33. Marias Vertrauter (1)

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Für einen Augenblick ist es totenstill im Raum. Ich ertappe mich dabei, wie ich erneut in gespannter Erwartung den Atem anhalte. Mein Vater sieht noch immer auf seine ineinander gefalteten Hände hinab, so als würde er sich nicht trauen, den Blick zu heben und uns anzusehen. Ganz leicht, sodass es mir kaum auffällt, schüttelt er den Kopf. „Nein", sagt er dann allerdings mit fester Stimme, „das kann ich dir leider nicht sagen."

„Entschuldigung", mischt sich Lucca an dieser Stelle ein, „habe ich das richtig verstanden? Leonardo Falcini ist noch am Leben. Und du hast das gewusst?" Der Blick aus seinen Augen ist dabei anklagend, so als wollte er fragen, warum ich ihm das nicht schon früher verraten habe. Schließlich sind wir ja Partner, ein Team im Kampf gegen das fünfte Element.

„Ja", gebe ich zu, „ich weiß davon und Kate auch. Maria hat es uns in ihrer Notiz verraten, die sie in den Ruinen versteckt hat. Sie wollte, dass das ein Geheimnis bleibt, deshalb habe ich nichts erzählt." Ungläubig schüttelt Lucca den Kopf. Ich kann mir unschwer vorstellen, was gerade in ihm vorgeht. Die Tatsache, dass Leonardo noch am Leben ist, ändert alles. Jeder zusätzliche Elementträger stärkt die Macht des Geheimbundes. Ich frage mich, ob Lucca enttäuscht ist, weil ich ihm das nicht früher verraten habe und traue mich gar nicht, ihn anzusehen.

„Es tut mir leid", stammelt nun mein Vater, „ich konnte dieses Geheimnis nicht länger für mich behalten." Ich seufze. Es gibt viele Dinge, für die er sich entschuldigen könnte, aber gewiss nicht dafür, dass er uns von Leonardo Falcini erzählt. Ich bin erstaunt, dass er davon weiß. Andererseits macht es aber auch Sinn, dass er Marias Geheimnis kennt. Hat sie nicht in ihrem Brief an uns geschrieben, ein guter Bekannter hätte ihr geholfen, Leonardo zu verstecken? Was wenn es sich bei diesem Bekannten um meinen Vater handelt?

„Maria hat mich damals ins Vertrauen gezogen, als die Cinquenti Leonardo entführten", beginnt mein Vater, „wir fanden heraus, dass die Cinquenti ihn in ein Waisenheim gebracht hatten. Dort nahm ich Kontakt zu einem der Sozialarbeiter auf und Maria vertauschte mit seiner Hilfe zwei Babys, sodass Leonardo eine neue Identität annehmen konnte. Wenig später gab es ein Feuer in dem Waisenheim, bei dem einige der Kinder starben. Wir nahmen damals an, dass es sich um Leonardo handelte, aber dem war nicht so. Er überlebte das Feuer." All das sagt er beinahe in einem Atemzug. Dabei wirkt er erleichtert, so als könnte er nun endlich eine schwere Last ablegen.

„Aber wenn du ihr geholfen hast, die Babys zu vertauschen, dann musst du doch auch wissen, wo Leonardo heute ist", schlussfolgere ich.

Daraufhin schüttelt mein Vater nur resigniert den Kopf. „Maria und der Sozialarbeiter waren die Einzigen, die davon wussten. Ich habe erst Anfang der zweitausender Jahre davon erfahren. Damals wusste ich weder, dass Maria die Babys vertauscht hatte, noch dass Leonardo überlebt hatte."

„Aber der Sozialarbeiter, den können wir doch fragen", wirft Lucca ein. Seine Wangen glühen.

„Den können wir nicht mehr fragen", meint mein Vater, „er verstarb kurz nachdem die Babys vertauscht wurden. Scheinbar litt er schon zum Zeitpunkt des Tausches an Bauchspeicheldrüsenkrebs und er verstarb kurz darauf an der Erkrankung." Für einen Moment herrscht bedrückendes Schweigen. Jeder neue Weg, den wir versuchen einzuschlagen, scheint in eine Sackgasse zu führen. Es ist verflixt!

„Gibt es nicht Unterlagen zu den Babys, die in dem Waisenheim lebten?", überlege ich weiter. Eines von ihnen muss ja dann Leonardo gewesen sein, bloß mit einem anderen Namen. Wenn wir wissen, wie die Kinder heißen, die in dem Waisenheim lebten, dann können wir sie vielleicht suchen und Leonardo somit finden. Auch wenn das zugegebenermaßen ein ziemlich aufwändiges Unterfangen wäre.

„Die wurden in dem Feuer zerstört", gibt mein Vater zu, „außerdem ist das alles jetzt mehr als zwanzig Jahre her. Ich glaube nicht, dass wir noch etwas zu Leonardos Aufenthaltsort finden. Ich war sogar noch einmal bei dem Waisenhaus von damals. Es existiert heute nicht mehr. Um ehrlich zu sein, habe ich die letzten dreizehn Jahre versucht, Leonardo zu finden, aber ich habe ihn bis heute nicht gefunden."

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