Beim Aussteigen griff er noch schnell nach seinem langen, schwarzen Mantel und zog diesen über. Ihm war nicht kühl, er fror eigentlich nie, aber er hoffte, dass es ihm die ein oder andere Frage nach seinem ramponierten Outfit ersparte, hatte der noch saubere und wie gewohnt gepflegte Mantel doch während seines Waldausfluges im Wagen auf ihn gewartet. Ein Blick nach untern verriet ihm jedoch, dass an seinen versenkten Hosenbeinen nichts mehr schönzureden war. Nun ja, es ließ sich nicht ändern.

Er stieg die wenigen Holzstufen zur Eingangstür hinauf, und noch bevor er oben ankam, flog die Tür auf und ein wirbelwindartiges Etwas auf ihn zu.

Amia drückte sich fest an ihn und schluchzte seinen Namen. Erschrocken blickte Nicolas auf den an seinen Bauch gepressten braungelockten Wuschelkopf hinab. Schließlich löste er das kleine Mädchen mit leichten Druck von sich, kniete nieder und wischte ihr mit seinem Handrücken die Tränen von den Wangen. »Was ist denn los?«, wollte er besorgt wissen.

»Wir hatten alle solche Angst um dich! Aber eigentlich dachte ich die ganze Zeit, du schaffst das. Aber dann war ich mir auch wieder nicht sicher«, brach es aus ihr heraus. »Ich war mir überhaupt nicht mehr sicher!« Erneut füllten sich ihre großen runden Augen mit schimmernden Tränen.
In Nicolas Besorgnis mischte sich Verwirrung. »Ihr hattet Angst? Um mich? - Und ich dachte, bei euch ist etwas passiert.«

»Bei uns ist alles gut,« schluchzte es weiter an seiner Brust. »Außer dass Adam dich jetzt umbringen will, weil du noch lebst.« Nicolas sah auf und erblickte hinter Amia im Türrahmen stehend Adam. Selbst ohne Amias Warnung hätte er bemerkt, dass dieser Mordpläne für ihn bereithielt, es war seiner Miene überdeutlich zu entnehmen. Er hatte die gleichen nussbraunen Augen wie seine Schwester, doch von Amias Sorge war dort keine Spur zu erkennen. Oder täuschte er sich?

»Du kommst besser erst einmal herein«, knurrte Adam frostig und trat aus dem Türrahmen, um ihm Platz zu machen.

Mit Adam und Amia auf den Fersen und ohne sich die Mühe zu machen, die schweren Stiefel auszuziehen, betrat Nicolas den kleinen Vorraum und ging durch eine weitere Tür in das großzügig geschnittene Wohnzimmer des Hauses. Dieses strahlte eine einladende Wärme und Gemütlichkeit aus. Bei Tag gaben hier große Fensterfronten den Blick auf den Wald und den Garten frei, wurden jetzt aber von schweren Vorhängen verhüllt. Im Kamin knisterte ein Feuer, welches für wohlige Behaglichkeit im Raum sorgte. Auf dem weichgepolsterten Sofa hing, anders konnte man das bei aller Liebe nicht ausdrücken, Marlon. Ein gutmütiger, schlaksiger Junge mit lockigen rotblonden Haaren und einer nicht zu seinem Gesicht passen wollenden Brille auf der Nase. Seine 20 Jahre konnte man ihm beim besten Willen nicht ansehen. Aber da Nicolas um Marlons speziellen Fähigkeiten wusste, begang er nicht den Fehler, diesen zu unterschätzen und er nickte ihm zu.

Und dann war da noch Tara. Was nur hatte sie hergeführt? Tara lehnte mit verschränkten Armen an der Wand neben der Tür und schien geradewegs auf ihn hinabzublicken. Wie sie das anstellte, war Nicolas ein Rätsel, war sie doch ein gutes Stück kleiner als er selbst. Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte sie ihn von oben bis unten und zweifelsfrei entging ihr kein Detail seines ungewöhnlich mitgenommenen Zustandes. Spöttisch blickte sie ihn an, als wolle sie sagen: »Na, kleiner Bruder, da hast du ja wieder was angestellt.«

Sie schlenderte betont lässig auf Nicolas zu und drückte ihn aufs Sofa, direkt neben Marlon. Nicolas sah keinen Sinn darin, sich zu wehren, hob entwaffnend die Hände und ließ sich sinken.
Es war Redezeit.

»Also dann mal los, erzähl!«, kam Tara direkt zur Sache.

Fragend hob Nicolas eine Augenbraue. »Ihr habt mich angerufen. Ihr wolltet, dass ich herkomme. Vielleicht klärt ihr mich erst einmal auf. Muss ja was Schreckliches passiert sein.«
Bei diesen zu betont lässig dahin geworfenen Worten verlor Adam die Beherrschung. »Zur Hölle mit dir! Findest du das alles lustig? Du weißt genau, worum es geht. Oder hast du deinen Abend genossen? - Nichts Ungewöhnliches passiert, nein? Also wir hatten ja einen Heidenspaß, während wir fast gestorben sind vor Sorge um dich«, schoss es wie Giftpfeile aus ihm heraus, quer durch den Raum.

♥︎Bad Salvation♥︎ - The Girl With The VampireWhere stories live. Discover now