Kapitel 16

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Die ersten Sonnenstrahlen schlichen sich durch die Seiten der Vorhänge. Sanft streichelte Aemond über Daenyras Stirn. Er hatte sie schon eine Weile lang beobachtet. Ihr Anblick beruhigte ihn und ließ ihn alles um sich herum vergessen. Durch die Berührung wachte sie auf und blinzelte einige Male. Träumt sie oder war die vergangene Nacht wirklich passiert? - fragte Daenyra sich und sah ihre Hand an. Die Narbe von dem Schnitt des Drachenglasmessers war noch deutlich zu sehen. Lächelnd legte sie ihre Hand auf Aemonds Brust. Sie spürte seinen Herzschlag ganz deutlich und hatte das Gefühl, seine Haut fühle sich so warm an, wie einst Raqiros. Was für eine wunderschöne Nacht es doch war - dachte Daenyra sich. Die Art, wie Aemond sie ansah und berührte, ließ ihr Herz schmelzen. So gut fühlte sie sich schon lange nicht mehr. Diese andächtige Stille wurde unterbrochen, als Daenyra plötzlich erkannte, dass sie keine Kleidung anhatte. Ein seltsames Gefühl machte sich schlagartig in ihr breit. Sie musste, ohne es zu wollen, an Braavos denken und an all die armen Frauen, die in den Gassen geschändet wurden. Die Angst in ihren Augen, als die Männer ihre Kleider mit Gewalt von ihren Leibern rissen, würde Daenyra niemals vergessen. Auch sie stand einmal vor einer solchen Situation, aber sie konnte sich glücklicherweise noch davor retten. Während ihr diese Gedanken im Kopf herumschwirrten, bemerkte Daenyra gar nicht, dass sie sich panisch aufsetzte und ihr Betttuch fest an sich klammerte, um ihren Körper zu verstecken. Aemond setzte sich auch auf und schaute sie misstrauisch an, weil er merkte, dass etwas nicht stimmte. Er strich ihr liebevoll durch ihre Haarsträhne und flüsterte: "Ich gebe jetzt Acht auf dich, niemand wird dich je verletzen." Daenyra fühlte wie seine Finger durch ihr Haar glitten, so wie es damals ihre Mutter in Braavos immer getan hatte. Was für ein überwältigendes Gefühl das war, als sie bemerkte, dass es Aemond war, der sie aus ihren Gedanken riss. Er wusste scheinbar immer sofort, was sie gerade empfand. Sie schaute ihm tief in sein Auge und hatte das Verlangen ihn zu küssen. Jedoch strich sie ihm erst über sein linkes Auge. Die Augenklappe fühlte sich weich und edel an. Er hatte sie nicht abgelegt - noch nie, soweit sie sich erinnern konnte. "Du hast mir noch nie davon erzählt.", sagte Daenyra unerwartet. Sein Blick verfinsterte sich und er stieg fluchtartig aus dem Bett. Daenyra war nicht entgangen, dass er sichtlich zornig über ihre Worte war. Sie wusste nicht, was sie tun sollte und blickte verlegen zu dem Stuhl nebst ihrer Bettkante, wo ihre Kleidung lag. Sie erinnerte sich an den Moment, als Aemond ihr zärtlich das traditionelle Gewand über den Kopf streifte, sodass ihre Haare von ihren Schultern zurück auf ihren entkleideten Rücken fielen und er sie küsste. Aemond fing an, sich anzuziehen. Er sprach kein einziges Wort. Er saß nun auf dem Stuhl am Fenster und zog seine Stiefel an. Daenyra stieg aus dem Bett, um ihr leichtes Unterkleid anzuziehen. Dann ging sie zu ihm und stellte sich vor ihn. Die beiden schauten sich eine lange Zeit einfach nur an, bis seine zornige Miene sich allmählich verzog. Aemond war wütend, aber er dachte bei ihrem Anblick nur daran, dass er seine Reaktion bereute. Sie waren jetzt vermählt, er hatte die Frau geheiratet, die er liebte - wem denn nicht ihr sollte er jetzt nur vertrauen? Auf seine Mutter war kein Verlass mehr, sie duldete seine Taten nicht, auch wenn sie nur die besten Absichten hatten.

Aemond stand auf und blickte in Daenyras wunderschöne Augen herab. Er zog sich seine Augenklappe aus und für einen Moment dachte Daenyra, die Zeit würde still stehen. "Ich möchte dem kleinen Bastard sein eines Auge auch herausschneiden....als Abgeltung für meines!", sprach er mit grimmiger Stimme. Die Augenhöhle war leer. Die Narbe über und unter seinem Lid war gut verheilt. "Jetzt bin ich ein Monster...", seine Stimme klang jetzt leise und gequält. Der Schmerz saß tief in seiner Brust. Monster - dieses Wort schallte in Daenyras Gedanken, es war wie damals, als ihre Brüder sie so beschimpften. Sie schüttelte langsam verneinend den Kopf ohne etwas zu sagen, in ihren Augen lag ein tiefes Mitgefühl. Auch wenn ihre Wunden innerlich und unsichtbar waren, seine jedoch konnte jeder klar sehen. Sie wusste nicht viel über diesen dunklen Tag, als Aemond sein eines Augenlicht verlor, nur dass es wohl ihr Bruder Lucerys war, der ihn verletzte. Ihr wurde klar, dass sie mit Aemond den Schmerz der Erniedrigung teilte.

Die Kinder der SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt