Kapitel 57

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 ~ Amelia ~ 

Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück und streckte meine noch immer gefesselten Hände weit von mir. Andrew hatte mich in einen Verhörraum geführt und mir ein Paar Handschellen, das mit einer langen Kette am Tisch befestigt war, angelegt, bevor er verschwunden war.

Seit einer Stunde saß ich nun schon in dem fensterlosen Raum und wartete. Plötzlich hörte ich Stimmen, die von draußen durch die Tür drangen, aber ich konnte nicht verstehen, was gesagt wurde. Unauffällig atmete ich tief durch, um mich zu beruhigen.

Irgendwie machte ich mir angesichts der Situation schon Sorgen, aber ich versuchte das, so gut es ging zu überspielen. Mir war nicht geholfen, wenn man mir meine Nervosität anmerkte.

Meine Gabe konnte ich im Moment leider auch nicht anwenden. Meine Unsichtbarkeit half nicht, solange ich gefesselt war. Jetzt wäre Calders Gabe sehr nützlich. Ich seufzte bei dem Gedanken an ihn, wie schon so oft in der letzten Stunde.

Ein kleiner Teil von mir fragte sich insgeheim, ob er mich verraten hatte. Er war ganz plötzlich gegangen und war angeblich von seinem Vater gerufen worden. Keine zwei Sekunden später hatten die Palastwachen sein privates Geheimzimmer gestürmt, in dem wir uns mit dem General trafen.

So könnte er immerhin den Verdacht von sich lenken, indem er behauptete, ich sei diejenige gewesen, die auch das Attentat auf das Bankett geplant hatte und so seinen Namen reinwaschen, um noch eine Chance als Thronfolger zu bekommen und seine Ziele umzusetzen.

Aber traute ich ihm das wirklich zu? Ich hatte ihm die ganze Zeit über blind vertraut, aber jetzt, da ich so darüber nachdachte...

Bevor ich den Gedanken weiter ausführen konnte, wurde die Tür plötzlich geöffnet und ein älterer Mann in Uniform – vermutlich der Chef der Palastwachen oder sogar der Leibgarde – trat ein. Ihm folgten einige Palastwachen, die wohl zusätzlich bereitgestellt waren und ... Aiden?

Tatsächlich. Ich musste zweimal hinsehen, bis ich mir auch wirklich sicher war, dass er gerade den Raum betreten hatte. Hinter ihm ging Nicolas und – Calder. Er war es tatsächlich. Ich versuchte, irgendetwas an seinem Gesichtsausdruck abzulesen, aber er war eiskalt.

Vielleicht wollte er seine Gefühle in dieser Situation nicht zeigen oder er offenbarte mir nun sein wahres Gesicht und hatte mir die ganze Zeit etwas vorgespielt. Dieser Moment erinnerte mich an unser allererstes Treffen.

Er hatte desinteressiert gewirkt und aufgehorcht, als ich gesagt hatte, dass ich Soldatin war... die ihm bei seinem Putsch helfen konnte oder der er die Schuld in die Schuhe schieben konnte, um von sich abzulenken.

Die Tür wurde wieder geschlossen und der Mann setzte sich mir gegenüber an den Tisch. Calder, Aiden und Nicolas lehnten weiter hinten an der Wand, während die Wachen hinter mir strammstanden.

„Amelia", begann der Mann und mir fiel sofort auf, dass er mich nicht bei meinem Titel nannte. Er war mir in der Zwischenzeit vermutlich aberkannt worden. „Ich bin Jakob von Hohenberg und werde Sie heute zu den Vorwürfen befragen, die gegen Sie im Raum stehen."

„Ich denke Ihnen ist bewusst, in welcher Lage Sie sich befinden. Sie wurden sozusagen auf frischer Tat ertappt." Er nahm einen Notizzettel zur Hand und warf einen kurzen Blick darauf.

„Verschwörung gegen die Krone, Verrat an Prinz Calder und Gefährdung der äußeren Sicherheit aufgrund von Vergehen wie einem Putschversuch, die erschlichene Teilnahme an der Selection und der Gefährdung von Kronprinzessin Elyanor von Arvandor auf eben genanntem Bankett."

Jakob von Hohenberg lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete mich abschätzend. „Nicht zu vergessen dem neuesten und aktuellsten Vorwurf. Landesverrat. Ihnen muss klar sein, dass sie unverzüglich und unter Aberkennung sämtlicher militärischer Titel entlassen werden."

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