Kapitel 32- So nah wie nur möglich

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Als wir zurückgingen, war es schon sehr spät. Die Nacht stand über uns, nur die Sterne spendeten uns Licht. Der Mond war mitten unter ihnen.

Immanuel gestand mir, was er empfunden hatte, als er die Doku live mit verfolgt hatte. „Das war echt mutig von dir!", lobte er mich, „du bist eine sehr starke Persönlichkeit!" „Naja", widersprach ich verlegen, „die anderen haben euch ihre Scheu überwinden und sich ihren Ängsten stellen müssen!" „Stimmt schon. Aber du hast es gewagt, den Anfang zu machen!" „Nun ja, irgendwann wäre eh einer dran gewesen. Ob nun mehr oder weniger freiwillig..." „Du, Rahel", meinte er plötzlich, gefährlich leise, sanft, „ist das, was Mengele dir angetan hat, wirklich... wahr?" „Natürlich, hätte ich es sonst gesagt?!" „Nein, aber... hast du es kurz nachdem er es tat gewusst oder erst viel später?" „Währenddessen. Er sagte es mir, als ich sein Büro verließ." „Also bist du wirklich... unfruchtbar?" „Ja, so ist es." Ich nickte bestätigend. „Und... wenn du könntest, hättest du dann trotzdem noch weitere Kinder?" Ich wischte mir eine Träne von den Wangen, die sich dorthin verirrt hatte. „Oh ja! Es war immer mein und Christians Traum, viele Kinder zu haben, eben eine richtige Großfamilie!" „Aber er lebt nicht mehr. Wer sollte sonst der Vater sein?" Ich schaute zu ihm hinüber, war mir allerdings nicht ganz sicher, ob er meinen Blick durch die Dunkelheit erkennen konnte. „Du natürlich!" „Wirklich?" „Ja." So hingen wir noch eine ganze Weile unseren Träumen nach, die sich nie erfüllen würden, weil verschiedenste Geschehnisse und Personen ihnen im Weg gestanden hatten. „Aber guck' mal, bei denen, die sterilisiert worden sind, gab es bestimmt auch ein paar Frauen, die noch nie Kinder gehabt hatten, aber wohl welche wollten, oder alle verloren hatten. Was glaubst du, wie denen jetzt zu Mute ist, wenn sie nie dem Wunsch, eine eigene Familie zu gründen, nachgehen können, insofern sie heute noch leben?" Er nickte traurig. „Doch es gibt auch viele Waisen, vielleicht schaffen sie es, eines anzunehmen. Da wären gleich zwei Menschen von heute auf morgen nicht mehr einsam." „So wie wir!", entfuhr es mir.

Ich spürte seinen begehrenden Blick auf meiner Stirn, meinen Augen, meinen Brüsten, und er wanderte anschließend zu meinem Schoß hinunter. Obwohl es, wie gesagt, schon spät war, hielt sich die Temperatur noch erstaunlich warm. Lange würde uns das Herbstwetter allerdings nicht mehr so verwöhnen. Warum es dann nicht genießen, so lange es noch da war?

Mitten im reinen Mondschein küssten wir uns. Wir waren beide nicht mehr schüchtern und zeigten genau, was wir wollten. Worte brauchten wir nicht, wir arbeiteten mit Gesten, Berührungen und Blickkontakt.

Für Immanuel war es selbstverständlich nicht leicht, mir das körperbetonte Kleid auszuziehen. Um es nicht auf der Wiese zu beschmutzen, legte er es auf eine Holzbank, die in unserem Sichtfeld stand. Wir selbst lehnten uns an einen alten Eichenbaum.

Immanuel hörte nicht auf zu küssen, als seine Finger sich zu meinem Unterleib heruntertasteten. Das einzige, was ich noch auf dem Leib trug, war ein dünnes Hemd und ein Schlüpfer. Meine Häftlingskleidung hatten wir gleich dort gelassen, wo sie hingehörte: in den Müll!

Er war sehr, sehr sanft, behutsam. Außerdem war es nicht mein erstes Mal, wodurch ich weniger Schmerz empfand und besser mit ihm umzugehen wusste. Er hingegen war ziemlich unerfahren, er brauchte recht lange, um mir das zu geben, was eine Frau eben braucht, wenn sie befriedigt werden möchte. Aber das war nicht weiter schlimm. Schließlich hatten wir ja alle Zeit der Welt.

Ich stöhnte, und Immanuel musste mir eine Hand auf den Mund pressen, damit niemand von unserem Liebemachen erfuhr. Es wäre natürlich ungünstig, wenn jemand von der Armee oder auch eine Privatperson Zeuge davon wurde, wie ein vermeintliches Amiliebchen mit einem US-amerikanischen Offizier schlief...

Ich hatte kein Zeitgefühl mehr. Ich befand mich in einem Paralleluniversum, in dem es solche störenden Nichtigkeiten nicht gab. Und so schnell wollte ich nicht wieder in die knallharte Realität zurück.

Noch lange nach dem Höhepunkt hielten wir uns eng umschlungen und bedeckten uns mit Küssen. Noch etwa drei Stunden verharrten wir in inniger Umarmung, bis Immanuel mir half, mich wieder anzukleiden, und wir uns wirklich auf den Heimweg machten. Noch immer befanden wir uns in dem glücklichen Rausch, der sich Liebe nennt. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ich so schnell nach Christians Tod jemanden finden würde, den ich ohne Schuldgefühle lieben konnte. Es war wirklich schade, dass ich von nun an unfruchtbar war. Mir hätte es nicht einmal etwas ausgemacht, in jener Nacht schwanger geworden zu sein. Und Immanuel wäre bestimmt liebend gern ein guter Vater geworden...

Geboren neben Asche und Leichen- Überlebenschance?Where stories live. Discover now