Intervall 01-10

0 0 0
                                    

Der Drachenhort

Wie von Zauberhand, tat sich das große, eiserne Tor, laut quietschend, vor ihnen auf. Ein Schwall heißen Windes schlug ihnen entgegen. Geruch von Schwefel lag in der Luft. Die kahlen Wände im Inneren des Turmes wirkten beinahe lebendig. So leuchteten diese in Rot und Braun und Orange, wie die Schuppen eines Fisches im Licht der Sonne. Eine breite, basaltfarbene Wendeltreppe schraubte sich spiralförmig vor ihnen in die Höhe. „Unser Weg ist vorgezeichnet", bemerkte er trocken und zog sein Schwert. Neil tat es ihm gleich. Kaum das sie einen Fuß auf die erste Stufe gesetzt hatten, ertönte ein lautes Grollen aus den uneinsehbaren Höhen. Rauch und Ruß mischte sich in die heiße Luft, welche ihnen förmlich den Schweiß aus den Poren spülte. „Der Drache wartet auf uns", klang Neil kaum mehr so mutig, wie noch zuvor. Doch auch er selbst musste sich das mulmige Gefühl in seinem Bauch eingestehen. Nun gab es jedoch kein Zurück mehr. Der letzte Rest des Pfades lag vor ihnen.

Höher und höher stiegen die letzten beiden Überlebenden der willigen Wanderer. Und mit jedem Höhenmeter, den sie fortan gewannen, schien die umgebene Hitze ein wenig unerträglicher zu werden. „Ich kann etwas erkennen", keuchte Neil, als sie bereits über dreihundert Stufen zurückgelegt hatten. Ein neuerliches Grollen erschütterte die Treppe. Nur mit Mühe konnte er sich auf beiden Beinen halten. „Ein Zwischenboden. Die Stufen führen uns in ein höheres Stockwerk", rief er gegen den Lärm an. Und tatsächlich wartete am Ende der Treppenstufen eine hölzerne Falltür in der Steindecke. Die Quelle des Lärms versteckte sich dahinter. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ein letztes Mal holte er tief Luft, ehe er mit aller Kraft das letzte Hindernis aufstieß und als Erster durch die Öffnung stürmte.

„Du bist spät", empfing ihn die Stimme einer Frau. Sie saß an einem kleinen Tisch und trank aus einem seltsamen, weißen Kelch, aus dem leichter Dampf aufstieg. Rasch blickte er sich um, mit beiden Händen an seinem Schwertgriff festklammernd, doch kein Drache, kein Monster und auch kein Biest weit und breit. Der beißende Geruch von Schwefel war dem von angenehmen Heilkräutern gewichen. Der breite Turm machte zugleich den Eindruck, als sei er zusammengeschrumpft. Neben dem Tischchen und der Bank, auf der die junge Frau saß, stand ein kleiner Schrank zu seiner Linken. Darüber ein Regal, in welchem sich zahlreiche Schriften befanden. Rechts von ihm führte eine Tür aus dem kleinen Räumchen.

„Nimm Platz! Möchtest du auch einen Tee?" Die Frau wirkte gänzlich unaufgeregt, ja, sie lächelte sogar voller Liebreiz. Sie goss ihm von dem dampfenden Getränk in einen zweiten Kelch und schob diesen in seine Richtung. „Was habt Ihr da?" Sein Blick fiel auf zahlreiches Pergament, welches vor ihr ausgebreitet lag. „Das ist...nicht so wichtig", entgegnete sie mit einem Anflug eines pinkfarbenen Hauches auf ihrer blassen Haut und räumte das Tischchen ab. Er kannte diese Frau irgendwoher, da war er sich sicher. Ihre Augen, wie Mandeln, strahlten eine ungekannte Vertrautheit aus. „Wer seid Ihr?", versuchte er Licht in sein persönliches Dunkel zu bringen. Die Frau lächelte, Unbehagen verbreitend: „Erinnere dich."

