38 An meiner Seite

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Ultazens Straßen waren vom Licht der Laternen in eine dämmrige Atmosphäre gehüllt worden und die Luft war in der Zwischenzeit so feucht geworden, dass ich jeden Moment mit einem Wolkenbruch rechnete. Jeder meiner Atemzüge fühlte sich unangenehm feuchtwarm an meinen Lippen an und auch das Pflaster zu unseren Füßen glänzte inzwischen leicht, wodurch sich zarte Lichtreflexionen durch die Straßen zogen. Aber um ehrlich zu sein nahm ich meine Umgebung ohnehin nur verschwommen wahr, denn Tränen verklärten mir die Sicht, seitdem wir wieder in der Stadt angekommen waren. Also hatte ich mich bei Hayen untergehakt und suchte an seiner Seite gleichermaßen Wärme wie Trost.
Mein Vater hatte sein Leben in Ultazen für mich beendet und war in ein unbekanntes Lager gereist. Das alles hatte er bloß in der vermeintlichen Hoffnung getan, dass ein Haufen fremder Menschen in das Kernterritorium der Drachen vordringen würden um mich dort zu finden und um mir dort eventuell das Leben zu retten. Für keines von Beiden hätte es eine Garantie gegeben, doch mein Vater hat es getan, für mich. Selbst Thomas hatte ihn bei seinem bescheuerten Plan unterstützt und hatte scheinbar fast alle seine Tiere verkauft, um schnell an Geld zu kommen. Auch seine Existenz war durch mich und meine angeblich hilflose Situation bedroht worden und nun war mir nichts besseres eingefallen als ihn ohne eine weitere Erklärung zur Flucht zu raten. Ausgerechnet das Territorium der Drachen sollte er aufsuchen, um in Sicherheit zu sein und das obwohl er nicht einmal ahnen konnte, wie zivilisiert und normal ein Leben unter ihnen sein konnte. Trotzdem hatte er mir nach unserem Abschied versichert, dass er es tun würde und dass er mir so weit vertraute brach mir das Herz vor Dankbarkeit.
Tränen kullerten mir über meine Wangen und Hayen drückte behutsam meine Hand, die auf seinem Unterarm lag. Allein auf dem Weg zurück in die Stadt hatte er mir rund fünfzehn Mal versichert, dass wir meinen Vater auf jeden Fall wiederfinden werden, dass es ihm gut gehen würde und, dass bald alles wieder normal sein würde. Die Tatsache, dass selbst seine Drachen keine Ahnung hatten wo sich das Lager der Drachenjäger befand, erwähnte er nur ein einziges Mal am Rande. Das tat er zwar vermutlich, damit ich nicht beunruhigt Kreise in den Boden lief, aber mitbekommen hatte ich es dennoch.
Wut und Frustration, Hilflosigkeit und Angst sammelten sich in meiner Magengegend. Der Witz dabei war, dass ich nicht einmal wusste weswegen ich wütend war.
Mein einziger Wunsch war es, dass ich mit meinem Vater in mein neues Zuhause zurückkehren konnte, um ihn endlich von diesem verfluchten Ort zu erlösen. Nun war er fort und niemand hatte eine leise Idee davon wo er sich aufhielt.
Meine Unterlippe bebte und selbst wenn die Tränen bereits flossen, ich würde nicht zusammenbrechen solange es noch Hoffnung gab. "Da vorne sind Leute", raunte Hayen leise und spannte seine Schultern spürbar an. Im Gegensatz zu ihm sah ich anstelle von Menschen nur schemenhafte Gestalten, die sich uns im Gehen allmählich näherten. Mit kräftigem Blinzeln versuchte ich meine Sicht zu klären und wischte mir schniefend mit meinem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht. Ich musste einen jämmerlichen Anblick bieten.

Es war ein Paar. Sogar ein sehr hübsches Paar.
Eine schlanke Frau, mit umwerfenden Kurven und beneidenswert rubinroten Wellen. Ein waldgrünes Kleid, das meinem vom Schnitt her sehr ähnlich war, zierte ihre schlanke Statur und betonte ihren wohlproportionierten Körperbau. An ihrer Seite ging ein junger Mann. Er lachte gerade über etwas was sie gesagt hatte und schenkte ihr ein schiefes Grinsen, welches deutlich zeigte, wie sie zueinander standen. Es war anzüglich und versprühte regelrecht seine vulgären Gedanken in der Gegend. Auch die Frau lachte nun und wuschelte ihrem Begleiter verspielt durch sein kurzes, braunes Haar und zerwühlte es dabei. "Shane, hör doch auf. Wir sind noch in der Öffentlichkeit." Der neckische Ton in seiner Stimme wog schwer und vertraut auf meinen Sinnen und ohne dass ich es bemerkt hätte, blieb ich auf dem unebenen Gehweg stehen und beobachtete die sich nähernden Personen.

Hayen, der sie ohnehin vor mir bemerkt hatte, folgte meinem Beispiel und irgendwie spürte ich inzwischen, wenn er in meine Gedanken eindrang. Es war ein warmes Ziehen, ein Streicheln und ein Forschen, welches er damit beendete, dass er überrascht blinzelte und sich wieder den Passanten zuwandte.
Vor allem den Mann musterte er skeptisch und aus dem Augenwinkel sah ich sogar, wie er seine Augenbrauen vor Überraschung hob.
Ich für meinen Teil spürte derweil wie mir auch der Rest meines Blutes aus dem Gesicht wich. Meine Wangen waren kalkweiß und eiskalt geworden, während gleichzeitig heiße Wut in mir erblühte. Mein ohnehin schon beanspruchtes Herz protestierte, fühlte sich an als würde es sowohl zerrissen
als auch zerdrückt werden. Ekel und Schock sammelten sich in mir, doch die Gewissheit setzte sich erst, als ich seine vertrauten Gesichtszüge tatsächlich im Laternenlicht erkannte.
Ein kurzer Bart, ebenso aschbraun wie sein Kopfhaar, wuchs inzwischen in seinem Gesicht und betonte die schokoladenbraunen Augen, in die ich mich zu meinen Kindheitstagen noch verliebt hatte. Jetzt in diesem Moment würde ich sie jedoch eher als kackbraun betiteln und nicht länger mit der aromatischen Süßigkeit vergleichen wollen. Keen Haidens - mein Ex-Beinahe-Verlobter - blieb wenige Meter vor uns stehen und Shane, der ich zu Schulzeiten noch beim Lesen geholfen, und die ebenso wie die anderen Bürger von Ultazen für mich gestimmt hatte, tat es ihm gleich. Anders als er sah sie nicht so aus als wäre sie schockiert. Stattdessen formte sich in Windeseile ein breites Lächeln auf ihren vollen und viel zu perfekten Lippen und sie löste sich von Keen, um auf mich zuzugehen. "Elissa, du bist zurück!", sagte sie strahlend und ließ es dabei so klingeln als wäre ich frisch aus dem Urlaub von einer tropischen Insel zurückgekehrt. "Wir waren alle so besorgt!" Sie verzog ihre Lippen, die ebenso rot waren wie ihre langen Haare, zu einem Schmollmund und machte den Eindruck als wolle sie mich gleich umarmen.

A Dragon's MistressDove le storie prendono vita. Scoprilo ora