Kapitel 31-Ausgehen

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Wir blieben noch eine Weile stehen, redeten über dies und das, was während unserer Trennung auf der Strecke geblieben war. Auch Mirabell hatte viel zu erzählen. Erst gegen Abend machten wir uns auf den Heimweg.

Immanuel erwartete uns bereits. Er war sichtlich erleichtert, als er Mirabell hinter mir gewahrte. Ich konnte es mir nicht verkneifen, ihm noch zusätzlich ein bisschen schlechtes Gewissen einzujagen. „Na, ich dachte, du wollest auf sie aufpassen?! Und warum war sie dann plötzlich weg?" „Naja, wir...ähm... haben uns die Live-Übertragung angeguckt und... da muss sie wohl abhandengekommen sein..." „Hä? Ihr habt das gesehen? Wie denn, wenn du nicht mal einen Fernseher hast?!" Ich blickte mich suchend um, aber ich hatte tatsächlich keinen übersehen; er hatte kein solches Gerät.

„Nee, wir haben bei meinem Leutnant geschaut. Den hat das nämlich auch interessiert, was da ins Rollen kommt!" Ich zog misstrauisch die Augenbrauen hoch. „Aber das hat er doch bestimmt nicht umsonst gemacht!", warf ich ein, „sag mir, was musstest du tun, damit er euch hinlässt?" Er machte nur eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, nur am Samstag fünf Stunden Schuhe putzen. Ist ja fast das reinste Schnäppchen!" Ich lachte amüsiert auf. Erstens waren die Stiefel des Militärs riesig, und zweitens auch sehr dreckig, weil sie überall durch musste. Da wünschte ich Immanuel schon mal viel Spaß bei seinem Wochenendjob!

„Ich habe übrigens ein Kindermädchen bestellt, dass uns die beiden Mädels hütet." Das überraschte mich nun wirklich. „Wieso das denn? Haben wir heute denn noch etwas Wichtiges vor?" „Klar doch!" „Und was soll das sein?" „Überraschung!", lächelte er, und drängte schon zum Aufbruch. Ich zog mir schnell wieder eine dünne Jacke über, die vor der grellen Herbstsonne schützen sollte, und verabschiedete mich noch von den Kindern. Mir behagte es gar nicht, sie in der Obhut einer völlig Fremden zu lassen. „ich hoffe, die passt besser auf sie auf als du!", neckte ich Immanuel, der fröhlich pfeifend vor mir her schritt. Er grinste zurück. „Tja, ist ja dein Problem, wenn du Vertrauen zu mir hast!" „Aber das kann sich auch ganz schnell mal ändern!" Er setzte einen überlegenen Gesichtsausdruck auf. „Pah, so leicht wirst du mich nicht los! Immerhin willst du ja auch ordentlich was zu essen und ein Dach über dem Kopf haben?"

„Wo sind wir denn hier?", fragte ich nervös. So langsam verlor ich vollkommen die Orientierung, hier war ich noch nie gewesen. Mir fiel auf, dass die Leute, die hier entlanggingen, gut genährt und gekleidet waren, also vermutlich keine Deutschen. „Und was wollen wir hier?", hakte ich weiter nach, als mein Begleiter immer noch nicht antwortete. „Wirst schon sehen!", wisperte er geheimnisvoll.

Schließlich standen wir vor einer Art Shoppingcenter. Hier blieb Immanuel stehen. Verwundert sah ich zu ihm hoch, da er mich etwa um einen Kopf überragte. „Was wollen wir denn hier?", widerholte ich. „Na, reingehen natürlich!" „Da rein?" Ich lugte ins Innere. Da hingen seidene Kleider und Schals, Ohrringe, Ketten und Ringe von bronzen bis vergoldet. „Aber das ist doch bestimmt nicht gerade billig!", rief ich erschrocken. Er schmunzelte. „Das wohl nicht, aber für meine Teuerste gebe ich gerne etwas aus!"

Zunächst weigerte ich mich, weil es mich schämte, mit so einem Luxus überhäuft zu werden, dabei waren wir ja noch nicht mal zusammen! Doch Immanuel wollte davon nichts wissen, blieb stur und zog mich mit sich. So gingen wir Hand in Hand hinein.

