64. Kampf der Elemente (1)

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Im ersten Moment bemerkt uns keiner der Elementträger. Alessia, Philippe und Kate stehen mit dem Rücken zu uns und die Cinquenti sind vollkommen in ihre Magie vertieft. Zielsicher gehen wir weiter, noch immer Hand in Hand, Schritt für Schritt. Regen peitscht uns in die Gesichter, Wind drückt auf meine Schultern und droht, mich in die Knie zu zwingen, doch ich fühle mich stark.

Die Cinquenti sehen uns als Erstes. Ganz langsam, so als könnten sie nicht glauben, dass wir es sind, lassen sie die Hände sinken. Auf Serafinos Gesicht breitet sich ein schauriges Lächeln aus. Hector dahingegen wirkt wütend. Die anderen beiden bleiben steif und regungslos.

Nun merken auch die Elementträger, dass etwas nicht stimmt. Nur für einen kurzen Augenblick wendet Kate sich zu uns um. Erleichterung huscht über ihr angespanntes Gesicht. Sie zuckt leicht zusammen. Beinahe hätte sie ihre Position aufgegeben. Doch dann tippt sie Philippe locker gegen die Schulter. Der wirbelt erschrocken herum. Als er uns sieht, schreckt er zusammen, doch er fasst sich schnell wieder. Seine Lippen bewegen sich. Das Tosen der Elemente ist  so laut, dass ich nicht verstehe, was er sagt. Auf seine Worte hin dreht sich auch Alessia um. Sie reagiert sofort. Noch ehe ich blinzeln kann, rast ein glühender Feuerball auf uns zu.

Beinahe synchron ducken Lucca und ich uns darunter hinweg. Das Feuer schlägt in einem Gebäude hinter uns ein und breitet sich von dort in Windeseile aus. Noch immer spüre ich keine Angst. Es ist, als würde ich mich von außen beobachten, wie ich Hand in Hand mit Lucca auf die Elementträger zugehe. Unbeirrt und zielsicher. Wir können jetzt nicht stoppen oder gar umkehren. Lucca hat sich für einen Weg entschieden und den werde ich mit ihm gehen bis zum Ende. Wir haben die Elementträger fast erreicht, als Philippe sichtlich unruhig wird. Er hat seine Aufmerksamkeit nun ganz von den Cinquenti abgewandt und holt zum Angriff aus.

Wie aus dem Nichts wächst eine Schlammlawine vor uns aus dem Boden. Ich schaffe, es gerade noch so, Lucca beiseite zu stoßen, damit er nicht von den Fluten erwischt wird. Dann reißt mich der Matsch von den Füßen und drückt meine Knie auf den Boden. Ich stecke bis zur Brust im Dreck, der sich um mich herum verdichtet. Es fühlt sich so an, als würde der Schlamm mich erdrücken. Ich versuche, Luft zu holen, aber mein Brustkorb ist wie eingeschnürt. Nun flammt zum ersten Mal ein kleiner Hauch Panik in mir auf. Ich muss Luft holen. Sonst ersticke ich.

Plötzlich kickt Lucca mit einer tänzelnden, beinahe lässigen Bewegung seinen Schuh beiseite. Dann streift er sich den Socken vom Fuß. Mit einem entschlossenen,starren Blick, streckt er Alessia und Philippe seinen Socken entgegen. Was will er denn damit bezwecken? Warum wedelt er da mit seinem dreckigen, weißen Socken in der Luft herum? Wenn die Situation nicht so ernst wäre, hätte ich gelacht. Doch dieses Manöver scheint tatsächlich Wirkung zu zeigen, denn der Druck um meinen Brustkorb lässt nach. Wie von Geisterhand verschwindet all der Schlamm um mich herum. Erst da begreife ich, dass Lucca seinen Socken als weiße Flagge benutzt.

Langsam lässt Lucca seine Hand sinken. Ohne seinen Schuh wieder anzuziehen, kommt er zu mir und zieht mich auf die Beine. Die Elementträger sehen verzagt zu uns hinüber und sind nun vollkommen abgelenkt von ihren Gegnern auf der anderen Seite der Schlucht. Diesen Vorteil nutzen die Cinquenti, um anzugreifen. Hector ballt die Fäuste und ich kann die Macht, die sich zwischen seinen Fingern sammelt, regelrecht spüren.

Ehe ich mich versehe, zuckt eine mächtige Welle aus Energie auf die Elementträger zu. Blitzschnell, fast schon instinktiv hebt Lucca seine freie Hand. Wie aus dem Nichts beschwört er einen Wirbelsturm herauf, der sich der Energiewelle entgegen stellt. Als die Luft und das fünfte Element aufeinander treffen, ertönt ein lautes Krachen. Der Luft ist es gelungen, das fünfte Element aufzuhalten. Zumindest zeitweise, denn Luccas Hand zittert verdächtig. Ein bisschen wirkt es, als würde er mit Hector Armdrücken spielen. Nur dass Hector um ein Vielfaches stärker ist als Lucca. Das fünfte Element schlägt jedes der vier. Zumindest wenn die Elemente für sich alleine stehen.