Er nahm Platz, wie sie es ihm angeboten hatte. Das Schwert war viel zu schwer für seine dünnen Ärmchen, weshalb er es scheppernd zu Boden fallen ließ. Vorsichtig nippte er an dem heißen Getränk, welches sie ihm eingegossen, um sich nicht zu verbrennen. „Welche Rolle spiele ich in deiner Geschichte?", frug er seine liebste Freundin. „Du bist ein großer Krieger. Edel und tapfer. Schlau. Mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn ausgestattet." Das erfüllte ihn mit Stolz, wenngleich er die zartbittere Note von Melancholie auf seiner Zunge schmeckte. „Und Neil?", er sprach den Namen nicht aus, doch in seinem Kopf klang er wie ein Fluch. Dessen Rolle war ihm bekannt. Ihre Mandelaugen verrieten es. Er konnte darin lesen, wie in einem offenen Buch. Jedes Mal, wenn sie Neil anstarrte. Jedes Mal, wenn dieser langhaarige Affe auch nur in ihrer Nähe weilte. Wenn er daran dachte, an all das, was vergangen war, so kamen ihm die Tränen.

„Nicht weinen", die Frau legte ihre Hand auf die seine, „du hast die Möglichkeit deine Verbündeten zu rächen. Hering und Frosch." Ruckartig zog der Soldat seine Hand unter der ihren weg und sprang von der Bank auf. Ein kurzer Moment der Stille erfüllte den Raum. Sein Blick versenkte sich in ihren Mandelaugen. „Überlege dir gut, wer aus dem Schatten getreten ist und so den Weg zu der Konfrontation geebnet hat, in der Hering ums Leben kam", erzählte sie, ohne den Augenkontakt zu unterbrechen. „Überlege dir, wer zuerst die Musik gehört hat, die zu Froschs Verhängnis wurde." In einem Moment stummer Erkenntnis, fasste er sich an den Kopf. Wie hatte er das nicht sehen können? Sie nickte zustimmend: „Überlege dir, wen er zuerst durch die Falltür gehen ließ. ER ist der Drache. ER ist das Biest, welches die Prinzessin für sich haben möchte. ER ist derjenige, der auch dir das Schwert in den Rücken jagen wird. ER wird eure Mission scheitern lassen." Ein Gefühl von Ohnmacht ergriff ihn. Er nahm sein Schwert vom Boden auf. Eine Mischung aus Wut und Verzweiflung breitete sich in seiner Brust aus. Seine Hände zitterten.

Sie erhob sich von ihrem Sitzplatz: 

„Ich sah den Schnitt, so tief und hässlich. Flammen wüten voller Grim. 

Das Tintenblut macht mich vergesslich. Dem Tod reich' ich die Hände hin."

Neil hatte den Tod ihrer Brüder kommen sehen. Als Tinte regnete, dort am tiefen, hässlichen Schnitt, wo die Flammen ihr Lager verzehrten.

„Melancholie und Kummertränen. Lieblich Hymne Exitus

Hypnotisch' Wunsch ich mir erträume. Unvermeidbar bleibt der Schluss."

Liebliche Lieder über den Tod? Würde der Drache für ihn genauso singen, wie für seine beiden Kameraden? Nein, er würde dem Ganzen ein Ende bereiten. Er würde den Drachen töten, so wie es sein König ihm aufgetragen, wie er es geschworen hatte.

Als Neil durch die Falltür trat, schien er überrascht, seinen Kameraden vor ihm stehen zu sehen. „Wo ist der Drache?" Der Junge blickte sich im Rund des kargen Turms um. Mochte er noch so gern seine Spielchen spielen. Ihm würde er keine Trugbilder mehr bauen. „Wo ist die Prinzessin? Miranda?" Erst jetzt realisierte Neil den Blick seines Kameraden. Dieser zögerte keinen weiteren Augenblick, preschte einen Schritt nach vorn und schnitt dem Jungen mit der Klinge tief ins Fleisch seines linken Oberarmes, noch ehe dieser sein eigenes Schwert zur Abwehr heben konnte. Vor Schmerz laut aufheulend, ließ er ebendieses fallen und sackte auf seine Knie herab.

„Dein Schauspiel hat ein Ende, Verräter. Sag' mir wo sie ist! Sag' es mir!" Als der Junge weiter nur zu schreien vermochte, ließ er seine treue Klinge erneut singen. Es war unvermeidbar. Für seinen König würde er obsiegen und Miranda zurück nach Hause bringen. Schließlich hatte er es geschworen.

Land der SchmetterlingeDonde viven las historias. Descúbrelo ahora