Ein neuer Gefangener

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Die Soldaten öffneten die Tür der Hütte, um die Arbeiter mit der letzten Mahlzeit des Tages für die Larven hereinzulassen. Durch die Öffnung konnte Pierre den rötlichen Himmel sehen, von dem sich die Umrisse einiger Wesen und der nächsten Hütte abzeichneten. Die Larven direkt an der Tür gaben singende Geräusche in einer hohen Frequenz von sich, was Georg und Eugene veranlasste, aufzuspringen und rasch Blätter an sie auszuhändigen. Pierre folgte ihrem Beispiel, brach jedoch einige Rippen der Blattwedel ab, ehe er die Blätter verfütterte. Die Rippen warf er auf die Kiste neben der Tür. Als alle Larven am Fressen waren, verstaute er die überzähligen Blattrippen in der Kiste, damit die Soldaten sie nicht fanden.

Nur wenige Augenblicke später brachten die Wesen auch den Brei, mit dem sie die Menschen fütterten, in die Hütte.

Pierre und Georg setzen sich zusammen an eine der Seitenwände. Eugene hielt sich abseits und beobachtete die beiden.

Pierre winkte ihm zu. »Willst du nichts essen?«

»Ihr wollt diesen dummen Plan durchziehen, habe ich recht? Ich habe gesehen, dass du Brennmaterial aus den Blättern gebrochen hast. Was machst du, wenn sie uns einfach in der Hütte verrecken lassen?«

Georg zuckte mit den Schultern. »Das ist ein Risiko. Aber dein Bruder hat recht, du solltest etwas essen. Nur für den Fall, dass der Plan aufgeht, natürlich. Es wäre nicht gut, wenn du im Dschungel zusammenbrichst.«

»Ich fühle mich kräftig genug. Und bei Sinnen.«

»Lass ihn, er war schon immer stur. Er wird mit uns fliehen, wenn er die Gelegenheit hat.«

»Das hoffe ich. Für ihn.« Georg nahm eine Hand voll Brei.

Vor der Hütte knackte einer der Soldaten. Eine andere Stimme antwortete ihm, wurde aber von einem schnarrenden Geräusch unterbrochen. Einen Moment war es still, dann krachte etwas, ein schriller Schrei zerriss die Stille.

Die drei Männer sprangen auf, sahen erst die Tür, dann einander an.

»Was war das, bei der Sonne?«

»Sch!« Georg hob die Hand. Er stellte sich zwischen die beiden Sterne und die Tür. „Ich glaube, sie kommen hier herein." Er winkte mit der linken Hand nach Pierre, der jedoch nicht auf die Geste reagierte.

Einer der beiden Soldaten öffnete die Tür und stieß ein anderes Insektenwesen in die Hütte. Er fauchte etwas in dessen Richtung und schloss anschließend lautstark die Tür der Hütte.

Die Männer wichen einen Schritt zurück.

Das Wesen richtete sich auf. Es war kleiner und schlanker als die Wesen im Dorf, mit kleineren Mundwerkzeugen. Sein Panzer hatte eine gräuliche Färbung. Es sah die drei Menschen an, klickte mit den Mundwerkzeugen und legte den Kopf schief.

Georg atmete tief ein. Er reichte dem Wesen die Hand und schnalzte mit der Zunge.

Das Wesen reagierte nicht.

Der Abtrünnige wiederholte das Schnalzen, dann schmatzte und keckerte er.

Pierre legte die Stirn in Falten. »Ist er wahnsinnig geworden?«

»Wenn du mich fragst, war er das von Anfang an.« Eugene schnaubte. »Ich würde mich nicht so nah an dieses Ding bewegen!«

»Er ist keiner von ihnen.«

»Woher weißt du das?«

»Sieh ihn dir an, er sieht völlig anders aus. Und ich glaube nicht, dass sie mit ihresgleichen so umgehen.« Georg versuchte erneut, mit dem Neuankömmling zu kommunizieren.

Pierre betrachtete das Wesen. Georg hatte recht, es war nicht nur schlanker, sondern insgesamt feingliedriger, mit weit größeren Augen, die aus unendlich vielen einzelnen Punkten bestanden. Seine Arme und Beine endeten in zwei sich verjüngenden Haken und seine Mundwerkzeuge waren kleiner, aber massiger und besaßen scharfe, gezackte Ränder.

Der Abtrünnige gab sein Vorhaben auf, als er immer noch keine Antwort erhielt. »Es ist zwecklos, ich glaube, es will uns nicht verstehen.«

»Vielleicht spricht es nicht dieselben Laute wie die Wesen im Dorf? Ich meine, es sieht auch völlig anders aus.« Pierre gesellte sich zu dem Abtrünnigen. »Vielleicht sind es verschiedene Völker? Es heißt Völker, oder?«

Georg nickte. »Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass es überhaupt andere intelligente Wesen auf diesem Gestein gibt. Nach allem, was ich wusste, waren wir Menschen alleine hier.« Er öffnete die Kiste neben der Tür und überprüfte den Inhalt. »Ich fürchte, wir werden noch ein paar Tage sammeln müssen, um ein gutes Feuer zu machen. Ich hoffe nur, dass unser neuer Freund keine Angst davor hat.«

Eugene schnaubte. »Als ob das irgendjemanden ernsthaft interessieren würde.«

»Mich interessiert es.« Georg ging zu dem Wesen und berührte es sanft an der Schulter. Er deutete auf eine freie Stelle nahe der Wand. »Wir werden dich mit hier raus holen, mein Freund.«

Das Wesen sah ihn an, leckte den Kopf schief und gab ein Knacken von sich. Es war leiser als das der Bewohner im Dorf, hatte aber ansonsten denselben Klang.

Pierre schüttelte den Kopf. »Hoffentlich geht das alles gut. Nicht, dass sie uns eine Wache geschickt haben.«

»Ich glaube nicht, dass sie intelligent genug für Spionage sind.« Georg legte sich auf seinen Platz. »Oder unsicher genug, wie man es nimmt. Lasst uns die paar Tage abwarten und wir werden sehen, ob er gefährlich ist oder nicht. Zu verlieren haben wir nichts mehr.«


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