Was ich von draußen gesehen hatte, war in der Tat nur ein kleiner Teil des Angebots gewesen. Überall lag und hing etwas, eine Treppe führte sogar noch in ein weiteres Stockwerk, dass sicher auch Artikel zum Besten gab. „Na, was interessiert dich denn? Wie ist so dein Geschmack?" Mir wurde schwindlig bei dem Anblick der Kleider der feinen Gesellschaft. Am liebsten hätte ich mich irgendwohin gesetzt, aber hier gab es für die Kunden weder Stühle noch Bänke. Also klammerte ich mich förmlich an Immanuel, unfähig, die richtigen Worte für meinen Gefühlszustand zu finden. „Alles okay?", erkundigte er sich besorgt, „möchtest du was zu trinken haben?- Nicht, dass du mir noch umkippst!" „Nein, es ist nur... ich habe keine Ahnung, wie ich mich entscheiden soll... Es ist so viel und... ich weiß gar nicht, wie ich das annehmen kann..." „Du hast mir auch sehr viel gegeben!", raunte er zärtlich in mein Ohr. „Was denn?", wunderte ich mich. „Du hast mir wieder ein richtiges Herz gegeben, dass den Stein in meiner Brustgegend ersetzt hat!" Ich legte den Kopf schief. Das hatte er echt wirklich süß gesagt! So ein Charmeur! „Na, was gefällt dir denn?", versuchte er nochmals, mich zum Kauf zu überreden. Doch ich war noch immer unschlüssig und zuckte nur mit den Achseln. „Ich... weißt du, ich muss mich erstmal wieder daran gewöhnen, einen eigenen Stil zu haben. Im KZ haben wir alle nur das Gleiche getragen. Da gab es keinen Platz für Individualität. „Verstehe." Er nickte und musterte mich. „Du hast schwarze Haare, nicht wahr?- Man sieht es sogar noch ein bisschen!" Er führte mich zu einem der Ständer. „Hier, das könnte dir doch gut stehen, oder? Das grüne Kleid hier!" Er hob es hoch und hielt es an meinen Körper, während ich nur Augen für das Preisschild hatte. „Das kostet ja achtzehn Reichsmark (77, 4 €)!", rief ich aus. „Ich kann das mir schon leisten!", widersprach Immanuel, „für dich tue ich das doch gern! Gefällt es dir denn?" „Oh ja, es ist wunderschön!", hauchte ich ergriffen. „Ob ich es wohl anprobieren darf?" Er grinste. „Natürlich! Dafür sind wir doch da!" Erst machte er Anstalten, mitzukommen, aber ich scheuchte ihn fort. An mir gab es eh nicht mehr viel zu bewundern. Meine Rippen traten zwar nicht mehr so deutlich, aber immer noch sichtbar hervor, und mein Busen war kaum vorhanden und das kleine Stückchen hing schlaff herab. Nichts Begehrenswertes also!

Als ich wieder ins Freie kam, konnte Immanuel sich an meinem Look gar nicht satt sehen. „Wow, du siehst ja aus wie eine Märchenfee!", meinte er bewundernd. Ich fühlte mich geschmeichelt, lächelte aber, glücklich und naiv, im Rausch der Freude. „Ich zaubere nur für dich!", alberte ich herum und wedelte mit den Armen durch die Luft, wie ein Kind, das in seine Fantasiewelt eintauchte. Immanuel nahm mich an den Händen und wir tanzten sachte einen Feen-Reigen. Die Leute gafften schon, aber uns war das egal. Wir hatten einfach unseren Spaß!

„Darf ich das jetzt wirklich kaufen?" „Ja klar! Ich will dir doch auch etwas Gutes tun!" Ich strahlte. Alle Unsicherheit und Scham war vergessen. Ich war so beschwingt, dass ich das Kleid gleich anließ, das Schild konnte man ja trotzdem noch erkennen, auch, wenn es mich ein wenig kratzte, aber das machte mir überhaupt nichts! Wie ein edler Pfau stolzierte ich durch die Gegend, wartete auf die neidischen Blicke der Menge. Jetzt fühlte ich mich frei, gelöst, fort von den Minderwertigkeitsgedanken, die uns aufgezwungen wurden waren!

Dann kamen wir an einer Ballveranstaltung vorbei. Da wir unser Tänzchen schon weghatten, ließen wir uns einfach gemütlich an einem Tischchen für zwei Personen nieder. Und während Immanuel nur ein stilles Wasser bekam, bestellte er für mich eine Cola, wie er es versprochen hatte!

„Aber nicht verschütten!", warnte er mich, „das Zeug bleibt haften wie Schwefel!" „Nein, natürlich nicht!" Ehrfurchtsvoll strich ich mein Kleid wieder glatt. Ich trank vorsichtig. Es schmeckte gar nicht so süß, wie ich erwartet hatte. Aber kräftig, lecker, schmackhaft!"

„Mmh!", machte ich genüsslich und ließ mich entspannt zurück gleiten. Ich hätte ewig lang noch mit Immanuel hier sitzen und Cola trinken können. Ich vergaß alles um mich herum. Die Kinder, die von einem fremden Mädchen betreut wurden, meine Freundin Margot, meine Ängste, Sorgen und trübselige Erinnerungen. Ich war regelrecht high von dem ganzen Zucker geworden!

Geboren neben Asche und Leichen- Überlebenschance?Where stories live. Discover now