Kapitel 67

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~Amelia~ 

„Die haben mich ernsthaft für tot erklärt!" Unzufrieden verschränkte ich die Arme, nachdem ich mir ein letztes Mal über das Gesicht gewischt hatte, um die lästigen Tränen wegzuwischen.

Marlies ließ sich mit der Weinflasche neben mich auf das Sofa sinken. „Totgesagte leben länger", kommentierte sie nur und trank einen großen Schluck.

„Das ist im Moment nicht besonders förderlich", sagte Elyanor und nahm Marlies sanft aber bestimmt die Flasche aus der Hand.

„Ich meine, es ist eine Sache, mich zu verhaften und so ... aber tot? Ich?" Frustriert nahm ich Elyanor nun meinerseits die Flasche ab und trank einige Schlucke daraus.

„Ich frage mich, wie deine Beerdigung aussieht." Marlies kicherte leise. „Immerhin warst du die Verlobte von Calder, das steht in öffentlichem Interesse. Denkst du, wir sollten hingehen?" 

"Ja, so ein Auftritt wäre wohl ganz nach deinem Geschmack", kommentierte ich. 

Langes Schweigen folgte und niemand wusste offenbar, was er sagen sollte. Elyanor brachte die Weinflasche wieder an sich und stellte sie außer Reichweite auf dem Tisch ab. 

„Ich glaube, wir sollten nicht so viel trinken", sagte sie leise. 

Sie musste wohl bemerkt haben, dass ich wieder kurz davor war, loszuheulen. Ich hasste das. Weinen brachte nichts und doch konnte ich es diesmal nicht zurückhalten. Ich konnte die Male, an denen mir das passiert ist, an einer Hand abzählen.

Ich atmete tief durch und versuchte mich zu sammeln. Nein, meine Beerdigung fällt heute aus.

„Ely?", fragte eine Stimme von der Tür aus.

Wir drehten uns um und sahen Lio im Türrahmen stehen. Elyanor stöhnte leise auf und wandte sich dann ihrem Bruder zu. „Wir führen hier gerade ein Frauengespräch. Was willst du?"

Überrascht sah ich sie an. So unhöflich kannte ich sie normalerweise gar nicht. Aber vielleicht war sie einfach nur genervt von ihrem kleinen Bruder. Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter und sah sie verständnisvoll an.

„Dein Vater ist doch jetzt wichtiger. Ich sitze hier rum und heule wegen meiner Probleme, während das Leben deines Vaters in Gefahr ist."

Elyanor presste die Lippen aufeinander und warf mir einen Blick zu, der schon fast als Todesblick durchgehen konnte. Dann stand sie auf, um sich die Weinflasche zu holen und leerte sie auf einen Zug. Anscheinend wollte sie nicht darüber reden.

Lio trat langsam über die Türschwelle, als wolle er seine Schwester nicht reizen. Nicht zum ersten Mal fiel mir auf, dass seine Art irgendwie nicht zu einem 16-jährigen passte. „Ich habe das mit der Selection mitbekommen, dass die Rebellen anscheinend den Aufnahmeraum gestürmt haben. Mehr weiß man noch nicht."

Elyanor nickte langsam. „Ich weiß. Ich werde mich bald darum kümmern und einen Krisenstab zusammenstellen..." Sie zögerte. „Weißt du etwas neues von Papa?"

Lio nickte vorsichtig. „Es gibt wohl neue Hinweise auf den Attentäter."

„Gut."

Ich bemerkte Marlies' Schuldbewussten Blick, den sie jedoch schnell verbarg. Ich wollte jetzt nicht in ihrer Haut stecken und hatte keine Ahnung, wie wir mit der Situation umgehen sollten. Irgendwann würde es sowieso rauskommen.

Wenn diese lästigen Gefühle wieder abklingen würden und jeder von uns wieder rational denken konnte, würde sie eins und eins zusammenzählen und sich fragen, wer da eigentlich mit mir gekommen war und wie sie so schnell hier war.

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