Kapitel 16

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~ Amelia ~

Emma hat sich nicht gemeldet, aber das war mir ziemlich egal. Zumindest hatte sie in meiner Gegenwart keine beleidigenden Kommentare mehr abgegeben. Rachels Knochen war zum Glück nicht gebrochen, aber es war noch nicht sicher, ob sie beim Bankett teilnehmen konnte.

Ich hatte bald meine erste Verabredung mit Calder - meine erste offizielle jedenfalls und er hatte mir vorhin wie befürchtet ein Kleid bringen lassen, das ich anziehen sollte. Noch steckte es in einer schwarzen Hülle und ich hatte es noch nicht gesehen.

Mary machte mir die Haare, während Beatrice mir ein wenig Make-up auflegte. Die beiden waren derart aufgeregt, dass ich sie widerstandslos gewähren ließ. Ich musste jedoch zugeben, dass mich die Kleider nicht mehr ganz so abschreckten, wie zu Beginn der Selection und bis zu einem gewissen Grad trug ich sie mittlerweile sogar gerne.

"Ist es in Ordnung, wenn ich deine Haare locke?", fragte Mary und riss mich aus meinen Gedanken. "Ja, klar."

"Wie lange seid ihr eigentlich schon im Palast?", fragte ich interessiert.
"Also ich bin erst seit drei Jahren hier, aber Beatrice war schon bei der letzten Selection dabei."

Ich sah sie an. "Tatsächlich? Wie alt bist du denn?" Beatrice warf mir einen gespielt beleidigten Blick zu. "Oh, tut mir leid, du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht willst", ruderte ich zurück.

"Nein, ist schon in Ordnung. Ich bin mit achtzehn Jahren in den Palast gekommen, als die letzte Selection mit König Alexander stattfand." Das war vor etwa zwanzig Jahren gewesen.

"Und wie war es damals? Waren Sie auch einer Kandidatin zugeteilt?" Das war ja spannend. "Ja, ich wurde Königin Sophia zugeteilt. Wir haben uns alle gefreut, als König Alexander sie gewählt hat." Wow, die Königin!

"Wie war sie denn so?" Neugierig bist du gar nicht. "Sie war wirklich nett, aber sie war anders als die anderen Kandidatinnen und ist deshalb oft zur Zielscheibe geworden. Sie hatte als Einzige magische Kräfte."

"Ach ja?" Ich horchte auf. "Welche Gabe hat sie denn?"
"Das weiß bis heute niemand genau. Sie hat sie nie gezeigt. Das machte sie umso geheimnisvoller und alle haben auf sie gewettet."

"Es werden tatsächlich Wetten auf uns abgeschlossen?", fragte ich ungläubig. Mary lachte. "Natürlich, was glaubst du denn? Die Einen fiebern tatsächlich mit den Kandidatinnen mit und die Anderen sehen es als Gelegenheit, ihren Lohn ein wenig aufzubessern."

"Was, ehrlich?" Ich musste lachen. "Das ist doch absurd!" Beatrice sah mich an.
"Ganz im Gegenteil. Wenn am Ende nur noch zwei Kandidatinnen pro Prinz übrig sind, wird es besonders spannend. Die Zofen der Kandidatin, die letztendlich gewählt wird, werden geehrt und steigen im Rang auf." 

"Gerade wir können das brauchen", seufzte Mary und Beatrice rammte ihr den Ellenbogen in die Seite. "Mary!" 

"Wieso das? Bekommt ihr kein anständiges Gehalt?"
Beatrice sah Mary mahnend an, doch sie ignorierte sie geflissentlich. "Wir arbeiten hier für einen Hungerlohn und Beatrice ist Witwe und hat drei Kinder, die sie kaum ernähren kann."

"Mary, es ist nicht in Ordnung, solche Details über mein Leben zu verraten!" Beatrice wurde laut und ich saß hilflos zwischen ihnen. Sie hatten beide von meinen Haaren und meinem Gesicht abgelassen und starrten sich an.

"Tut mir leid", meinte Mary schließlich und fuhr fort, meine Haare einzudrehen. Eine Weile sagte niemand etwas und sie arbeiteten schweigend vor sich hin, bis ich es nicht mehr aushielt und meinen Mund aufmachte.

