29. Das Haus am See (1)

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Die Luft an diesem Abend ist überraschend mild, fast schon frühsommerlich. Grillen zirpen und verleihen dem Einbruch der Nacht eine eigene Melodie. Die Stadt Varenna liegt am Fuß eines Berges. Über den Gipfeln zeichnet sich das letzte Licht des Tages als schmaler Streifen ab. Die Sonne ist schon längst dahinter verschwunden und die Straßenlaternen sowie die Beleuchtungen der Häuser spiegeln sich im schwarzen Wasser des Sees.

„Hier irgendwo muss Toscani sein", meint Lucca, während er auf das Display des GPS-Trackers schaut, „in dieser Richtung." Er deutet auf eine Straße, die zum See hinab führt.

Um diese Uhrzeit sind noch einige Menschen auf den Straßen unterwegs. Touristen schlendern auf der Suche nach Mitbringseln durch die Souvenirläden und die Restaurants sind ebenfalls gut besucht. Während wir durch die Straßen Varennas laufen, ergreift Lucca meine Hand. Seine Haut ist rau und aufgeplatzt und reibt kratzend gegen meine.

„Was ist das eigentlich mit deinen Händen?", frage ich.

„Was soll mit denen sein?"

„Das ist mir schon letzten Sommer aufgefallen. Deine Haut verändert sich, mal ist sie weich und dann wieder so rau und aufgeplatzt."

„Wieso willst du das wissen?", stellt er die Gegenfrage.

„Vielleicht interessiert es mich ja", gebe ich zu. Darauf gibt Lucca mir keine Antwort, doch ich denke sowieso, dass ich sie schon kenne und gar nicht mehr groß nachfragen muss.

„Es liegt am fünften Element, nicht?", rate ich.

„Ja", antwortet er prompt. Dabei sieht er aus, als wäre ihm unwohl zumute. „Immer, wenn ich es benutze und immer, wenn die anderen es benutzen, hinterlässt es Spuren an unserem Körper. Aber mit dem fünften Element kann man auch jedes Gebrechen heilen. Du wirst an meinem Körper keine Narben finden. Ich werde so gut wie nie krank. Dazu muss ich die Kraft des Elements nur einsetzen, um mich selbst zu heilen. Schon seit ich ein klein bin, habe ich Probleme  mit Neurodermitis. Das ist ziemlich lästig, vor allem weil ich es an den Händen besonders stark habe, da stört es mich bei meiner Arbeit als Gärtner. Deshalb benutze ich manchmal das fünfte Element, um mich zu heilen. Allerdings lässt die Wirkung schon nach ein paar Tagen meist wieder nach."

„Weißt du, warum das so ist?"

„Nein, aber Falcini geht es genauso. Er altert und das ziemlich schnell. So lange, bis der das fünfte Element benutzt und zu einem jungen Mann wird. Er benutzt die Kraft des Elements und hofft, dass er sich dadurch über seine natürliche Lebensspanne hinaus am Leben halten kann, wenn du es so willst."

„Das ist gruselig." Bei dem Gedanke, dass sich Falcini mit der Macht des fünften Elements ewige Jugend verschafft, schaudert es mich.

„Das stimmt. Ich weiß nicht, ob er damit versucht, sich selbst zu retten. Denn auch das fünfte Element kann nicht alle Gebrechen heilen."

„Wie meinst du das?", frage ich.

„Nun ja, ich glaube das, worunter Falcini am meisten leidet, ist sein gebrochenes Herz. Und das kann nichts auf der Welt wieder heilen."

Luccas Worte machen mich unglaublich traurig. Wobei er irgendwie Recht hat. Ein gebrochenes Herz ist eine der schlimmsten Verletzungen, die man erleiden kann. Und was genau ein Herz wieder heilen lässt, damit es zusammen wachsen kann, weiß niemand. Vermutlich braucht es einfach ganz viel Liebe und Zeit.

„Also reicht ihm die Macht des fünften Elements nicht?", hake ich nach.

„Ich denke nicht", erwidert Lucca.

„Was hat er vor?"

Darauf erwidert Lucca nichts mehr. Er zuckt nur mit den Schultern. „Wenn ich es wüsste, würde ich es dir verraten, glaub mir", sagt er. Es ist ihm sichtlich unangenehm über Falcini und seine Pläne zu sprechen. Deshalb beschließe ich, nicht weiter nach zu fragen. Lucca hat Recht, wenn er mehr wüsste, würde er es mir verraten.

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