Kate ist die Erste, die begreift, was sie tun muss. Ruckartig dreht sie sich um. Augenblicklich schlängelt sich eine Wassersäule um den Wirbelsturm. Sie sieht zu Alessia und Philippe und deutet ihnen mit einem Kopfnicken an, es ihr gleich zu tun. Sofort tanzen Flammen in dem Wirbelsturm. Zusammen schaffen sie es sogar, die unsichtbare Kraftsäule des fünften Elements wenige Zentimeter zurück zu drücken. Trotzdem sind sie noch nicht mächtig genug, um es vollkommen zu besiegen. Schließlich gibt sich auch Philippe einen Ruck. Rosenranken schießen aus dem Boden hervor und vereinen sich mit den anderen drei Elementen.

Es ist ein schaurig schönes Spektakel. So unwirklich, dass ich nicht glauben kann, was ich da mit eigenen Augen sehe. Die vier Elemente gemeinsam sind mindestens genauso stark wie das fünfte wenn nicht sogar stärker. Es ist aber, als würde sich hier eine andere Seite der Medalie darstellen. Die Magie der vier Elemente ist sanft. Nicht so zerstörerisch wie das fünfte. Wie die Kraft, mit der Sonnenstrahlen graue Regenwolken durchbrechen oder der Löwenzahn den Asphalt. Es ist eine Kraft, die voller Leben steckt.

Die Energiewelle, die Hector ausgesandt hat, wird schwächer, bis sie schließlich in sich zusammen sinkt. Ganz langsam, eins nach dem anderen, erlöschen auch die Elemente. Ein scharfer Wind reißt an meinen Kleidern. Es kommt mir vor, als würden die Regentropfen nun noch stärker auf uns herabprasseln.

Kate streckt ihre Hand nach uns aus. Lucca läuft auf sie zu und ergreift sie. Es muss ein mächtiges Bild sein, die vier Elementträger vereint. Und dann bin da noch ich. Doch ich komme mir nicht fehl am Platz vor. Ich weiß, dass ich hierhin gehöre, zu Kate und Lucca. Auch wenn ich keine übernatürlichen Kräfte besitze, so kann ich ihnen helfen, einfach indem ich da bin.

Wir stehen nun nahe am Abgrund. Von den Cinquenti trennen uns maximal zwei Meter. Luccas Griff um meine Hand wird fester. Wie schwer muss es wohl sein, an einer Entscheidung festzuhalten, von der man weiß, dass es die richtige ist und die gleichzeitig doch so sehr weh tut, dass man daran zerbrechen möchte?

„Alle zusammen!", ruft Alessia durch den tosenden Wind und die hämmernden Regentropfen. Sie beginnt mit dem Angriff auf die Cinquenti, in dem sie eine Wand aus Hitze aus dem Nichts heraufbeschwört. Philippe steigt ein. Diesmal jedoch nicht in Form von Rosenranken oder Schlammlawinen. Nein, er lässt die Erde beben. Alles um uns herum beginnt zu wackeln, bis auf der Boden, auf dem wir fünf stehen. Steine stürzen in den Abgrund, vor dem wir stehen. Die bodenlose Schwärze scheint mit einem Mal noch tiefer zu werden. Die Cinquenti kämpfen mit dem Gleichgewicht. Mit einem wütenden Aufschrei rammt Emma die Faust in den Boden und sendet ihre Magie in die Erde. Dadurch schaffen die Cinquenti es, sich auf den Füßen zu halten.

Kate und Lucca wechseln einen kurzen Blick. Ohne sich abzusprechen koordinieren sie ihre Kräfte, in dem Kate aus den Regentropfen Wassersäulen formt, die Lucca wie Pfeile auf die Cinquenti abschießt. Sie können ihnen jedoch nicht wirklich gefährlich werden. Ehe wir uns versehen, haben Serafino und Ludo einen Schutzschild heraufbeschworen.

Schweiß vermischt sich auf meiner Stirn mit den Regentropfen. Mein Herz pocht schnell und hart in meiner Brust, während ich einfach nur dastehe und beobachte, was passiert.

„Jetzt vereinen", ruft Alessia. Es ist fast, als würde man einem Paar dabei zusehen, wie es sich küsst. Ganz sanft und dennoch mit voller Energie gleiten die vier Elemente ineinander. Dabei entsteht ein Gemisch aus Feuer, Erde, Wasser und Luft.

Auch die Cinquenti halten nun einander bei den Händen. Mit ihrer vereinten Kraft attackieren sie die vier Elemente. Doch die vier zusammen scheinen mächtiger zu sein als das fünfte. Aber die Cinquenti geben sich nicht so einfach geschlagen. Mit einem wütenden Aufschrei wirft Emma einen etwa faustgroßen Gegenstand zu uns hinüber, der direkt vor meinen Füßen landet. Sieht aus wie eine Handgranate. Ein kleines rotes Licht blinkt am oberen Pol der Granate.

Im nächsten Moment handele ich ohne nachzudenken. Meine Hand löst sich aus der von Lucca. Ich schnappe die Granate und schleudere sie zu den Cinquenti hinüber. In der Luft kreuzt sie das Spektakel der Elemente. Für einen Moment schwebt sie zwischen den vier Elementen und dem fünften. Es ist, als würde sie die Magie und Energie, die sie umgeben, absorbieren, bevor sie explodiert. Auf einmal ist alles hell und laut. Die Welt vor meinen Augen verschwindet.

Die ElementeWhere stories live. Discover now