43 Der Liebesbrief

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Nachtluft stieß mir kalt gegen meine erhitzte Haut, während ich mich mühsam und keuchend mit beiden Händen an der harten Rinde eines Baum abstützte und versuchte wieder zu Atem zu kommen. In meiner Kehle brannte noch immer der Geschmack von Erbrochenen und vor meinen tränenden Augen drehte und bog sich die Maserung der Rinde. Ihre harten Kanten und kalte Feuchtigkeit halfen mir meine Gedanken zu ordnen und besänftigten allmählich meinen hämmernden Puls.
Minutenlang hatte ich mich am Fuße dieses Baumes übergeben, hatte sowohl den Wein als auch das Abendessen würgend Mutternatur offenbart und war dabei in Tränen ausgebrochen. "Du weißt es", hatte Ciaran mitten im Tanz gesagt und mir meine Fehler vor Augen geführt. Immer und immer wieder wiederholte mein Kopf unaufhörlich die vorherige Szene, zeigte mir Ciarans wissendes Grinsen und Nakeenas mörderischen Blick, den sie mir während des gesamten Tanzes über zugeworfen hatte. Wie hatte ich die stille Drohung in ihm nicht erkennen können, wie hatte ich sie zuvor beim Abendessen als sympathisch und sogar freundlich wahrnehmen können? Zu allem Überfluss war es mir in meiner Trunkenheit nicht einmal eingefallen mein Wissen um Nakeenas wahre Identität zu leugnen und hatte stattdessen bloß Ciarans Blick erwidert und ihn auch noch gefragt weshalb er ihr überhaupt diente, wenn er doch ganz genau wusste, was sie war. Sein Lächeln war zu einem Schmunzeln geschmolzen und er hatte sich zu mir vorgebeugt, seine Lippen an mein Ohr gelegt und den Druck seiner Hand an meinem Rücken verstärkt, als müsste er mir nochmal vor Augen führen wie wehrlos ich tatsächlich war. "Was man nicht alles für seinen Seelengefährten tut, nicht wahr?" Die Wärme seines Atems hatte mir einen Schauer über den Rücken gejagt und ich war vor den Augen aller Anwesenden stehengeblieben und hatte ihn mit großen Augen angestarrt. Die Hitze der Flammen hatte mir in den Augen gebrannt, ich spürte sie noch immer, während mir Tränen über meine Wangen liefen.

