Kapitel 5- Die Niederlage bei Stalingrad

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Natürlich war uns allen klar, dass die SS-Männer Privilegien genossen, von denen wir nur träumen konnte. Nicht nur die medizinische Versorgung, die sie bekamen, sobald sie sie brauchten, unterschied uns von ihnen. Sie besaßen Tabak, durften rauchen, mussten sich nie sorgen darüber, ob sie am nächsten Tag noch genug zu essen bekamen, sodass sie überleben konnten. Während des gesamten zweiten Weltkriegs wurde nie ein KZ bombardiert, weil wir geschwächten Häftlinge niemand mehr waren, der hätte besiegt werden müssen. Demzufolge war auch Sicherheit einer der Gründe, weshalb sich Männer dazu entschlossen, der SS, also der inneren Wehrmacht Deutschlands, anzuschließen.

Sie wurden nicht von ihren Familien getrennt. Sie bewohnten ein eigenes Gebäude, in dem noch genug Platz für Frauen und Kinder waren. Diese wuchsen unmittelbar neben dem Lager auf. Es klingt grausam, aber wenn eines von ihnen einmal zu hoch schaukelte, konnte es direkt in die Gaskammer hineinsehen, in der gerade über Tausend Menschen jammervoll erstickten. Und ihnen wurde beigebracht, dass wir halt Arbeitstiere waren, dass unsere Behandlung das normalste der Welt sei! Sie kannten es nicht anders, als dass die Deutschen die Herrenrasse waren, die über andere befehlen und richten konnte, wie sie wollte. Und glaubt mir, wenn man etwas jahrelang eingetrichtert bekommt, hält man es irgendwann selbst für bare Münze! Wer will schon gerne das Lob, die Bevorzugung, die ihm zuteilwird, entbehren? Wer würde schon über das Leid der anderen klagen, wo er selbst im Wohlstand lebt? Wer würde als kleines Kind seinen Eltern keinen Glauben schenken, wo diese doch beteuerten, dass alles so in Ordnung sei?

Einmal sah ich eine schwangere Frau an uns vorbeigeben, neben ihr ein SS-Mann, er streichelte sanft ihren Bauch und machte ihr Komplimente, die sie mit einem Lachen quittierte. Eine unmenschliche Wut stieg in mir auf, als ich Zeugin davon wurde. Ja, so könnte es mir auch gerade gehen, wenn diese Monster mir nicht meinen Mann genommen hätten und mein Babybauch nicht mehr als klein und ich frei und ungebunden wäre! Wie konnten sie das nur tun!? Sie wussten doch, wie es war, eine eigene Familie zu haben, die man liebte, deren Bestes man wollte! Wäre es für sie etwa nicht schlimm, wenn sie ihre Verwandten verlieren würden? Wie kann ein Vater mit seinem Kind spielen, wenn er weiß, dass unter seiner Hand Tausend andere sterben? Wie kann eine Schwangere sich auf ihr Baby freuen, wo sie weiß, dass Tausend davon direkt zu ihren Füßen erfrieren, verhungern oder ersticken, ohne dass sie sich dazu bequemt, ihnen zu helfen?- Es gab so viele Dinge, die ich nicht verstand, und hätte ich die Kraft dazu gehabt, hätte ich meine Fragen wohl in den Himmel geschrien, aber sie wären zu mir zurückgehallt, weil niemand sie hätte beantworten können.

Neben ausreichend Essen, Trinken und Tabak besaßen die SS-Männer vor allem eines, das ihnen heilig war und das ihnen manch vergnügten Abend bereitete: einen Kinosaal! Oh ja, während wir schufteten, konnten sie Filme ansehen, saufen und lachen und sich amüsieren! Ich hätte ihnen allesamt den Hals umdrehen können, wenn ich sie dort sitzen sah, gebannt auf den Bildschirm starrend.

Manchmal, wenn wir Häftlinge fertig mit unserer „Arbeit" waren, drängten wir uns an die Fenster, um auch etwas „von der Welt" mitzubekommen. Natürlich heimlich, wären wir entdeckt worden, dann hätte es für keinen von uns Erbarmen gegeben! Ab in die Gaskammer, und fertig!

Ich erinnere mich genau noch an jene Nacht, in der wir uns wieder vor dem Gebäudekomplex versammelt hatten, um auch ein bisschen Ablenkung in diesem ganzen Leid und Elend zu haben. Wir waren insgesamt zwanzig Leute, zehn Männer und zehn Frauen. Die anderen schliefen schon, waren zu entkräftet, um mitzukommen, oder wollten sich einfach nur ausruhen. Doch uns, die wir dort standen, packte die Neugier. Wir wussten, dass wir Dinge erfahren würden, die uns sonst niemand anvertrauen würde.

Draußen war es schon dunkel, wir konnten kaum etwas erkennen, teil wegen der schlechten Lichtverhältnisse und der unsauberen Fenster, andererseits, weil wir so viele waren und alle unsere Nasen nahezu plattdrückten, immer bedacht darauf, nicht gesehen zu werden.

Geboren neben Asche und Leichen- Überlebenschance?Where stories live. Discover now