Der Moment an den ich gehöre

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Das Appartement war ebenso sauber, wie es leer war. Alles wirkte aufgeräumt und gereinigt, alles hatte seinen festen Platz und für Überflüssiges war hier kein Platz. Wäre die Wohnung nicht von so einer düsteren Aura umgeben, hätte man sie als steril bezeichnen können. Dafür war aber zu wenig Weiß und Helligkeit in ihr. Nicht nur die Ausstattung und die Möbel, auch das Licht und die Aufteilung der Etage wirkten wohl platziert und mit Bedacht gewählt. Alles strukturiert und geplant, aber düster und mysteriös. Ein Querschnitt von Tonys Geist. Sein Wesen spiegelte sich in jeder Ecke wieder. Und Bella musste sich ein Schmunzeln verkneifen, als sie wieder zurück in das Wohnzimmer trat und sich Tony vorstellte, der den Inneneinrichter zur Weißglut trieb indem er alles bis auf den kleinsten Nagel und die kleinste Schraube in diesem Raum kontrollierte, kritisierte und dem Inneneinrichter sagte, dass er es nochmal neu machen müsse.

Als Bella den Raum wieder betrat, mit dem Lächeln auf den Lippen, saß Tony bereits auf dem überdimensionalen aber sehr gemütlich aussehenden Sofa. Auf dem Designer-Sofatisch aus Massivholz standen zwei leicht gefüllte Weingläser mit einem langen Stiel und einem schmalen Kelch. Bella setzte sich neben Tony aufs Sofa und wurde rot als sie merkte, dass er sie währenddessen die ganze Zeit beobachtete. Sie setzte sich, kreuzte die Beine und faltete ihre Hände. Verlegen schaute sie auf den Boden und Tony sagte "Das war ein sehr schöner Abend. Ich genieße es sehr, Zeit mit dir zu verbringen, weil du mit deiner natürlichen und zurückhaltenden Art irgendwie einen Ruhepol bildest, der meinem Alltag sonst fehlt. Ich reibe mich an vielen Dingen auf, aber du hast mir heute Abend gezeigt, dass du mir gut tust. Dass du mich abschalten und die Zeit mit dir genießen lässt. Auf einen schönen Abend!" Tony reichte Bella das Weißweinglas und hielt ihr seins zum Toast entgegen. Bella wusste nicht so recht, was sie dazu sagen sollte. Sie zwang sich dazu, Augenkontakt herzustellen, auch wenn das ihrer schüchternen Art widerstrebte und antwortete "Ich fand den Abend auch sehr schön" und stieß mit ihrem Glas vorsichtig gegen Tonys, woraufhin die Gläser in einem hellen Ton klangen und den Raum damit erfüllten. Tony lächelte, denn das war exakt die Art, die er meinte.

Sie unterhielten sich während sie den Wein genossen und das Licht des Gaskamins durch den Raum tanzte. Bella erzählte von ihrer Schulzeit und ihren Wünschen und Träumen für die Zukunft und Tony versuchte immer wieder, sie dazu zu bringen sich mehr zu öffnen, indem er ihr interessiert zuhörte, sie über ihre Familie und Freunde ausfragte und versuchte so viel wie möglich über sie in Erfahrung zu bringen. Bella taute merklich langsam immer weiter auf. Und eh sich die beiden versahen, war die halbe Flasche Wein leer. Und plötzlich, als einen kurzen Moment Stille war, stellte Tony sein Glas auf dem Sofatisch ab, drehte seinen Oberkörper in Bellas Richtung, nahm eine von Bellas Händen in seine linke Hand und fuhr mit der rechten Hand an ihren mit teuren Ohrringen behangenen Ohren vorbei durch ihre Haare und begann, sie zu küssen. Bella liebte diese unvorhergesehenen Situationen, in denen sie sich einfach direkt in seiner Kontrolle befand. Sie ließ sich gerne in diese Situationen hineingleiten und von ihm lenken, als wäre sie ein Boot, das auf dem offenen Meer treibt und das nur jemanden braucht, dass es steuert. Sie überließ Tony die Führung, als würden sie tanzen und Tony gibt den Takt vor. Und so gab sie sich auch seinem Kuss hin. Tony wusste außerdem immer genau, wo er jemanden anfassen und berühren musste, um ein Gefühl von Intimität und Nähe zu erzeugen. Das machte den Körperkontakt zwischen ihnen beiden so besonders und genießenswert. Und es mag dieses wohlige und strukturierte Ambiente seiner Wohnung sein oder auch seine einnehmende Art, aber Bella vergaß in diesem Moment alles um sich herum. Sei war wie seine Marionette, wann immer er sie berührte, unfähig zu widerstehen und fühlte sich einfach nur wohl und geborgen, als gehöre sie genau dort hin. Als wäre sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

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