70. Epilog

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Die Wellen, die gegen das dunkle Vulkangestein schlugen, waren beinahe babyblau. Auf ihren Spitzen thronten weiße Schaumkrönchen, die immer wieder aufgewirbelt wurden. Von diesen kleinen Turbulenzen abgesehen lag die kleine Vulkaninsel friedlich im südlichen Mittelmeer, nicht weit entfernt vom afrikanischen Kontinent. Hätte man auf dem höchsten Punkt der Insel gestanden, hätte man bis zum Horizont jedoch keinen Küstenstreifen oder einen anderen Hinweis auf begehbares Land erkennen können. So weit das Auge reichte, erstreckte sich das hellblaue Meer und der fast noch blauere, wolkenfreie Himmel.

Auf jedem höchsten Punkt der Insel stand ein verglaster, moderner Neubau mit weißem Anstrich, der einen Kontrast zu dem schwarzen Vulkangestein bildete. Die Fenster des Gebäudes waren verspiegelt, sodass man von außen nicht nach drinnen schauen konnte. Umgekehrt funktionierte es aber sehr wohl.

Im obersten Stockwerk des Gebäudes stand ein Mann an der Glasfensterfront. Dem äußeren Anschein nach war er sehr alt, denn die faltige Haut lag schlaff über seinem dünnen, eingefallenen Gesicht. Sein Kopf war kahl und mit dunklen Pigmentierungen überzogen.

Der Mann hielt die Hände hinter dem Rücken verschränkt und starrte in die Ferne. Die Brille mit den dicken Gläsern, die auf seiner Nase saß, nervte ihn. Früher hatte er immer gute Augen gehabt, doch nun waren sie die ersten, die ihn im Stich ließen. Wenn es wenigstens nur die Weitsichtigkeit gewesen wäre, die ihm zu schaffen machte, aber in letzter Zeit kam noch eine altersbedingte Makuladegeneration dazu. Er konnte gerade noch so das nötigste erkennen und das Lesen fiel ihm immer schwerer. Bald würde er wieder seine Magie benutzen müssen, denn den Zustand, so wie er jetzt war, hielt er nicht mehr lange aus. Und diesmal würde er seinen Körper endgültig verjüngen. Dann wäre es für immer, das wusste er.

Ganz langsam drehte er sich zu dem anderen Mann um, der hinter ihm am Fenster stand. Dieser andere Mann war jung, fast noch ein Kind. In diesem Alter wussten die meisten Menschen das Geschenk der Jugend, das das Leben ihnen machte, nicht zu schätzen. Wie sehr der ältere Mann den jüngeren um seine Ignoranz beneidete. Wie viel hätte er dafür gegeben, um noch einmal jung und naiv sein zu können. Aber alles hatte seine Zeit und während er seinen Körper verfluchte, der immer älter und schwer wurde, so war sein Geist im Laufe der Jahre jedoch schärfer und raffinierter geworden.

„Hat es geklappt?", fragte der alte Mann und wandte sich dabei dem jüngeren zu. Dieser hatte den Kopf stolz geradeaus gestreckt und blickte in die Ferne. Seine Augen waren jedoch gebrochen und traurig, während der Diamantring in seinem Ohrläppchen dafür nur umso heller strahlte.

„Ja, Professor", antwortete er.

„Sehr schön."

„Allerdings haben wir einen Krieger verloren", fuhr der junge Mann fort.

Der ältere Mann schluckte. „Ich weiß", antwortete er. Davon hatte er bereits gehört. Neuigkeiten reisten manchmal eben schneller als die Leute, die sie überbrachten. Auch das war noch nicht immer so gewesen. Der alte Mann hatte seine fünf stärksten Krieger in den Kampf geschickt, aber zurückgekehrt waren nur vier.

