Kapitel 23

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Schmerz

Nakita lag lange wach. Die Nähe zu Aleksander brachte sie durcheinander. Sie wollte sauer auf ihn sein, sie versuchte es wirklich. Doch ihr eigenes Herz stellte sich gegen sie und schon bald spürte sie, wie sie sich sicher fühlte. Dann schlief sie ein.

Aleksander wurde mitten in der Nacht wach, als er spürte, wie Nakita zusammenzuckte. Sie lag zusammengerollt neben ihm und war angespannt. Ihre Augenlider flackerten immer wieder und ihr Hände hob sie vor ihren Kopf, als wollte sie sich schützen. Sanft rüttelte er an ihrer Schulter. „Nakita wach auf, du träumst nur." Bei seiner Berührung zuckte sie erneut und schlug dann die Augen auf, sie atmetet schnell und hier Herz schlug zu schnell. Unruhig suchte sie den Raum nach einer Bedrohung ab. Beruhigte sich allerdings etwas, als sie realisierte wo sie war. Aleksander zog sie instinktiv in seine Arme und strich über ihren Kopf, als sie sich gegen ihn lehnte. „Was hast du geträumt?" Fragte er leise. Sie antwortete jedoch nicht. Sie wollte ihm nicht von den wiederkehrenden Albträumen erzählen, die sie seid der Schattenflur verfolgten. Er wartete auf eine Antwort, doch es kam keine. Plötzlich löste sie sich von ihm. „Schlaf weiter." Sagte sie lediglich und stand auf. „Was hast du vor?" Fragte er irritiert, als sie sich ihre Schuhe und Kefta anzog. „Ich will an die Luft." Sagte sie und deutete auf den Ausgang. „Es ist mitten in der Nacht." Sie schüttelte vehement den Kopf. „Aleksander lass mich hier sofort raus oder ich schwöre dir bei allen Heiligen, ich werde dieses Zimmer abbrennen." Er runzelte die Stirn und konnte ihre plötzliche Feindseligkeit nicht einordnen. „In Ordnung, aber ich begleite dich." Sie schüttelte den Kopf. „Nein." Er zuckte mit den Schultern und lehnte sich zurück. „Dann nicht." Wütend sah sie ihn an. Er jedoch schmunzelte nur und wartete darauf, dass sie einwilligt. Nach einigen Minuten nickte sie dann. „Na schön." Er stand auf und zog seine Kefta über. Schnell band er sich geschickt die Schnürsenkel zu und stand dann bereits neben ihr. Er entfernte die Schatten von der Tür und schob sie aus dem Raum. „Ich kann auch alleine gehen, du musst mich nicht immer schieben, als wäre ich ein sturer Esel." Sagte sie leise, was ihn zum Lachen brachte. „Du bist aber stur." Rechtfertigte er sich dann, ließ aber dennoch ihren Rücken los. Sofort entspannte sie sich etwas. Irritiert fragte er sich, seit wann er so eine Wirkung auf sie hatte. Sie gingen durch die leeren Flure und hinaus in den Hinterhof.

