53. Die Jagd (2)

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Für einen Herzschlag erstarrt Lucca. Unter den eisigen Blicken seiner Brüder spannt er sich regelrecht an. „So ein Mist! Sie haben uns entdeckt!", zischt er mir zu. Er spricht leise, aber das ändert nichts. Die beiden haben uns schon längst gesehen. Ludo lässt die Zigarettenkippe, die er zwischen den Fingern hält, achtlos fallen. Dann durchzuckt ein Schauer seinen ganzen Körper. Die Schritte, die er in unsere Richtung macht, wirken schwerfällig und dennoch kräftig.

Währenddessen hasten Lucca und ich so schnell los, wie wir können. Wir quetschen uns an einer Dame mit einem Einkaufswagen vorbei, die gerade den Kofferraum ihres Autos belädt. Dabei wären wir fast in einen Vater gerannt, der einen Kinderwagen schiebt.

Eine Gruppe Jugendlicher macht sich einen Spaß daraus, uns anzufeuern. „Rennt! Rennt! Rennt!", gröhlen sie im Chor. Die lauten Rufe verfolgen uns.

Hinter Lucca schiebe ich mich durch die Reihen der parkenden Autos. „Lass uns in die Markthalle laufen", weise ich Lucca an, „von dort nehmen wir den Notausgang."

„Ist gut", meint er und nickt nur knapp. Nebeneinander purzeln wir durch die Schiebetüren in den Supermarkt. Das grelle Licht und die Musik aus den Lautsprechern scheinen vollkommen unwirklich. Wie eine andere Welt. Trotzdem bleiben wir keine Sekunde stehen, sondern stürmen an den Regalen vorbei. Auf einmal liegt ein magisches Knistern in der Luft. Als ich mich umdrehe, um zu sehen, ob uns jemand folgt, fliegen die Mehlpackungen wie von selbst aus dem Regal. Weiße, staubige Wolken steigen auf und versperren mir die Sicht. Ich staune. Woher kam das denn?

Lucca sprintet währenddessen unbeirrt weiter durch den gesamten Laden auf den Notausgang zu. Der befindet sich hinten bei den Kühlfächern. Dort wirft sich Lucca mit voller Kraft gegen die Tür und drückt den Hebel hinunter. Die Klinke gibt nach. Ein schriller Ton erklingt im ganzen Supermarkt. Ich höre, wie die Leute erschrocken aufschreien, doch ich drehe mich nicht um. Nur nach vorn. Weg von den Cinquenti.

Auf der Flucht quetschen wir uns durch die Tür in einen langen, weißen Gang. Den hetzen wir entlang, bis wir zu einer zweiten Tür gelangen. Lucca öffnet sie wieder, in dem er sich mit vollem Gewicht dagegen wirft. Kaum eine Sekunde später stehen wir in der warmen Abendluft auf einer Laderampe. Hier werden bestimmt die Waren angeliefert.

Für einen Moment atme ich erleichtert aus. Wir haben es geschafft. Doch die Erleichterung hält nicht lange. Direkt unterhalb der Rampe lauern Ludo und Serafino. Sie schneiden uns den Weg ab. So ein Mist! Wir sind genau in eine Falle gelaufen.

Lucca und ich weichen zurück zur Tür. Ich versuche, die Klinke herunter zu drücken. Sie klemmt. Scheinbar öffnet die Tür nur in eine Richtung.

Plötzlich rasen von hinten zwei Einkaufswagen auf Ludo und Serafino zu. Luccas Brüder sind so beschäftigt damit, das fünfte Element heraufzubeschwöfen, dass sie das gar nicht bemerken. Ehe sie sich versehen, werden sie mit voller Wucht von den Wägen in den Kniekehlen getroffen und dadurch von den Füßen gerissen. Der Länge nach schlagen sie auf dem Boden auf. Erstaunt sehe ich zu dem jungen Mann, der die Einkaufswagen geschoben hat. Ein blonder Haarschopf und ozeanblaue Augen schauen mir entgegen.

„Pietro?!", entfährt es mir, „was zu Hölle tust du denn hier?!"

Völlig perplex starre ich meinen besten Freund an. Auch er scheint verdutzt zu sein. Zu einem besseren Zeitpunkt hätte er nicht auftauchen können. Trotzdem frage ich mich, wie und warum ausgerechnet er hierher kommt.

„Keine Zeit für Erklärungen! Komm mit!", ruft er.

Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Ich springe die Laderampe hinunter. Beim Aufkommen schmerzt mein Bein höllisch, aber ich beiße die Zähne zusammen und laufe trotzdem weiter. Als ich mich umdrehe, sehe ich das Lucca wie erstarrt noch auf der Laderampe steht. „Worauf wartest du?", brülle ich ihm zu, „komm schon!"

Die ElementeWhere stories live. Discover now