Kapitel 72: Der letzte im Bunde

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• Taavi •

Voller Ehrfurcht beneide ich Daryun um das epische Teamgefühl, dass er gerade mit unserer neuen kleinen Vampirschwester erleben muss.

Noch nie in meinem Leben ist mir eine Frau untergekommen, die auf so eine Art selbstständig sein möchte und ist. Ich bewundere dies an Yara sehr, hoffe aber inständig, dass Valerie sich davon nicht anstecken lässt.

Natürlich würde ich Valerie gewähren lassen und es ihr von Herzen gönnen, wenn sie dies unbedingt so durchsetzen will. Andererseits genieße ich es sehr für sie da zu sein und ihr die Angst vor Feinden nehmen zu können, wenn sie in meiner Nähe oder der ihrer Leibwächter ist. Dieses tiefe Vertrauen gebe ich ihr voller Liebe zurück.

Ich frage mich tatsächlich, in was für einer Familie Yara aufgewachsen sein muss, um so unabhängig und stark zu werden. Das Bild eines grausamen Familienoberhauptes, welches kein Interesse daran hat seine Familie zu beschützen, drängt sich in meinen Kopf. Hoffentlich ist ihr sowas nicht widerfahren!

Daryun rückt ein wenig näher zu Yara. Auch er bemerkt, dass ihre Kampfkraft allmählich nachlässt. Erstaunlich, dass sie überhaupt bis hier hin durchgehalten hat und noch weiterkämpfen kann und möchte.

Zufrieden gehen wir Drei zurück in unsere Kampfhaltung.

• Yara •

Wieder einmal ohne Vorwarnung sieht es Taavi auf mich ab. Langsam wird sein Trick aber alt!

Elegant weiche ich mit einem Luftsprung aus und lande hinter ihm. Er steht nun genau zwischen Daryun und mir. Auch ohne Augen zu beiden Seiten zu haben, weiß er genau wer sich wo befindet.

Ich habe bereits festgestellt, dass er das Wasser über die Wellenbewegung als Ortungsmöglichkeit nutzen kann. Austricksen kann ich ihn allerdings in der Luft, dort befindet sich ja kein Wasser.

Einige Angriffe wehrt Taavi erfolgreich ab und auch Daryun und ich weichen elegant seinen Strategien aus.

Wenn wir Taavi nicht bald zu Fall kriegen, werden wir verlieren. Ich schleiche bereits an meiner Grenze herum und würde Vittorius das mitbekommen, würde er sicher dazwischen gehen, nicht zuletzt wegen meiner eigentlich demolierten Hand. Praktisch, dass der König nicht hier ist und meine Vampirbrüder nicht wissen, dass ich ein wenig gesetzter mit den Übungen umgehen soll.

Nach einem kurzen Blicktausch mit Daryun starten wir eine weitere kombinierte Taktik.

Ich greife frontal an mit einer Wasser-Luft-Abfolge und starte einen letzten Versuch einer heftigen Wasserböe. Leicht fällt es Taavi nicht auszuweichen, aber trotzdem leicht genug. Genau das ist auch der Plan. Mit einer kräftigen weiteren vorpreschenden Welle versucht Daryun ihn zu Fall zu bringen. Er nutzt die kurze Lücke seitens Daryun und greift mich ohne Umwege an.

Eine heftige Wasserwelle erfässt mich und schwemmt mich um. Ich gebe wirklich alles, kann dem Druck des Wassers aber nicht standhalten. Im nächsten Moment finde ich mich auf dem Boden wieder.

„Zehn zu Neun", verkündet Taavi freudestrahlend und hilft mir sogleich wieder hoch.

Mit einer eleganten Bewegung befreit er meinen und seinen Körper vom ganzen Meereswasser. Als ob wir nie nass geworden wären, stiefeln wir zurück Richtung Landzunge.

„Deinen Verband werde ich trotzdem erneuern, sonst kriegen wir Ärger mit dem König", kündigt Daryun an und verschwindet mit erschreckender Schnelligkeit in die privaten Gemächer.

Taavi und ich machen es uns derweil bei Derya und Valerie am Strandrand gemütlich. Und auch Daryun ist bereits mit dem Medizinkasten wieder da und macht sich an meiner Hand zu schaffen. Schnell streift er den bereits gelockerten Verband von meiner Hand und erschaudert beim Anblick der blauen Flecke und Blutergüsse.

„Die Hälfte ist ja bereits verheilt", stelle ich wieder erstaunt über die Regenerationsfähigkeit fest.

„Selbst die Hälfte hier sieht übel aus", rügt mich Daryun ein wenig. „Schmerzt das nicht?", fragt er irritiert.

