16 Dragorea

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Der König der Drachen, Herrscher über all jene geschuppte Bestien, saß erhobenen Hauptes auf seinem Thron. Zurückgelehnt und mit einem Ausdruck im Gesicht, der seine eindeutige Dominanz und Herrschaft über diesen Saal verkündete. 
Der augenscheinlich bodenlose Schlund in der Mitte des Raumes pfiff einen unbeständigen Ton, während die ausgesprochenen Worte noch an den hohen Wänden widerzuhallen schienen. 
"Am heutigen Abend werdet ihr diese Festung verlassen." hatte er in einem so gleichgültigen Ton erklärt, so als handelte es sich bloß um einen simplen Auftrag. In diesem Moment hatte mich die spürbar aufkeimende Angst in unseren Reihen nicht überrascht, denn seine Worte wirkten so unheilvoll, wie ein Todesurteil. Immerhin lebten und arbeiteten wir nun schon seit Wochen auf diesem Berg, in dieser Festung. Jedoch wagte keine einzige von uns etwas zu sagen und selbst ich spürte dieses züngelnde Monster in meinem Nacken, das sich bloß als blanke Furcht betiteln ließ. Wir starrten geschlossen zu diesem erhobenen Podest und dem breitgebauten Mann, der dort saß.
Der Blick seiner goldenen Augen war mir so fremd und so unheimlich, dass ich mich unwillkürlich fragte, ob ich die Geschehnisse der letzten Nacht nicht doch geträumt haben könnte. Auch seine Miene wie versteinert, was die Schönheit seiner Gesichtszüge deutlich schmälerte.
Hatte ich diesen Mann, nein, diesen Drachen tatsächlich geküsst und hatte ich wirklich Lust bei seinen Berührungen empfunden, die so begehrend und verheißungsvoll auf mich wirkten? Ich konnte es nicht sagen und umklammerte bloß Neylas Hand mit meiner eigenen, um mir den nötigend Grund unter den Füßen beibehalten zu können, um weiterhin aufrecht stehen zu bleiben. 
Die Wachen, die im Thronsaal ihre Posten an den Wänden und der breiten Tür eingenommen hatten, zuckten nicht einmal mit den Wimpern, als wären die Worte ihres Königs für sie keine sonderlich große Überraschung gewesen. 
Es war eine gertenschlanke Frau mit kupferfarbenen Locken aus der ersten der drei Reihen, die mutig ihre klare Stimme erhob. "Wohin wollt Ihr dass wir gehen, Majestät?" fragte sie und lenkte dadurch unwillkürlich die Aufmerksamkeit aller sich im Raum befindlichen Personen auf sich. Die Frau zu ihrer Rechten riss kurz darauf unmerklich mahnend an ihrem Arm. Angst hatte ihre blau-grauen Augen geweitet, die sich nun offenkundig um ihre tapfere Freundin sorgten. Allerdings war ihre Frage nicht unbegründet und brannte uns vermutlich allen auf der Zunge. Also sah ich schnell wieder zu Hayen hinüber, in dessen Blick so etwas wie Anerkennung schwelte. Selbst die Lippen der Frau am Fuße des breiten Podests hatten sich leicht nach oben verzogen, bevor sie ihr zweifarbiges Haar zurückwarf und ihre Schultern straffte. Wie von selbst fügte sich ihr Gesicht wieder in eine Maske aus purer, unbekümmerter Neutralität. 

"Dragorea." Der Name seiner Familie erklang durch den breiten Saal und es dauerte einen langen Moment bevor ich realisierte, dass er damit einen Ort und nicht seinen eigenen Namen meinte. "Dragorea ist die Hauptstadt meines Reiches und ich lade euch dazu ein freie Bürger an diesem Ort zu sein." Einen kurzen Moment sah ich zu Neyla hinauf, die ihre Stirn im schieren Unglaube krausgezogen hatte und sich nach wie vor weigerte meine Hand freizugeben. "Ihr siebzehn Frauen seid die einzigen, die nicht bloßen Hass und Abscheu für Unseresgleichen empfinden und uns gegenüber Freundlichkeit und Sympathie entgegenbringen können. Bisher wart ihr fleißige Bedienstete in unserer Kriegsfestung und seid euren zugeteilten Aufgaben nachgegangen. In den Wochen nach eurer Ankunft hier, haben wir euch beobachtet und unsere Fähigkeiten dazu eingesetzt, um euch gerecht einzuschätzen. Einige von euch waren sogar Gäste auf unserem geliebten Feierlichkeit. Ihr habt mit uns gefeiert und getrunken und wir haben im Gegenzug den Wunsch nach Beständigkeit in euch vernommen. Sicherlich vermisst ihr die ein oder andere in euren Reihen, aber mein Volk ist meine Priorität und soll nicht unter hasserfüllten Blicken oder der Gier der menschlichen Herzen in ihrer eigenen Heimat leiden." Natürlich hatte ich gemerkt, dass viele der hierhin gebrachten Frauen fehlten, aber nun fiel mir auch auf, dass Freya fehlte. Es wunderte mich, denn immerhin hatte sie den Gerüchten zufolge auch Liebschaften unter den Wachen gepflegt. 
Meine Gedanken wurde von Hayen unterbrochen. Denn er hob in einer anmutigen, einladenden Geste seinen Arm und richtete ihn schließlich in Richtung des schwarzen Abgrunds. "Also möchte ich, Hayen de Dragorea, dritter Erbe der Krone, euch einladen vollwertige Bürgerinnen meines Reiches zu werden. Es existieren bereits Unterkünfte und es steht euch frei zu tun was ihr wollt." Verunsichert wechselten einige von uns skeptische Blicke, die auf eine einzelne Frage hinausliefen. Eben diese Frage schien auch von Hayen auf seinem Thron nicht unbemerkt zu bleiben und das veranlasste ihn zu einem schmallippigen Lächeln, das irgendwie auch nicht zu seinem Gesicht passte. Auf seinem Mund wirkte es wie eine Maske, ein Spiel, vielleicht sogar eine Herausforderung, die ebenfalls in seine Augen zum funkeln brachte. Jedenfalls konnte es nicht sein wahrhaftiges Lächeln sein, das mir so selten wie ein Diamant erschien. "Wenn ihr wünscht, dann dürft ihr auch gehen. Dass ihr von mir nach Dragorea eingeladen worden seid ist nichts weiter als das - Eine Einladung. Ihr dürft sie ausschlagen und zurück in eure Heimat gehen. Allerdings vermute ich bereits, dass das für einige von euch ebenfalls keine Option ist." Seine Worte versetzten mir einen spürbaren Stich in meinem Herzen, der mich den Blick von Hayens strahlender, mächtiger Gestalt abwenden ließ. 
Zuhause - Ein Ort, an den ich trotz der Situation nur selten gedacht hatte. Viel mehr als das, hatte ich Ultazen kaum vermisst. Die Leute dort hatten mich verraten, mein Verlobter hatte mich einem Drachen mit Freuden übergeben und das ohne zu zögern. Nur mein Vater fehlte noch immer. Der Verlust seiner Wärme und Vertrautheit lag mir schwer auf der Seele und dennoch konnte ich einfach nicht zurück. Selbst wenn ich es wahrhaftig wollte, was sollte ich den Stadtbewohnern schon sagen und wie sollte ich den weiten Weg überhaupt ohne die Hilfe eines fliegenden Drachen schon bestreiten?

A Dragon's MistressOnde histórias criam vida. Descubra agora