31. Das Haus am See (3)

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Das Blut gefriert in meinen Adern. Augenblicklich versteift sich mein ganzer Körper und ich wage es nicht, mich zu bewegen. Lucca geht es zunächst genauso. Doch dann dreht er sich ganz langsam um. Ich tue es ihm gleich.

Hinter uns steht Antonio Toscani. Er trägt immer noch das Hemd und die graue Hose wie in der Universität. Das Jackett hat er jedoch abgelegt und seine Krawatte gelockert. Sein dichtes, graues Haar steht in alle Richtungen ab, so als hätte er es gerauft. In der Hand hält er ein Messer. Er zittert, doch der Ausdruck in seinen Augen ist fest entschlossen. Langsam hebe ich die Hände, als würde er mich mit einer Pistole bedrohen.

„Ernesto?", höre ich eine Frau rufen.

„Bleib weg, Liebling!", antwortet er, doch sie hört nicht auf ihn. Nur wenig später betritt sie den Raum. Sie ist deutlich jünger als er, vergleichsweise hübsch und schwanger. Sie trägt nur ein Nachthemd, unter dem sich ihr Babybauch sichtbar hervor wölbt. Mir versetzt dieser Anblick einen Stich.

Als die Frau uns sieht, schreit sie erschrocken auf und weicht ein paar Schritte zurück.

„Ich hab das im Griff, Liebling", versucht Toscani sie zu beruhigen. Da werde ich auf einmal richtig wütend. Was bildet der sich eigentlich ein? Einfach so abzuhauen und mir keine Antworten zu geben. Noch immer weiß ich nicht, ob dieser Mann tatsächlich mein Vater ist oder einfach nur jemand, der ihm ähnlich sieht. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass er mir eine Erklärung schuldet. Außerdem möchte ich endlich wissen, woran ich bin.

Noch immer trage ich das Artefakt, die mir die Kraft verleiht, die Luft zu befehligen. In Sekundenschnelle baue ich eine Verbindung zu dem Element auf und nutze die Magie, um das Messer aus Toscanis zitternder Hand zu fegen.

Der begreift gar nicht richtig, was geschieht und starrt erstaunt auf seine Hand. Dann wandert sein Blick zu dem am Boden liegenden Messer hinüber. Die junge Frau schreit wieder erschrocken auf. Ich ignoriere sie und wende mich nun ganz Toscani zu. „Maria Vecca schickt mich", sage ich, „mein Name ist Brionny Peterson. Meine Schwester Katherine und ich sind in Gefahr. Ich denke, ich habe ein paar Antworten auf meine Fragen verdient und dass Sie mir zuhören, ohne gleich weg zu laufen oder ein Messer zu zücken." Das Zittern weitet sich nun von Toscanis Hand über seinen ganzen Körper aus. Der entschlossene Ausdruck in seinen Augen verschwindet und macht einer tiefen Traurigkeit und Verzweiflung platz. Etwas in seiner Mimik verändert sich, aber ich kann nicht sagen, was genau es ist.

„Sind Sie mein Vater?", bricht es aus mir heraus. Dieser Satz hört sich komisch und fremd aus meinem Mund an. Es ist, als würde ich mich selbst von Außen betrachten. Ein kommt es mir vor, als wären mein Geist und mein Körper voneinander getrennt. Oder vielleicht bin ich auch nur für jegliche Empfindung taub geworden. Tränen treten in Toscanis Augen. Er wirkt seltsam bekannt und zugleich doch so fremd. Langsam nimmt er seine Brille ab.

„Ja", flüstert er. Es ist nur ein kleines, schwaches Wort, doch es reicht, damit sich mein Magen anfühlt, als würde ich gerade in einer wilden Achterbahn sitzen.

„Brionna", flüstert er. Ich bemerke, wie sich die Haare an meinen Armen aufstellen, aber ich fühle den Schauer nicht, der über meinen Körper läuft. Was dann passiert, bekomme ich nicht so richtig mit, aber auf einmal hält Toscani mich in seinen Armen. Das Gesicht lehnt er auf meine Schulter, während er laut aufschluchzt. Schließlich wischt er sich die Tränen aus den Augenwinkeln und nimmt meinen Kopf in seine Hände. „Brionna", flüstert er noch einmal, „du bist so groß geworden." Er schluckt schwer. „Bitte verzeih mir. Ich hätte mir nur nie erträumen können, dich jemals wieder zu sehen."

„Was hast du mit den Elementen zu tun?", frage ich, „warum hast du uns verlassen und warum bist du heute davongerannt?" Die Worte klingen drastischer, als ich es beabsichtigt habe. Doch meine Stimme ist fest und stark. Allerdings höre ich mich nur aus weiter Ferne, fast so als hätte ich Watte in den Ohren.

Die ElementeWhere stories live. Discover now