"Und du bist seit drei Jahren hier, Mary?", fragte ich und versuchte so, die Stimmung etwas zu lockern. Mary nahm die Gelegenheit dankend an. "Ja, ich bin ebenfalls mit achtzehn hergekommen. Vor ein paar Monaten habe ich jemanden kennengelernt. Er heißt Andrew und ist ein Soldat, der hier im Palast als Wache abgestellt wurde."

"Das ist ja schön!", meinte ich und Mary wurde rot. "Ich glaube er will mir bald einen Antrag machen", schwärmte sie, doch dann sah sie mich erschrocken an und legte eine Hand auf ihren Mund. "Oh, tut mir leid."

"Was ist? Hast du meine Haare verbrannt?" Mary lachte. "Nein, aber es muss doch schrecklich sein, so etwas zu hören. Immerhin hast du nicht diese Freiheit, dir einfach jemanden auszusuchen."

"So empfinde ich es auch gar nicht und wenn ich wieder zu Hause bin, habe ich diese 'Freiheit' ja wieder. Ich glaube sowieso nicht daran, hier jemanden zu finden. Wahrscheinlich bin ich schon in ein paar Runden draußen. Macht euch also nicht zu viele Hoffnungen." Sie sahen tatsächlich enttäuscht aus.

"Naja, wir werden trotzdem unser Geld auf dich setzen. Andrew hat seine Wette schon abgegeben. Es laufen sogar schon interne Rankings."

Mary trat zurück und gab mir die Sicht auf den Spiegel frei.

"Du siehst einfach bezaubernd aus", meinte sie. "Dann wollen wir mal sehen, wie dir das Kleid gefällt." Ich drehte mich auf meinem Stuhl um. "Ihr habt es schon gesehen?"

"Natürlich!" antwortete sie vergnügt und klatschte in die Hände. "Ich bin schon gespannt, was du dazu sagst." Beatrice packte währenddessen gedankenverloren die Schminksachen weg und beachtete uns gar nicht. Sie tat mir leid. So wie es aussah, war es noch gar nicht so lange her, dass ihr Mann gestorben war.

Ich nahm mir vor, ihr bei meiner Abreise etwas Geld zu geben. Soweit ich wusste, bekam jede Kandidatin eine ordentliche Abfindung und die war umso größer, je weiter man kam. Ich sah wieder zu Mary, die den schwarzen Kleidersack holte und den Kleiderbügel an dem hohen Spiegel aufhing.

"Jetzt bin ich aber mal gespannt", sagte ich mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. Mary lächelte nur und zog mit einer dramatisch langsamen Bewegung den Reißverschluss nach unten. Zum Vorschein kam... ROSA. Ein rosafarbenes Kleid! Der Typ hat sie doch nicht mehr alle!

Ich schwöre, wenn er jetzt hier wäre, ich würde ihm den nächstbesten Gegenstand an den Kopf werfen, um so seinen Gehirnschaden zu reparieren. Mary musste an meinem Gesichtsausdruck erraten haben wie ich das Kleid fand.

"Ach komm schon, so schlimm ist es doch auch wieder nicht. Probiere es doch wenigstens einmal an!" Sie sah mich bittend an. Doch ich hatte nur Augen für das Kleid. Ich konnte mich so nicht draußen blicken lassen. Aber was war die Alternative?

Ich würde es anziehen, nur um es dann nie wieder zu tun. Resigniert stand ich auf und Mary zeigte mir ein strahlendes Siegerlächeln. Dann half sie mir ins Kleid und ich sah mich erneut im Spiegel an. Ich sah komisch aus. So wie eine zarte Blume und nicht wie die Kriegerin, die in mir steckte. Aber ich hatte erwartet, dass es schlimmer sein würde.

"Danke, dass ihr mir geholfen habt!", sagte ich zu den beiden und umarmte sie, was sie ziemlich überraschte. "Gern geschehen", meinte Beatrice und sah mich nun verlegen an. "Heißt das es gefällt dir?", fragte Mary aufgeregt.

"Nein. Und die Kleider, die im Schrank hängen, bleiben auch dort und werden nicht ersetzt." Demonstrativ sah ich an dem rosafarbenen Kleid hinab, mit dem ich mich noch gar nicht anfreunden konnte.

Noch bevor sie etwas erwidern konnten, klopfte es an der Tür. Das war dann wohl meine Verabredung.

Fortsetzung folgt...

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Hii,

ich hoffe wie immer, dass euch das Kapitel gefallen hat und die Unterhaltung nicht langweilig geworden ist.

Wie immer freue ich mich auf eure Kommentare und Meinungen ;)

~ 1247 Wörter

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