27 Der Mensch im Wald (TW)

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Die Worte der Geister hatten Sarylad stark beunruhigt und sie wollte es kaum wahrhaben. Einen Menschen hatte sie bereits seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Vielleicht sogar mehr als nur zwei. Denn immerhin war allein die Anreise hier hinauf in den Norden ohne Flügel langwierig und beschwerlich genug, um unerwünschte Gäste zumindest weitgehend von hier fernzuhalten. Sie hätte es verstehen können, wenn Menschen an ihren südlich gelegenen Grenzen einige Lager aufgeschlagen hätten, auch wenn Tyvallahn sie vermutlich sofort wieder vertrieben hätte, aber so nah am Meer hätte sie niemals einen von ihnen erwartet. Vor allem keinen einzelnen Menschenmann, wie die Geister es ihr verdeutlicht hatten.
Mit den geschärften Sinnen eines Raubtiers schlich Sarylad in ihrem schönen Kleid zwischen dem Geäst entlang und folgte dem dicken Moosteppich, dessen glühende Partikel ihr den Weg wiesen. Noch immer spürte sie an ihrem Bein diese eine feuchte Stelle. Es war wie ein Brandzeichen, eine Erinnerung an die Dringlichkeit dieser Angelegenheit, eine unsichtbare Fessel an Sarylads Versprechen.
Sarylad kletterte gerade über einen emporragenden Ast, hatte ihren seidigen Rock wegen ihm bis zu den Knien hochgezogen, als sich zu dem magischen Leuchten des Mooses schließlich auch Tageslicht in ihr Blickfeld drängte. Es war grell und nach der Zeit im matten Licht des Waldes regelrecht beißend in ihren empfindlichen Augen, weswegen sie während sie sich näherte heftig blinzeln musste, um weiterhin etwas sehen zu können.
Allerdings hatten sich inzwischen ohnehin das Ächzen und Stöhnen eines Mannes in ihre Ohren geschlichen und auch sein verschwitzter Geruch wurde mit jedem Schritt präsenter, deswegen musste sie sich nicht einmal mehr auf ihre Augen verlassen um sich ihrem Ziel zu nähern. "Na komm schon, du beschissener Baum!" fluchte der Mann, kurz darauf ertönte das stumpfe Geräusch einer einschlagenden Axt.
Sarylad näherte sich geräuschlos im Schatten, darauf bedacht Ästen und vertrockneten Blättern auf dem Boden mit ihren Füßen auszuweichen. Nahe am Waldrand versteckte sie sich hinter einem breiten Baum, mit besonders tiefhängenden Blättern und beobachtete den ächzenden Mann mit zusammengekniffenen Augen. Sie schmiegte sich an die raue Baumrinde und rümpfte bei dem aufdringlichen Gestank des Mannes ihre Nase, versuchte sich aber nicht von ihren Sinnen bei ihrer Einschätzung beeinflussen zu lassen.
Bei dem Eindringling handelte es sich um einen einzelnen Mann, das verriet ihr bereits der Geruch der Umgebung. An diesem Ort lagerten keine weiteren Menschen, so viel stand schonmal fest. Er war mittleren Alters, zwar wesentlich jünger als Sarylad selbst, aber für menschliche Verhältnisse hatte er sicherlich schon die Hälfte seiner Jahre erlebt. Nichtsdestotrotz schien er gut in Form zu sein, ein breites Kreuz, gut genährt und muskelbepackte Arme. Ein ganz gewöhnlicher Mensch, wie Sarylad schon tausende von ihnen gesehen hatte. Dieser Mann selbst beeindruckte Sarylad überhaupt nicht. Weder seine Ausstrahlung, noch seine Erscheinung waren außergewöhnlich genug, dass sie sich noch in der kommenden Woche an sein Gesicht erinnern würde.
Allerdings ...
Sarylad kniff ihre Augen noch weiter zusammen und instinktiv regte sich die Magie in ihren Adern. Eis zuckte warnend unter ihrer Haut entlang, was ihr einen Schauer über die Wirbel jagte. Hier stimmte etwas nicht, stellte sie mit wachsendem Unbehagen fest und überlegte kurz, ob sie für diese Sache nicht vielleicht zumindest ein oder zwei Wachen hinzuziehen sollte.
Aber auch Sarylad war ein Drache. Viel mehr als nur das war sie eine berühmte Kriegerin und Kriegsheldin ihres Volkes, ein einzelner Mensch sollte und durfte sie nicht so sehr zum zögern bringen. Also löste sie sich von dem Baum und straffte ihre Schultern.
Und während sie sich aus den schützenden Schatten löste und zurück ins Tageslicht trat gestattete sie nur dem Eis, ihrer bevorzugten Magie, an ihrer Seite zu bleiben. Die Kälte glitzerte deutlich zu erkennen um ihre Knöchel und ihre Fingerspitzen und sollte selbst einem Menschen sofort verdeutlichen was sie war und wie überlegen sie ihm war. Sie näherte sich weiterhin leise, aber trat nun absichtlich auf ein oder zwei dünne Äste. Dieser Mensch hier sollte sie bemerken, er sollte wissen in wessen Gebiet er sich befand.
Der Mann zuckte erst vor Schreck zusammen und wirbelte mit geweiteten Augen zu ihr herum, als sie etwas weniger als fünf Meter von ihm entfernt stehen blieben. Wäre da nicht dieses spürbare Unwohlsein in ihrer Magengegend, welches sie zur Vorsicht zwang, dann hätte sie ihn schon längst als leichte Beute deklariert. "Ihr seid ..." setzte er im Angesicht ihrer schlanken Gestalt an. Er wusste wer sie war, das wunderte sie wenig.

A Dragon's MistressWhere stories live. Discover now