn du mich fortschickst.«

Wenn du mich fortschickst – die Worte halten in Melissa nach. Wie könnte sie das vollbringen? Eine Unmöglichkeit.

Andere Gedanken schoben sich vor dieser Einsicht. Erinnerungen an ihre Eltern. Wie sie ein Kind war und alle Tage im tiefen Glauben, geliebt zu werden, lebte. Ihre Eltern, die sich gegenseitig vergöttert hatten. Die jeden Abend die Musik aufgedreht hatten und mit ihrer Tochter durchs Haus getanzt sind, bis sie sie ins Bett geschickt haben, um zu zweit einen letzten Tanz gemeinsam zu genießen. Die zärtliche Küsse ausgetauscht haben und händchenhaltend durch die Stadt spaziert sind, Melissa immer dabei als ihr heiliger Mittelpunkt.

Bis ihre Mutter fortging. Ohne Ankündigung. Ohne Begründung.

Und ihr Vater übte sich im Vergessen. Jeden neuen Tag hoffte er, dass der Alkohol ihn die Erinnerung an seinen Verlust nahm. Es gelang ihm nie. Was er vergaß, war die Liebe und Zuneigung, die er einst seiner Tochter entgegenbrachte.

Monate nach dem Weggang ihrer Mutter erzählte ihr Vater ihr, dass er es war, der seine Frau fortgeschickt, nachdem er sie mit einem anderen Mann überrascht hatte. Melissas Mutter hatte einen Fehler gemacht, aber sie verließ ihn nie rücksichtslos. Sie beugte sich nur seinem Wunsch. Verlassen hatte sie ihre Tochter.

Melissa blinzelte gegen die Tränen an und lächelte kaum merklich.

Nicolas zog sie in eine sanfte Umarmung. Wie von selbst fanden sich ihre Lippen und ihre Körper pressten sich gegeneinander. Sie schob ihre Hände unter sein Shirt. Sie wollte seine Haut spüren, seine Nähe. Im stillen Einvernehmen zogen sie sich gegenseitig aus und erforschten ihre Körper, mit den Händen, mit dem Mund. Alles geschah ohne Hast, es gab keine Notwendigkeit zur Eile. Die brennende Lust vom Vortag war einem tiefen Verlangen nach Verbundenheit gewichen.

Als Nicolas sanft in sie eindrang, verwoben sich ihre Blicke ineinander. Sie stimmten ihren Rhythmus behutsam aufeinander ein und brachten ihre Seelen miteinander in Einklang. Die Morgensonne hüllte ihre nackten Körper in schimmerndes Licht, als sie ihren Höhepunkt erreichten und eng umschlungen ineinander versanken.

Wenn sie schon an ihren eigenen Gefühlen ertrinken musste, so wollte Melissa es zumindest in Nicolas' Armen tun.

♥︎Bad Salvation♥︎ - The Girl With The VampireWhere stories live. Discover now