Woran das lag, wusste er genau. Seine Dienerin hatte es ihm unter großen Schmerzen der Folter verraten. Es ärgerte ihn, dass er nicht früher darauf gekommen war. Schließlich hatte er mit eigenen Augen gesehen, wie Lucca Telloni aufgewachsen war. Er hatte Lucca unterrichtet und ihn im letzten halben Jahr regelmäßig gesehen. Trotzdem war ihm jede Ähnlichkeit entgangen, die Lucca zu dem Sohn des alten Mannes, ja sogar zu dem alten Mann selbst hatte. Das wurmte ihn besonders, denn wenn er früher etwas gewusst hätte, hätte er Lucca unschädlich machen können und ihn eliminieren. Er hätte es wissen müssen. Er hätte es sehen müssen. Nun war es jedoch zu spät.

Wenn der alte Manne es sich eingestand, dann waren die ersten Zeichen für Luccas wahre Identität eigentlich schon vor einigen Monaten ans Licht getreten, als sich die Cinquenti ihm zum ersten Mal widersetzten. Aber spätestens an jenem Tag, als er erfuhr, dass Lucca seinen Ohrring abnehmen und sich somit seiner Kontrolle entziehen konnte, hätte es ihm klar sein sollen.

Insgeheim verfluchte er Maria. Sie hielt sich selbst für unglaublich schlau und teilweise war sie ihm auch immer einen Schritt voraus gewesen. Doch nun hatte er aufgeholt. Er hatte einen Plan, den niemand kannte oder auch nur erahnte. Es war ein Plan, der ihm helfen würde, zu gewinnen und den ihm niemand so schnell vereiteln konnte, auch kein Lucca Telloni.

„Ich werde mich persönlich darum kümmern, unseren verlorenen Krieger zu ersetzen", sagte der alte Mann, „mach dir darum mal keine Sorgen." Er wusste auch schon, mit wem. Es war die perfekte Person, um sie zu manipulieren und sie den Elementen zu unterwerfen. Noch ahnte sie nicht, welch eine Rolle sie in seinem Plan spielen sollte und was auf sie zukommen würde, denn sie saß viele Kilometer entfernt auf einer Sonnenliege am Pool, aß Kuchen und trank Wein mit ihren Freunden. Im Endeffekt, so überlegte der Mann, war sie diejenige, nach der er die ganze Zeit gesucht hatte. Eigentlich konnte er froh sein, dass Lucca der Elementträger war und nicht sie. Denn wäre sie eine Elementträgerin gewesen, wäre sie nutzlos für ihn. So hatte er aber noch einiges mit ihr vor. Vielleicht würde sich doch noch alles zum Guten fügen.

„Wen meinen Sie, Signor?"

„Das wirst du noch früh genug sehen. Nun zeig mir erst mal das Ergebnis!", verlangte der alte Mann und streckte seine Hand aus. Wieder ärgerte es ihn, dass er nicht richtig sehen konnte. Dagegen musste er sobald wie möglich etwas unternehmen.

Der jüngere Mann legte ihm einen faustgroßen Gegenstand in die Hand, der sich kühl und eben anfühlte. Der ältere Mann lächelte und ging zu seinem Schreibtisch hinüber. Dort ließ er sich ächzend auf einen Stuhl sinken. Jede Bewegung erfüllte ihn mit Schmerzen. Es ärgerte ihn, dass er so schwach geworden war. Nichts lief flüssig, alles war abgehackt undsteif.

Der Gegenstand, den er in der Hand hielt, war perfekt getarnt als eine Handgranate. Vorsichtig löste er die Metallverkleidung und befreite den Diamant aus ihrem Inneren. Er war hell, beinahe durchsichtig und schimmerte doch in allen Farben des Regenbogens. Es war fast, als hielt er ein pulsierendes Herz in seinen Händen, so lebendig erschien der Stein zu sein. Er strotzte regelrecht vor Energie, aufgeladen mit der Magie der vier Elemente. Es war seine Idee gewesen, den Stein zu verwenden und sich somit ein neues Artefakt zu schaffen. Eines, das mächtiger war, als alles, was er bisher gekannt hatte, sogar mächtiger als das fünfte Element selbst. Und er würde der einzige Mensch sein, der darüber herrschte. Die Elementträger hatten ihm nichts entgegenzusetzen, auch wenn sie nun wieder vereint waren. Gegen die Macht, die er nun kontrollierte, konnten sie nicht gewinnen.


Ende Teil 2

Die ElementeWhere stories live. Discover now