Intervall 01-03

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Die blaue Hütte

Die verlassene Siedlung lag inmitten einer Senke hinter spärlich bewachsenen, natürlich aufgetürmten Erdwällen. Sechs seiner treuesten Leutnants an der Seite, betrat der Hauptmann höchstpersönlich die kaum mehr sichtbare Hauptstraße, welche die Männer in das kleine Dörfchen führte. „Das dürfte nicht hier sein", knurrte einer von ihnen skeptisch, in Anbetracht der zahlreichen, offenbar verlassenen, da langsam verfallenden, Gebäude.

Kein schöner Anblick. Des Hauptmanns Schwerthand juckte. Zu gerne hätte er hier Feinde angetroffen, ein paar Köpfe gespalten. Die fortwährende, ereignislose Reise zermürbte ihn und seine Gefährten nur. Was gäbe er doch für ein klitzekleines Gemetzel, um ihr aller Blut wieder in Wallung zu bringen. Eine kleine Feuertaufe für ihre Freiwilligen zum Zwecke der natürlichen Auslese. Seine Liebe zum Blutvergießen würde ihm, am Ende jener verfluchten Reise, die Form von Liebe einbringen, die ihm, seiner Meinung nach, noch zustand: Die, der Prinzessin. 

Der Hauptmann kann schließlich nicht wissen, dass seine Begierden nur Schall und Rauch in einem leeren Raum darstellen. Ein Raum so leer wie sein Kopf, würde man seine Gedanken an Kampf, Krieg und Blut von dort entfernen.

Der Hauptmann schüttelte energisch sein Haupt, bevor er den Befehl erteilte, das Dorf auf den Kopf zu stellen. Wenn sich hier Feinde versteckten, dann würde er sie aus ihren Löchern jagen. So begannen seine Getreuen damit in die umstehenden Gebäude einzudringen. Schlichte Bauten aus Holz und Stein. Zuhause, hinter den Grenzmauern, hatten sie zum Teil bessere Schweinställe. Ein mit Verstand gesegneter Mann musste somit nur noch entsprechend schlussfolgern.

Was seine Männer jedoch im Innern jener schäbigen Behausungen vorfanden, war allerorts gähnende Leere. Keine Möbel, keine Schlafplätze, keine benutzten Feuerstellen. Nicht eine Spur, die darauf hindeutete, dass jemals irgendjemand hier gelebt haben könnte.

„Als habe jemand dieses Dorf für eine Horde Geister errichtet", teilte ihm einer seiner Nebenmänner mit.

„Wir sollten uns von diesem verfluchten Ort entfernen."

„Der Einflussbereich unserer Götter endet spätestens hier."

Der Hauptmann bemerkte, wie sich weitere Unruhe unter seinen Männern ausbreitete. Das ärgerte ihn. Zorn brodelte in ihm. Er wollte gerade einen lauten, wütenden Schrei ausstoßen, um das weibische Gegacker zu unterbinden, doch jemand anderes kam ihm zuvor.

Sie eilten dorthin, von wo sie den kurzen Aufschrei vernommen hatten. Die Farbe blätterte bereits von den dunklen Brettern ab, doch noch immer erstrahlte die schäbige Holzhütte, am Ende ihres Weges, in einem eigentümlichen, unnatürlichen Blau. Sie passte noch weniger hierher als ein leeres Dorf inmitten der Ödnis jenseits der Grenzmauern. Und da war er wieder, das unverschämte Grünohr, mit dem frechen Mundwerk, den er eigentlich zur Vorhut verbannt hatte. Zwischen Tür und Angel dieses zerfallenen Bretterverschlags kauerte er und hielt ein Stück Pergament in Händen. 

„Was schreist du so?", nahm einer der Leutnants seines Hauptmannes Worte vorweg. Entgeistert blickte der Junge die nahenden Männer an, warf einen kurzen Blick in das Innere der leeren Hütte, schüttelte kurz den Kopf und rappelte sich wieder auf. „Mo..Motten", stammelte er, „Ich dachte, ich hätte Motten gesehen. Hunderte, Tausende. Ihr Flügelschlagen klang wie ein Sturm." Seine Männer lachten laut, doch dem Hauptmann war nicht danach zumute. Das Großmaul hatte hier nichts zu suchen. Hinter den Mauern hätte er ihn für seine Aufsässigkeit in ein dunkles Loch werfen lassen - nachdem er ihm sein jugendliches Gesicht bearbeitet hätte. Manche lernten offenbar nur auf diese Weise.

„Was hast du da in der Hand?", polterte er stattdessen und riss dem Jungen den Pergamentfetzen aus den Fingern. Das Schriftstück fühlte sich komisch an. Er drückte es einem seiner Leutnants in die Hand: „Lies es uns laut vor".

Ich vergaß, selbst das Lesen gehört nicht zu seinen Stärken.

„Ich sah den Schnitt, so tief und hässlich / Flammen wüten voller Grim 

Das Tintenblut macht mich vergesslich / Dem Tod reich' ich die Hände hin.."

„Deine Worte? Ich wusste, dass du kein Krieger bist, aber ein verfluchter Sänger?" Erneutes Gelächter. Dennoch war die Wut des Hauptmanns schon wieder so groß gewachsen, dass er am liebsten auf etwas eingeschlagen hätte. „Wenn ich dich noch einmal hier und nicht bei meinen Augen und Ohren in der Ferne sehe, kannst du deine Gesänge künftig ohne Zähne anstimmen. Hast du mich verstanden?"

Was bleibt ihm außer Nicken?

Der Hauptmann mochte seine Zeit nicht weiter inmitten dieses großen Schwindels, diesem Trugbild eines Dorfes, verschwenden. Sie würden wieder aufbrechen. Doch erneut erfüllte ein Schrei die Luft. Dieser hingegen war voll von Hysterie. Fünf seiner Männer waren nötig, diesen wild zappelnden und lauthals fluchenden Mann vor den Hauptmann zu bringen, wo sie ihn unsanft, zu dessen Füßen, in den Staub warfen. Der Klang sowie der anschließende Anblick gezogener Klingen ließen den Fremden rasch verstummen. Ein schäbiges Männlein, schwarz vor Dreck, mit Haaren so zottelig wie das Fell eines räudigen Gossenköters. 

Es wirkt, als kenne ich ihn.

"Wer bist du? Was suchst du hier?", knurrte der Hauptmann, während er das kuschende Geschöpf genauestens musterte. Oh, dieses traurige Wesen mochte ihm doch bitte einen Grund liefern, ihm den Kopf abzuschlagen. Zunächst war es jedoch seine Pflicht, ihm eine Möglichkeit zu geben, sich zu erklären. Wenigstens hatte es den Anstand, seinen Blick gesenkt zu halten: „Ich habe mich versteckt. Ich habe mich nur versteckt vor – vor dem Ungetüm." Wieder vernahm der Hauptmann Getuschel unter seinen Männern, welches er zähneknirschend ignorierte. „Gibt es noch mehr von deiner Sorte? Haben die sich auch hier versteckt?", wollte er von dem armseligen Hund wissen. „Keine anderen. Nur mich, mein Herr. Es gibt nur mich."

„Was hast du dann hier draußen verloren, weit weg von den weißen Landen?" Der Köter zögerte für einen kurzen Moment, dann entschloss er sich zu reden: „Ventu hat mich geschickt. Noch bevor der König seine Männer, euch, aussenden konnte, hat Ventu mich geschickt, die Prinzessin zu holen. Oh, ihr wisst nicht, was euch erwartet. Ihr wisst nichts über das Monster." 

Land der SchmetterlingeOnde histórias criam vida. Descubra agora