50 Sarylads Vermächtnis

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Schmerzen. Ich spürte nichts anderes als Schmerzen in einem Raum aus Dunkelheit, einem Land aus Lärm und einer Welt aus Terror, wo Knochen gebrochen wurden, nur um sie Fragment für Fragment wieder zusammensetzen zu lassen. Ließ sich etwas zerstörtes überhaupt je wieder zusammensetzen, sodass es wieder wie vorher aussah?
An diesem Ort existierte kein Licht, nichts greifbares und die einzigen Geräusche, die immer und immer wieder auf meine Ohren trafen, waren Schreie, das Reißen von Haut und das knackende Zerbersten von Knochen. Hier gab es nur die Schwerelosigkeit, die mich in ihrem starren Griff zu jeder Zeit in der Schwebe hielt. Das Gefühl, das ich mich wenigstens umdrehen könnte, war schon lange vergessen. Starr und regungslos schwebte ich in dieser Dunkelheit umher.
Jedoch spürte ich deutlich, wie meine Fingernägel einem nach dem anderen ausgeschabt wurden, gebrochen, gedreht. Bis auf die Knochen wurden sie freigelegt. Übrig blieben blutige Stummel, Fetzen von einst schlanken Hautstrukturen. Sandpapier, hart und rau, rieb mir über meine schreienden Gelenke, kratzte sie auf, machte sie wund. Unter Krämpfen kämpfte ich gegen das wehklagende Bedürfnis mich zu bewegen, mich endlich loszureißen von dieser Quelle aus Schmerz, aus Dunkelheit, aus Lärm.
Doch wohin sollte ich schon fliehen? Wo war oben und wo war unten und wie viele Stunden waren vergangen, seitdem ich in diese Schattendimension gestürzt und mich in ihr verloren hatte? Das Gefühl von Zeit und Raum schmolz in meinen knochigen Händen zu einer Pfütze aus Nichts und zerrann mir vor meinen Augen zwischen den Fingern. Jedes sensorische Gefühl verlief sich in Kummer und Qual. Eine einzige Muskelregung endete in einem erstickten Schrei, der mit dem Gefühl unterbunden wurde zu ertrinken, zu sterben. Ich sterbe! Dick und kochendheiß drangen die Schatten in meine Kehle, würgten mich und fluteten meine Lungen, nur um sie zum bersten und zum bluten zu bringen.
Wie oft musste ein Mensch sterben, bis er wiedergeboren werden konnte?
Wie oft musste ich sterben, bis ich in eine neue Welt übergehen konnte?
Ich war es leid. So leid, dass ich schreien und mir allmählich selbst die Haut von den Knochen reißen wollte, nur damit es schneller vorbei war.
Reißt mir die Haare raus, zerrt an meinen Fingernägeln, stecht mich mit tausend Nadeln und schneidet mir die Haut von den Knochen. Nehmt was ihr wollt, aber bitte lasst mich endlich in Frieden. Ein jämmerlicher Laut drang aus meiner Kehle und ließ meinen ohnehin schon ausgezehrten Körper erzittern. Ich hatte das Gefühl weinen zu müssen, aber hier war alles so eng und drückend, dass die Tränen in meinem eigenen Körper versiegelt wurden.
Schon eine gefühlte Ewigkeit war die Empfindung, das etwas in mich eindringen und mich überwältigen würde, zu einer Konstante in meinem Leben geworden. Schlichte Gewohnheit, die sich nicht länger abschütteln ließ.
Irgendwann - vielleicht Stunden oder Tage später - öffnete ich die Augen. Brennend und unangenehm fühlte es sich an und am liebsten hätte ich sie auch sofort wieder geschlossen, um mich vor allem was kommen mochte schützen zu können. Was ich nicht sah, das war nicht anwesend. Allerdings, das was vor mir erschien, konnte man einfach nicht ignorieren. Licht. Licht! Ich blinzelte und sog erschrocken die Luft ein, nur um im nächsten Moment wieder würgend zu verkrampfen, zu husten und zu ... Das beklemmende Gefühl zu sterben trat nicht ein. Kälte gesellte sich zu dem weißen Leuchten, das von Sekunde zu Sekunde heller wurde, blendender, größer. Die sinkende Temperatur war eine Wohltat und ich schmiegte mich in sie, genoss die Linderung und die Trockenheit. Eine Blase aus kalter Luft umfing mich wie die liebenden Arme meines Vaters und in dem Moment, in dem ich in sie fiel, konnte ich endlich einmal aufatmen. Diese Luftblase leuchtete und auch wenn außerhalb nichts anderes als Dunkelheit und Schwärze zu sehen war, nutzte ich die Gelegenheit und genoss das einmalige Gefühl atmen zu können und die Enge um meinen geschundenen Körper abzustreifen. Noch immer befand ich mich in einem Zustand der Schwerelosigkeit, aber wenigstens konnte ich mich bewegen und atmen, ohne wiederholt das Bewusstsein zu verlieren.

"Kind." Körperlos und geisterhaft erklang eine rauchige Stimme in der Leere. Sie besaß keinen greifbaren Ursprung, sondern umfing mich einfach. Zu erschöpft, um mich noch vor ihr erschrecken zu können, sah ich mich dennoch suchend nach dem Geschöpf um. Der Klang der Stimme war kein menschlicher gewesen, aber auch einem Drachen hatte sie nicht geähnelt. Sie war zu kratzig, zu leicht und es fehlte ihr an dem Donnern, das in den Worten eines Drachen schlummerte. "Kind", wiederholte die rauchige Stimme. Weiche, sanfte Nässe strich über meinen Rücken und erst jetzt fiel mir auf, dass auch der Schmerz verschwunden war.

A Dragon's MistressWhere stories live. Discover now