Eine Weile gingen sie still nebeneinander her und Nakita versuchte den Gedanken an die Albträume zu verjagen. „Glaubst du Starkov kann es schaffen, die Flur zu zerstören?" Fragte sie nachdenklich und hoffte, dass das Mädchen tatsächlich in der Lage dazu war. Aleksander seufzte. „Ich denke wenn es jemand schafft, dann sie. Aber sie muss noch viel üben, ihr fehlt noch die Kraft." Sagte er ehrlich und dachte über Alina nach. „Wieso fragst du, hat es mit deinem Traum zutun?" Fragte Kirigan ehrlich interessiert. Nakita nickte. „Seit ich in der Flur war, träume ich von Volcra. Ich sehe, wie mich ihre Klauen packen, wie sie meine Haut aufschneiden. Aber der Traum endet immer gleich... Irgendwann durchbohrt ein Schatten mein Herz. Doch es tötet mich nicht, ich werde dadurch mächtiger... Ich verstehe den Traum nicht, er kehrt immer wieder. Ich frage mich, ob es etwas mit dem schwarzen Blut zutun hat." Sagte sie nachdenklich. Aleksander dachte über ihre Worte nach, konnte den Traum jedoch auch nicht deuten. „Vielleicht kann Baghra dir Antworten geben. Sie ist sehr gut darin, solche Dinge zu deuten." Sagte er nach einer Weile. Sie riss jedoch ihre Augen auf. „Nein, auf keinen Fall, die Frau hasst mich. Zu Recht, ich habe ihr Zuhause abgebrannt." Nakita war stehengeblieben und sah zum General auf. Er griff nach ihrer Hand. „Wenn du deine Kräfte trainieren willst, dann musst du früher oder später sowieso zu ihr." Nakita schnaubte. „Sagt wer? Ich trainiere alleine, für mich. Ich brauche niemanden dafür, erst Recht nicht jemanden, der mich beleidigt und kritisiert." Aleksander wusste, dass die Mittel seiner Mutter nicht fair waren, aber dafür zielführend. „Nakita, was dachtest du, wie dein Leben hier wieder weitergeht?" Sie verschränkte die Arme. „Es wird bestimmt nicht wie zuvor weitergehen. Ich höre mir keine Grisha Theorie oder Geschichte von Ravka mehr an. Ich werde an meinen Kräften arbeiten, Kampftraining fortsetzen und" Gerade wollte sie sagen ‚Mit Nikolai an unserem Plan arbeiten', doch sie konnte es sich gerade noch verkneifen. „Und was?" Fragte Aleksander alarmiert, als er ihren Gesichtsausdruck sah. „Nichts. Ich werde für den Kampf trainieren, das ist alles." Aleksander hielt ihr Kinn hoch. „Und was?" Fragte er, denn er wusste, dass sie irgendetwas hatte sagen wollen, das ihm sicherlich nicht gepasst hätte. Sie schluckte und legte sich eine Ausrede zurecht. „Ich wollte sagen, dass ich mich mit Nikolai treffe. Aber das wolltest du sicherlich nicht hören." Sagte sie die Halb-Wahrheit und hoffte, dass die Erwähnung des Prinzen ihn genug wütend machte, damit er nicht genauer nachhakte. Wie erwartete verdüsterte sich Aleksanders Gesichtsausdruck. Er fragte sich unmittelbar, was zwischen der hübschen Grisha und dem verwöhnten lief. „So willst du deine Zeit hier verbringen?" Fragte er entgeistert. Sie sah ihn aufmerksam an. „Was dachtest du was ich mache, nachdem ich den Krieg gesehen habe. Dass ich wieder die Schulbank drücke, brav Theorie pauke und mich hinter den Mauern verstecke? Du solltest mich mittlerweile besser kennen." Er griff nach ihren Schultern und hielt sie fest, als wäre sie ein Kind. „Du hast nicht den Krieg gesehen Nakita, du hast ein Kriegslager gesehen und warst in der Flur. Du hast nicht gesehen, wie uns Fjerda überfallen und sie Soldaten zerstückeln. Du hast nicht gesehen, wie grausam die Shu bei ihren Überfällen sind, wie sie Frauen und Kinder töten, die wehrlos in ihren Häusern sind. Du hast nicht den Krieg gesehen!" Sagte er wütend und sah sie angespannt an. „Ich habe dir damals aus guten Grund befohlen, dich von der Flur fernzuhalten. Du hast dich mir widersetzt und trägst den Schaden selbst jetzt noch mit dir! Du bist keine Soldatin der zweiten Armee!" Nakita hielt den Blickkontakt zu ihm und unterbrach ihn, in seinem Monolog. „Was bin ich dann? Dein Spielzeug? Zeitvertreib? Ein Experiment?" Sagte sie ebenso wütend. „Wo gehöre ich hin, Aleksander, sag es mir! Das erste Mal in meinem Leben dachte ich, dass meine Kräfte einen Nutzen haben, ich Gutes bewirken kann. Und es hat funktioniert, hätten die Soldaten und anderen Inferni nicht ständig neue Volcra angelockt, dann wäre es mir gelungen! Ich habe es selbst gesehen" Aleksander unterbrach sie. „Du wärst fast gestorben, wenn Alina dich nicht gerettet hätte!" „Das ist nicht wahr!" Erwiderte Nakita laut und ballte ihre Hände zu Fäusten. „Du glaubst ich hätte keinen Krieg gesehen? Ich habe Krieg gesehen, ich habe gesehen, wie grausam Fjerda sein können, ich habe es am eigenen Leib zu spüren bekommen! Du behandelst mich wie ein Kind. Ich bin aber nicht Alina. Ich wusste mein ganzes Leben lang, was ich bin und was ich kann. Ich kannte nur nicht das ‚wofür'. Ich weiß wer ich bin und lasse mir nicht von dir vorschreiben, wie ängstlich oder wie mutig ich bin! Was glaubst du, wer die Stürmerin vor den Volcra beschützt hat, damit sie das Skiff aus der Flur manövrieren kann, Alina? Nein! Das war