„Nicht wirklich", gebe ich wahrheitsgemäß zurück. Dass ich durch jahrelanges Kampfsporttraining abgehärtet bin, erkläre ich besser wann anders.

Derya sieht bewundernd zu mir rüber.

„Deine Fähigkeiten sind der Wahnsinn. Und der König lässt dich einfach so trainieren?", fragt sie begeistert.

„Eingeschränkt, aber schon, ja", entgegne ich.

„Wir sollten hoch gehen, es wird allmählich kalt hier draußen", unterbricht uns Daryun. Ah, der fürsorgliche Vampirbruder hat wohl meine schnell auskühlende Haut bemerkt. Wie rücksichtsvoll. Ein Kommentar verkneife ich mir besser.

Nachdem er fertig mit meiner Hand ist, begeben wir uns zurück auf den Balkon der großen Wohnhalle.

Gemeinsam begeben wir uns zum Kaminfeuer. Taavi legt einige Holzscheite nach und heizt die Flamme an. Daryun nickt ihm wohlwissend zu.

Kurze Zeit später gesellen sich auch Jaron und Isajah zu uns. Aufgeregt erzählt Taavi von der epischen Wasserschlacht und auch die anderen beiden Vampirbrüder werfen mir einen erstaunten Blick zu.

Unterbrochen wird unser aufgeregtes Gespräch jedoch vom Aufschwingen der großen Flügeltür.

Und es ist nicht Vittorius, der anmutig die Halle betritt.

Ein großer Mann in schwarzer Rüstung spaziert wie selbstverständlich in die Wohnhalle. Zufrieden lässt er seinen Blick über uns schweifen.

„Sorin!", ruft Isajah begeistert und eilt zu ihm hin. Es folgt eine herzliche Umarmung.

„Sorin und Isajah sind schon immer sehr eng miteinander", erklärt Jaron nebenbei.

Geschlossen geht der Rest auf Sorin zu. Ich folge ihnen. Die Umarmung mit seinen restlichen Vampirbrüdern fällt schon leicht reservierter aus. Derya und Valerie drückt er einen reservierten ehrvollen Kuss auf den Handrücken. Dann bleibt sein Blick an mir haften.

Sorin ist ziemlich groß, sogar ein Stück größer als Lucan würde ich sagen. Sein Körperbau ist ebenfalls sehr kräftig und seine schwarze Rüstung betont seine harte kriegerische Seite. Er hat brustlanges offenes schwarzes Haar, welches ihm in leichten Wellen vom Kopf hängt. Sein Bart ist rasiert, er hat nicht mal einen Dreitagebart. Seine tiefroten Augen sehen mich weder begeistert, noch unfreundlich an. Ich kann aber auch nicht erahnen, was in ihm vorgeht. Er ist eindeutig der reservierte Bruder.

Sanft nimmt er meine Wange in seine rechte Hand und durchdringt mit seinem Blick meine Augen.

Das einzige was ich erkenne, ist die leichte Verwunderung. Er ist überrascht über die plötzliche kleine Vampirschwester und dass sie bereits rote Augen hat.

Dieses Mal drängt keiner, dass er eine Umarmung starten soll. Selbst die anderen Vampirbrüder halten Abstand. Gespannt starren sie Sorin jedoch an.

Behutsam senkt er mein Kinn ein wenig und gibt mir einen sachten Kuss auf die Stirn. Es ist ein Zeichen, dass er mich als neue Vampirschwester akzeptiert und beschützen wird, zumindest empfinde ich es so.

Neutral blickt er mir weiter ins Gesicht. Dann löst er sich und bringt sein Gepäck in sein Zimmer.

„Das war das höchste an Zuneigung, was ich von ihm je gesehen habe", wirft Jaron lachend ein.

Wenig später tummeln wir uns wieder auf dem Sofa und Sorin setzt sich schweigend zu uns.

„Fehlt nur noch Lucan", sagt Daryun heiter.

Dann bemerkt er Jarons, Isajahs und meine reservierte Reaktion dazu.

„Was ist mit Lucan?", möchte er umgehend wissen.

Jaron und Isajah werfen mir einen Blick zu. Als ob ich ihm jetzt locker flockig erkläre, dass er in der Schattenebene abhängt und auf seine Freiheit wartet!

Betreten wechseln meine Blicke zwischen meinen Brüdern.

Ich bin wirklich sehr froh, dass Vittorius in genau diesem Moment aus seinem Regierungszimmer kommt.

Vampirkind YaraWo Geschichten leben. Entdecke jetzt