Ruckato

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Auf dem Hof erwartete sie bereits der Bauer, ein muskulöser Mann mit gebräunter, ledriger Haut. Er musterte sie aus zu kleinen Augen, schnaubte zur Begrüßung und führte sie, ohne ein Wort zu sagen, zu einem Gatter, in welchem sich eine Handvoll der großen Vögel befanden, mit denen die Leute in der Stadt ihre Arbeit verrichteten. Er ließ die beiden Sterne am Gatter stehen und ging zu einem nahegelegenen Schuppen.

Eugenes Blick folgte ihm. »Was glaubst du, hat er vor?«

»Keine Ahnung? Vielleicht holt er etwas, um diese Tiere zu fangen.« Pierre beobachtete die Wesen mit ihren langen Schnäbeln, den fadenartigen Ohren und dem grau-gelben Fell. Sie staksten über die Wiese, steckten hier und dort ihren Schnabel in die Erde, warfen ihre Köpfe weit über ihren Rücken und fraßen, was auch immer sie ausgegraben hatten. Einige schnatterten und schlugen mit den gerade einmal handgroßen Flügeln. In der Mitte der Fünfergruppe stand ein etwas größerer Vogel, er hatte den langen Hals hoch aufgerichtet und starrte auf die beiden jungen Männer am Zaun.

Der Bauer kehrte mit zwei ledernen Geschirren und zwei Paar Taschen zurück. Er warf die Taschen achtlos auf den Boden vor dem Gatter, schob Eugene zur Seite, öffnete das Gattertor und stapfte auf die Reitvögel zu.

Das große Tier in der Mitte der Gruppe stieß einen scharfen Schrei aus, woraufhin alle anderen Vögel aufmerksam die Köpfe hoben und sich nicht mehr rührten.

Der Bauer ging auf die nächsten beiden Vögel zu und streifte ihnen jeweils eines der Geschirre über den Kopf, stellte die Riemen so ein, dass sie nicht mehr verrutschten, und führte die Tiere aus der Umzäunung. Er band sie auf der anderen Seite des Zaunes an und wandte sich dann an die Sterne.

»Es ist ganz einfach. Ihr müsst nichts weiter tun, als mit den Riemen den Kopf der Tiere in die Richtung zu drehen, in welche Ihr reiten wollt, Estelles. Die Tiere werden ohne Zögern der Spitze ihres eigenen Schnabels folgen. Wollt Ihr das Tempo verändern, so genügt es, den Tieren ein leises Kommando zu geben. ›Ho‹, um sie zu verlangsamen, ›He‹, um sie anzutreiben. Aber seid zu Beginn vorsichtig. Die Sprünge können sehr unsanft sein. Nachts müsst Ihr die Tiere mit den Riemen anbinden, damit sie nicht davonlaufen.« Nach der Erklärung kehrte er wieder in den Schuppen zurück.

Eugene trat auf die Tiere zu und strich einem von ihnen über das Fell.

Pierre hielt zwei Schritte Abstand. Er betrachtete die riesigen Füße mit ihren kräftigen Nägeln und schüttelte den Kopf. »Warum können wir nicht einfach zu Fuß gehen, anstatt uns solchen Monstern anzuvertrauen?«

»Ich glaube nicht, dass sie Monster sind. Du hast gesehen, dass viele Menschen in der Stadt sie nutzen. Außerdem glaube ich, dass unser Frühstück von ihnen kommt.«

»Das macht es nicht besser.« Pierre schüttelte den Kopf. »Man sollte nichts essen, was aus Tieren hergestellt wurde. Die Regeln an Bord der Baroque verbieten das.«

»Die Regeln an Bord gelten hier unten nicht. Du hast selbst gesagt, dass sie hier keine ordentlichen Nahrungspflanzen anbauen können. Also wird es wohl besser sein, Tiere zu essen. Und du solltest dich mit deinem Reittier anfreunden. Komm doch her und fass' es wenigstens an. Es ist ganz weich!«

Pierre schüttelte den Kopf. »Ich werde noch genug Zeit mit diesem Ding verbringen müssen.«

»Es sind Ruckatos.« Der Bauer war mit einem Sattel zurückgekommen, den er nun auf dem Rücken eines der Tiere festschnallte. »Wir nennen sie so, weil sie in ihrer Paarungszeit diese Rufe machen. Und sie mögen es, wenn man ihren Pelz bürstet.«

»Wie sie heißen und was sie mögen ist mir vollkommen gleichgültig. Ich hoffe, sie sind ungefährlich.«

»Sie sind vollkommen zahm, jedenfalls die Hennen. Mit dem Hahn würde ich mich nicht anlegen.« Der Bauer deutete auf das größere Tier im Gatter. Er griff ein Paar der Taschen und befestigte sie am Sattel des Tieres, dann holte er einen weiteren Sattel aus dem Schuppen.