ich, denn Alina wusste einen Dreck, was sie tat. Alina hat nicht daran gedacht die Stürmerin zu schützen, Alina wollte nur ihren Soldaten-Freund retten. Was meinst du, wie deine tolle Alina aus der Flur gekommen wäre, ohne Stürmerin? Die Antwort ist: Gar nicht!" Sie war immer lauter geworden und spuckte den Namen der Sonnenkriegerin geradezu aus. Zoya hatte Recht, all der Dank galt der Sonnenkriegerin, obwohl viele fähige Krieger dazu beigetragen haben, dass das Skiff wieder aus der Flur kam. Sie hatte genug davon und sie hatte genug davon, dass Aleksander sie wie ein Kind behandelte. Er musterte sie stumm, er hatte keinen solchen Ausbruch von ihr erwartet, im Grunde hatte er sie noch nie so außer sich erlebt. Es drängte sich ihm das Gefühl auf, dass er sie wirklich nicht annähernd so gut kannte, wie er dachte. Er rieb sich über die Stirn. „Ich habe im kleinen Palast das Sagen und ich lege fest, dass du deinen Unterricht wieder aufnimmst und zwar vollständig. Hast du das verstanden?" Ungläubig sah sie ihn an, das war das Einzige was er dazu sagen wollte? „Dann viel Glück damit." Sagte sie und sah ihn herausfordernd an. „Ich lasse mich nicht von dir herumscheuchen wie einen Hund. Ich tue das, was ich für richtig erachte." Sagte sie und drehte sich von ihm weg, er griff nach ihrem Arm und drehte sie zurück. „Nakita, fordere mich nicht heraus, du hast bisher nur meine Gunst gespürt, du willst nicht herausfinden was passiert, wenn du meine Gunst verlierst." Warnte er sie eindringlich. Sie riss ihren Arm aus seinem Griff. „Deine Gunst? So nennst du das? Und ich Idiotin dachte, du würdest wirklich etwas empfinden. Aber danke für die Klarstellung, jetzt ergibt alles plötzlich Sinn." Sagte sie sarkastisch und sah ihn bitter an. „Es gibt einen Unterschied zwischen mir als Person und mir als Befehlshaber, Nakita." Sagte er nun ruhiger. „Tja, da ich anscheinend nur mit dir als Person zusammen sein will, aber nicht mit dem Befehlshaber, sollten wir von nun an wohl getrennte Wege gehen. Moi Soverenyi." Sie verbeugte sich spöttisch und ging dann schnellen Schrittes davon, um die Tränen zu verbergen, die in ihren Augen glitzerten. Aleksander blieb wie festgewachsen stehen. Er dachte über ihre Worte nach und bereute seine eigenen harschen Worte. Er wusste, dass sie Recht hatte. Sie konnten nicht zusammen sein, wenn stets ein Dilemma entstand, zwischen dem was sein Herz ihm sagte und dem was sein Kopf befahl. Er war der Befehlshaber, daran konnte er nichts ändern, doch wie konnte er seine Stellung mit dem in Einklang bringen, was sein Herz für die hübsche Grisha empfand? Er atmete tief durch und genoss die Dunkelheit der Nacht, in der er er selbst sein konnte. Er wollte ihr nachlaufen, wollte sich entschuldigen, doch sein Stolz verbat es ihm. Solange er Befehlshaber war, konnte er mit niemanden zusammen sein. Als er das erkannte, rollte ihm eine einzelne Träne über die Wange. Er spürte die Einsamkeit in sich, wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Nakita ging eilig in ihr Zimmer, im Flügel der Inferni. Hinter sich schloss sie die Tür ab und ließ sich dann zu Boden sinken. Sie konnte die Tränen nicht mehr aufhalten, die sich ihren Weg hinab bahnten, weshalb sie sie einfach zuließ. Sie fühlte Kälte in sich. Der Schmerz des Verlassenwerdens. Sie selbst hatte einen Schlussstrich gezogen, dennoch trafen sie die Schmerzen heftig. Sie wusste nicht, was sie sich erhofft hatte. Vielleicht, dass er um sie kämpfen würde, dass er sich entschuldigte und Besserung versprach. Sie hatte erwartet, dass er sie nicht einfach aufgeben würde, doch genau das war geschehen. Sie hatte ihm ihre Gefühle offenbart, doch er hatte es nicht erwidert. Er hatte seine Fehler nicht eingestanden, sondern ihr Klar gemacht, dass es immer so sein würde. Und genau aus diesem Grund wusste sie, dass es besser so war, wie es gekommen ist. Aleksander würde sich nie ändern. Es war genau so, wie er es in Kribirsk schon gesagt hatte, seine Aufgabe würde stets an erster Stelle für ihn stehen. Sein Streben nach Macht, würde immer an erster Stelle stehen. Er hatte ihr Hoffnung gemacht, wenn er von einem ‚wir' sprach. Doch vor allem hatte sie sich selbst etwas vorgemacht. Der Schmerz darüber brannte tief in ihr und fühlte sich an, als würde ihr jemand ein Messer in den Körper rammen. Doch statt das Gefühl zu verdrängen, ließ sie es einfach zu. Sie ließ den Schmerz zu, die Trauer, die Wut. Sie ließ alles zu, was sie so lange in sich zurück gehalten hatte.

Sie saß einige Stunden auf dem kalten Boden und weinte und bereute alles. Doch als die Sonne aufging stand sie auf. Sie verschloss ihre Gefühle hinter einer Mauer und trat ins Badezimmer. Dort wusch sie sich, kämmte ihre Haare und richtete ihre Kleidung. Sie hatte genug geweint. Ab diesen Morgen, würde sie nicht mehr zulassen, dass ihr so etwas je wieder geschah.

Das Spiel mit dem Feuer - General Kirigan fanfictionWhere stories live. Discover now