"Menschen können die Gefährten eines Drachens sein?", hatte ich mit flachem Atem gefragt und anschließend die Luft angehalten. Ich wusste nicht wieso mir das Aussprechen dieser Frage so viel Überwindung abverlangt hatte, aber mein Herz hatte gerast und Ciarans überlegene Miene hatte mir meine Frage beantwortet und mir unendlich viele Tatsachen vor Augen geführt.
Erstens, die Anführerin der Drachenjäger ist Nakeena de Dragorea. Tochter der ersten Drachenkönigin Sarylad, Mutter von Kateera und Teil der königlichen Familie der Herrscherrasse.
Zweitens, ein Drache mit dem Blut der Königsfamilie stand auf der Seite der Menschen und wird im Kampf gegen ihresgleichen mit Waffengewalt unterstützt.
Drittens, ich befand mich mitten im Schlund einer mörderischen Bestie. Nakeena war dazu imstande gewesen ihre eigene Schwägerin, die Gefährtin ihres älteren Bruders zu töten und selbst Sarylad, die als mächtiger Drache in die Geschichte eingegangen war, hatte sie gefürchtet.
Viertens, Menschen konnten das Seelenband mit einem Drachen teilen.
Ein weiterer Schwall Erbrochenes brach aus mir heraus und spritzte gegen die Baumrinde und auf den Waldboden. Allein der Gestank brachte mich weiterhin zum würgen und dazu kam auch noch der Anblick. Noch immer spielte die Musik auf dem Festplatz und noch immer tanzten, tranken und feierten die Leute dort. Keiner von ihnen ahnte von wem oder was sie angeführt wurden. Gute Menschen wie Svea und Hardy wurden von Nakeena und Ciaran hinters Licht geführt und einem lebensbedrohlichen Kampf ausgesetzt. Wenn zwei Drachen gegeneinander kämpften, dann war das eine Sache, aber Menschen bewusst gegen diese mächtigen Geschöpfe aufzuhetzen, ohne dabei selbst an der Front zu stehen, war das Letzte.
Schwer atmend hockte ich mich auf die Knie, schwankte kurz und ließ mich dann rückwärts auf den Hintern fallen. Statt der Rinde drehte sich nun das Blätterdach vor mir, was meinen rumorenden Magen nicht gerade weiterhalf. "Ein Seelenband mit einem Drachen ...", murmelte ich nachdenklich, mit dem Blick in den Zweigen und glitzernden Laternen. Ein kühler Windstoß verwehte mir das Haar, blies es mir über die Schulter zurück und ließ mich kurz aufatmen. Die Übelkeit ebbte allmählich ab, auch wenn der widerliche Geschmack noch auf meiner Zunge lag. Das Licht der Laternen unter dem Dach aus herbstlichen Blättern war dämmrig und so wunderschön und golden, dass ich wieder einmal an Hayen dachte. Schon seit meiner Ankunft hier war er mir immer wieder durch den Kopf gegangen und immer hatte es die Furcht mit sich geführt, dass er mich inzwischen eventuell hassen könnte. Ich hatte ihn verlassen, nicht auf ihn gehört und war hierhin gekommen. Dass ich jetzt vermutlich in der Falle saß, wollte ich mir noch nicht eingestehen. Aber der Anblick des Laternenlichts hatte etwas beruhigendes an sich.
Sehnsucht durchzuckte meinen Körper und glitt mit einem bitteren Nachgeschmack über meine Haut. Ich vermisste ihn, vermisste ihn so sehr, dass es wehtat. Trotzdem saß ich jetzt hier, war betrunken, hockte auf nachtfeuchtem Laub und versteckte mich vor Fremden, die seinesgleichen ohne zu zögern töten würden. Menschen haben es gar nicht verdient mit ihnen etwas so wertvolles zu teilen, wie das Band zwischen Seelengefährten, dachte ich mit grimmiger Miene und versuchte mir unbeholfen selbst wieder auf die Beine zu helfen. Beim ersten Versuch landete ich ein weiteres Mal auf dem Hintern, beim zweiten Versuch fiel ich beinahe vornüber in die stinkende Pampe vor mir und beim dritten Mal packte mich jemand grob beim Oberarm und zerrte mich auf die Beine.
Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass ich gar nicht alleine war und wirbelte deshalb mit einem erschrockenen Keuchen auf den Lippen zu der Person um. Mein Herz klopfte mir plötzlich bis zum Hals und auch die Tatsache, dass neben mir nun eine Frau mittleren Alters stand und mich mit zusammengezogenen Brauen musterte, beruhigte mich nicht. Wenigstens nicht Ciaran. "'Tschuldigung, sitze ich hier im Weg?", fragte ich und klang dabei genauso, wie ich mich auch fühlte - Wie ein sinkendes Wrack.
Die Frau lächelte, augenscheinlich aus Mitleid oder vielleicht Erbarmen und gab dann langsam meinen Arm frei. Das sie jederzeit damit rechnete, dass ich einfach wieder zur Seite kippte, sah man ihr deutlich am Gesicht an. Hübsch war sie. Dunkelbraunes Haar, dass sie zu einem hohen Zopf gebunden hatte und ihr nun schwer auf der schlanken Schulter lag und ihr symmetrisches Gesicht fielen mir als Erstes auf. Seltsamerweise kam sie mir erschreckend bekannt vor, weswegen ich sie mit zusammengekniffenen Augen anstarrte. "Du bist die Wache von Nakeena!", rief ich schließlich aus, als ich sie wiedererkannt hatte. Jetzt wo sie weder Uniform noch Waffe bei sich trug hatte ich sie nicht gleich erkannt, aber es war definitiv dieselbe Frau, die noch am Mittag vor Nakeenas Haus ihren Wachposten besetzt hatte.

A Dragon's MistressWhere stories live. Discover now