Pierre beobachtete ihn, wie er die Riemen festzog. »Was fressen die Tiere?«

»Sie werden sich in der Wildnis allein ernähren können, immerhin kommen sie von dort.« Der Bauer sah auf und lächelte, doch seine Augen forschten im Blick des Sterns.

Pierre schnaubte. Er war sich nicht sicher, ob es ihn beunruhigen oder trösten sollte, dass sich die Tiere in der Wildnis auskennen mussten. »Was ist, wenn sie nicht auf uns hören?«

»Normalerweise sind sie sehr gehorsam, es sind die beiden friedlichsten Hennen aus meinem ganzen Schwarm. Sollten sie aber aus irgendeinem Grund nicht auf Euch reagieren, solltet Ihr entweder kräftig einen Zügel zur Seite ziehen, dann werden sie aus dem Gleichgewicht kommen und umfallen, oder aber ihr haltet Euch gut an ihrem Hals fest und wartet ab, bis sie von selbst stehen bleiben.«

»Was ist mit gefährlichen Wesen in der Wildnis?« Eugene stand Schulter an Schulter mit seinem Ruckato und kraulte es im Nacken zwischen den langen Ohren.

»Es gibt sicher gefährliche Tiere in der Wildnis, aber die Hennen sind flink und schlau genug, Euch sicher von Ihnen fernzuhalten. Sie haben ein gutes Gespür für Gefahr, Ihr könnt ihnen vertrauen, Estelles.«

Pierre hob eine Augenbraue und schüttelte den Kopf. Diese Wesen hatten Köpfe in der Größe der großen grünen Palmnüsse im Garten des Papstes. Kleinere Köpfe als die jüngsten Schüler an Bord der Baroque. Und diese herabhängenden Ohren zeugten sicher auch nicht von großer Auffassungsgabe.

Der Mann schien seine Gedanken erraten zu haben. »Schläue hat nichts mit der Größe des Kopfes zu tun, Estelle. Sie hat etwas damit zu tun, wie man den Kopf und das Herz zu nutzen versteht. Wenn die Herren Estelles keine Fragen mehr haben, dann werde ich mich zurück an meine Arbeit begeben. Ich wünsche Euch viel Glück bei Eurer Aufgabe. Auf dass Ihr die Wildnis überleben mögt.« Er gab sich keine Mühe, den Sarkasmus in seiner Stimme zu unterdrücken. Ehe er ging, löste er die Zügel vom Zaun und drückte jedem der beiden Sterne die seines Reittieres in die Hand. »Und haltet Euch dort draußen an die Wasserläufe, Euer Vorrat wird nicht ewig halten.«

Eugene und Pierre sahen ihm nach. Eugene schüttelte den Kopf. »Sein Tonfall gefällt mir nicht. Er sollte sich nicht für etwas Besseres halten, nur, weil er mit diesen Vögeln umgehen kann.«

»Eigentlich solltest du dich daran gewöhnt haben, dass sie uns nicht leiden können. Müssen wir wirklich mit diesen Viechern aufbrechen?«

»Es ist sicherer und bestimmt schneller. Du solltest dich nicht so anstellen. Im Gegensatz zu den komischen Pflanzen in unseren Gemächern sind die Ruckatos doch ganz nett.« Eugene lächelte, so unschuldig wie in seiner Zeit als Novize an Bord der Baroque, dann kletterte er auf den Rücken seines Tieres, welches freudig mit den Füßen tippelte. »Komm schon, steig auf, damit wir loskönnen! Ich bin schon auf die Wildnis gespannt!«

»Ich nicht.« Pierre seufzte tief und zog sich unbeholfen auf den Rücken seines Reittieres, welches bereits loslief, als er noch der Länge nach über dem Sattel lag. Er grabschte nach einem der Zügel und zog daran. Das Tier bog seinen langen Hals zur Seite, tänzelte einige Schritte auf einem kleinen Kreis und blieb schließlich stehen. Pierre stemmte sich hoch und schaffte es nach einiger Zeit schließlich, ordentlich im Sattel zu sitzen. Er sah über die Schulter zu Eugene, der hinter vorgehaltener Hand kicherte. »Das ist nicht witzig. Los, je schneller wir aufbrechen, desto schneller sind wir zurück!«

»Das ist fast der richtige Geist. Lass uns einen Verräter fangen! He!« Eugene ritt an Pierre vorbei, packte dessen Reittier am Zügel und führte es neben sich her durch die Straßen der Stadt.

Die beiden Sterne machten auf dem Weg zum Stadttor halt bei Aldric, der sie mit Bonbons und süßen Broten versorgte, und beim Bäcker, um den wenigen verbleibenden Platz in ihren Satteltaschen mit Gebäck und Pasteten zu füllen.


BaroqueWhere stories live. Discover now