34. Marias Vertrauter (2)

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„Letztes Jahr Anfang Oktober." Mein Vater flüstert, als er das sagt. Langsam beuge ich mich vor, um ihm besser ins Gesicht schauen zu können. Warum sollen er und Lucca denn letztes Jahr im Oktober miteinander gesprochen haben? Das ergibt keinen Sinn.

Dann jedoch geht mir mein Licht auf. „Du bist Marias Kontaktmann!", rufe ich erstaunt aus. Letztes Jahr Anfang Oktober wollten die Cinquenti Kate und mich vor Falcini in Sicherheit bringen. Dazu haben sie einen Vertrauten von Maria kontaktiert, der zu dem Zeitpunkt in den USA lebte. Er sollte uns helfen, unterzutauchen und uns eine neue Identiät verschaffen. Dieser Plan ist damals jedoch schief gegangen, weil Falcini hinter unser Vorhaben kam und wir Marias Kontaktmann nie persönlich kennenlernten.

Nur ganz langsam, kaum merklich, nickt mein Vater. „Wusstest du, dass wir die Elementträgerinnen sind?", frage ich.

„Nein." Mein Vater schüttelt den Kopf. „Aber ich glaube, Maria wusste es."

Ich schlucke. „Woher soll sie es gewusst haben?"

Daraufhin zuckt mein Vater nur mit den Schultern. „Das ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel. Ich habe keine Ahnung. Aber Maria wusste so einiges, was sie mir niemals verraten hat und jetzt kann sie es uns nicht mehr sagen. Glaub mir, wir hatten viele Streits über ihre Pläne, vor allem damals, vor dreizehn Jahren."

Mein Herz wird schwer. „Wie meinst du das?"

Für einen langen Moment antwortet mein Vater gar nicht. Stumm sitzt er neben mir und starrt hinaus auf den See, dessen dunkles Wasser glatt vor uns in der Dunkelheit liegt. Nur leichte Wellen schwappen ans Ufer. In der Ferne leuchten die Lichter einer anderen Stadt. Schon als ich denke, dass er mir gar nicht mehr antworten wird, holt er tief Luft.

„Ich habe euch verlassen. Das wollte ich nicht und das war der größte Fehler meines Lebens", gesteht er.

„Nonna hat mir gesagt, du hättest eine Affäre gehabt. War das der Fehler?", hake ich nach. Da lacht mein Vater nur. Ein freundloses, kaltes Lachen.

„Ich hatte niemals eine Affäre. Das habe ich nur so aussehen lassen, damit ich weg kann."

„Wie bitte?!" Wer täuscht denn eine Affäre vor, um sich von seiner Familie zu trennen?

„Die Cinquenti haben mich bedroht. Ich war dazu gezwungen", erklärt er, „in dem Sommer, bevor du in die Schule kamst, lauerten die Cinquenti mir ständig auf. Sie schienen zu ahnen, dass wir etwas vor ihnen verheimlichten. Warum auch immer waren sie der Überzeugung, Maria und ich würden etwas Wichtiges verbergen, wie eine Art Geheimwaffe des Geheimbundes. Deshalb haben sie angefangen, Maria und mich zu bedrohen. Sie tauchten immer wieder bei mir an der Universität auf und spionierten mich aus. Das machte mich ganz mürbe und als ich mit Maria darüber sprach, verriet sie mir, dass Leonardo Falcini noch am Leben war."

„So spät hast du erst davon erfahren?", frage ich erstaunt.

„Ja, damals in den neunziger Jahren wusste ich nur, dass Maria Leonardo angeblich in Sicherheit gebracht hatte. Ich dachte genau wie alle anderen, dass er in dem Feuer im Waisenhaus ums Leben gekommen sei und dass Marias Vorhaben letztendlich doch gescheitert war. Das Schicksal Leonardos nahm mich damals sehr mit. Außerdem lernte ich deine Mutter kurz darauf kennen, weshalb ich mich vom Geheimbund distanzierte. Erst Anfang der Zweitausender erfuhr ich die ganze Wahrheit von Maria. Sie gab mir all ihre Unterlagen zu Leonardos Aufenthaltsort und meinte, ich sollte sie sicher aufbewahren. Am besten im Ausland."

„Hättest du das nicht auch bei uns machen können? Wir hätten doch alle zusammen auswandern können." Was meine Mutter nach der Trennung schließlich ja auch getan hat. Noch immer leuchten mir die Begründungen meines Vaters nicht so ganz ein. Das Schlimme daran ist, dass es ihm ähnlich zu gehen scheint.

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