Intervall 01-01

11 4 7
                                    

Das Aufbegehren der Beraubten

„Das Biest wird sterben", rief der Hauptmann der Reichsgarde mit der ihm eigenen Urgewalt in der Stimme, welche von den hohen Wänden des Thronsaals widerhallte. Das Echo der Drohung, erfüllt von einer Wucht, die selbst die Götter dieser Welt zur Aufmerksamkeit gemahnte, sofern diese sich nicht gerade über des Hauptmannes Verstand amüsieren, von dem sie ihm einst viel zu wenig zugestanden hatten.

Die Höfischen steckten ihre Köpfe zusammen und tuschelten, als der Hüne im goldenen Kettenhemd, Veteran des großen Krieges, die riesigen behandschuhten Hände in die Hüften stemmte und des Königs Erwiderung harrte. Der Herrscher der weißen Lande, ein weiser, ehrwürdiger Mann mit goldenem Haar.

Das mag er einst gewesen sein. Heute verkörpert er nur mehr seinen eigenen, zusammengesunkenen Schatten. Der Raub seiner Tochter erfüllt ihn mit Pein.

„All meine Gebete sind mit Euch und den anderen Freiwilligen. Mögen die Götter Euch lenken", brachte der König ein schwaches Raunen auf den Weg. 

Und mögen sie ihm seine Tochter zurückbringen. Worte, welche er wohl bewusst nicht anfügt, um eben jenen schrecklichen Gedanken nicht neuerlich zu seiner traurigen Realität werden zu lassen.

Der Hauptmann nickte seinem König zu, machte wortlos auf dem Absatz kehrt und stolzierte mit wehender, roter Löwenmähne aus dem weiten, prunkvollen Saal hinaus. Sein Weg führte ihn zwischen den götterweißen Marmorsäulen hindurch, die sich wie gigantische Spiraltürme zur monströsen, gläsernen Kuppel über ihrer aller Köpfe emporschraubten.

So schlicht sein Gemüt auch sein mag, niemand der Anwesenden würde je auf die Idee kommen, ihm seinen überbordenden Mut abzusprechen – oder diesen zumindest ein klein wenig anders zu deuten.

Er mochte bei weitem nicht der Einzige sein, der dem König heute einen feierlichen Eid geschworen hatte, wenngleich doch der berühmteste von allen. Vor den Mauern des weißen Palastes warteten weitere etwa zweihundert Mann seiner Reichswächter, die sich ebenfalls allesamt freiwillig gemeldet hatten. Dreihundert ‚Unerschrockene' gesellten sich zu ihnen. Sie unterschieden sich jedoch in den Ketten um ihre Fußgelenke von den übrigen Willigen. Viele aus dem einfachen Volk waren gekommen. Jung und Alt, Groß und Klein standen zu Seiten des Weges, als sich der gigantische Tross tapferer Gesellen in Bewegung setzte. Mit wehenden Fahnen, mit Pauken und Trommeln, Hörnern und Trompeten zogen sie hinaus aus der Hauptstadt und hinfort durch die grünen Lande. Träge wie Schnecken holperte das schwere Kriegsgerät über die gepflasterten Straßen. Hölzerne Biester mit Eisenbeschlägen, die dazu taugen würden, jenes eine Biest zu töten, das ihnen allen die Thronfolgerin geraubt hatte.„Verzagt nicht, liebe Menschen", rief der Hauptmann, von seinem schwarzen Hengst herab, den jubelnden Massen immerfort zu, „wir töten das Monster und holen die Prinzessin zurück. Es lebe der König! Es lebe die Königin! Es lebe die Prinzessin!" Einfache Botschaften für die einfachen Menschen. Ihre Liebe galt insbesondere ihm, dem berühmten Kriegshelden, das war nicht zu übersehen oder gar zu überhören und der Hauptmann hätte wahrlich lügen müssen, hätte er behauptet, ihm gefiele diese Art der Zuneigung nicht. Wenig Gefallen fand er hingegen am gesprochenen Wort des Königs in den Ohren der schaulustigen Hofschar. 

„Die Götter mögen uns lenken, hat er gesagt. Ha! Selbst die Götter kennen mich und meine Taten. Ich habe den Bergkönig erschlagen, diesen Riesen aus Felsgestein, selbst ein halber Gott, und ich habe Hundertschaften seiner miesen, kleinen Handlanger in einen frühzeitigen Tod geschickt. Ich selbst bin der Lenker. Ich brauche keine Götter, die mir den Weg zeigen", teilte er seinen Unmut mit jedem, der ihn hörte. Ein Junge mit wallender, schwarzer Mähne, auf einem braunen Wallach, hatte derweil zu ihm aufgeschlossen. Bereits mittels eines einzigen flüchtigen Blickes, erkannte der Hauptmann, dass jenes Grünohr keineswegs zu seinen Männern gehörte. Offensichtlich war er einer der wenigen aus dem einfachen Volke, die seine Kriegerschar begleiteten. Das machte den Hauptmann wütend: „Abenteurer, was? Zu fein dem Reich verpflichtend zu dienen. Nur wenn Gold und Ruhm in Aussicht stehen, kommt ihr aus euren Löchern, wie die Ratten zur Leiche." Der Junge musterte den Hauptmann daraufhin ungläubig aus seinen dunklen, braunen Augen. So unschuldig wie die eines Rehkitzes wirkten sie, doch spiegelte sich Anmaßung und Hochmut darin. Derlei Gestalten mochte der Hauptmann nicht, weshalb er sich weiter absetzte und den Reiter wieder hinter sich ließ. Er kannte diese Art Jungen. Sie waren immer die ersten, die in den Schlachten starben und hinter den Landesmauern würde das identische Schicksal auf seinesgleichen warten, wie in den heiligen Bergen, wo der Hauptmann seine bislang größte aller Schlachten geschlagen, wo er dem Bergkönig das Herz herausgerissen und damit einen siebenmonatigen Krieg beendet hatte.

Sieben Tage und sieben Nächte dauerte die Reise der Willigen und mit jedem Tag dünnten die jubelnden Massen mehr und mehr aus, wurden die Dörfer seltener und kleiner, die Landschaften karger und ärmlicher, die Straßen holpriger, bis diese sich schließlich in Gänze auflösten. „Die Randbereiche der weißen Lande sind trostlos und traurig. Sie machen den Menschen Angst", hörte der Hauptmann einen seiner Leutnanten klagen. „Frauen und Kinder und gemeine Männer mögen Angst vor dem Rand haben", gab der Hauptmann lautstarkes Contra, „aber wir nicht. Wir sind furchtlose Krieger. Ruhm und Ehre treibt uns an."

Und das Gold, welches man ihnen versprochen hat. Die Prämisse ist dieselbe. Ich bin gespannt, welcher Weg es dieses Mal sein wird.

„Die Tochter unseres Königs treibt mich an", vernahm er kurz darauf eine fremde Stimme. Auf der Suche nach deren Ursprung landete des Hauptmannes Blickes im Gesicht eines seiner eigenen Männer. Das Grünohr schon wieder„Wer keine Furcht kennt, bei dem herrscht offenbar Durchzug im Oberstübchen", lachte dieser nur und trieb seinen Gaul schließlich in Richtung Horizont, wo die Grenzmauer hoch in den Himmel ragte. „Da kann er gleich bleiben", dachte sich der Hauptmann. Des Jungen Platzes würde künftig in der Vorhut sein. Besser das, als ihm die Zunge herauszureißen.  

Land der SchmetterlingeWhere stories live. Discover now