Kapitel 3

391 9 0
                                    

- 123 n.A.E. -

"Du bist ein Niemand!", schrie Fynn, während er lachend seine beiden jüngeren Brüder ansah, welche links und rechts von ihm standen. Die junge Daenyra wurde von ihren Brüdern umzingelt. Zügellos schubsten sie das blonde Mädchen zwischen sich hin und her. Daenyra sah sich hilflos um, doch keiner der Leute um sie herum schien sich für den Aufstand der Kinder zu interessieren. "Dreck zu Dreck!", hörte sie plötzlich von ihrer rechten Seite, als sie auch schon spürte, wie sie etwas Nasses, Schmieriges im Gesicht traf. Ihre Brüder Fynn, Marik und Karl fingen an, sie mit Matsch zu bewerfen. Lachend verhöhnten sie das hilflose Mädchen in ihrer Mitte, zeigten mit ihren Fingern auf sie.

Daenyra war das einzige Mädchen in ihrer ärmlichen Familie. Ihr Vater war ein Bäcker aus Braavos, doch die Geschäfte liefen die letzten Jahre nicht gut, sodass dieser seinen Frust an Daenyras Mutter ausließ. Viele Nächte hatte sie heimlich mitbekommen, wie er sie betrunken geschlagen hatte.Ihre Mutter war die einzige Person, welche sie wie ein normaler Mensch behandelte. Doch als diese vor drei Jahren starb, gab es keinen Halt mehr für ihre Brüder. Täglich schikanierten diese Daenyra und verachteten sie aufgrund ihres anderen Aussehens. Jeder in ihrer Familie hatte dunkelbraunes Haar und tiefbraune Augen.

"Ist das dumme Mädchen wieder am Träumen?", lachte Fynn und trat direkt vor seine kleine Schwester. Daenyra sah auf den Boden, unfähig dieser Situation zu entfliehen. "Sieh dich doch nur an", flüsterte Fynn angewidert und ließ eine dünne Strähne ihres Haares durch seine Finger gleiten.

Plötzlich musste Daenyra an ihre Mutter denken. Jeden Abend kam sie zu Daenyra ins Zimmer und setzte sich auf ihre Bettkante. "Mein kleiner Engel", lächelte sie ihre Tochter an und streichelte ihr sanft durch das blonde Haar. "Vergiss nie, du bist etwas Besonderes." Ein zarter Kuss auf die Stirn rundete diesen herzlichen Moment ab, bevor ihre Mutter ihr mit einem Lächeln eine gute Nacht wünschte und ihr Zimmer verlies. Augenblicke wie dieser gaben ihr die ganzen Jahre Kraft.

Wie in Trance packte Daenyra den Arm von Fynn und schubste ihren Bruder mit einem lauten Schrei zurück. Fynn flog einige Meter zurück und prallte mit seinem Rücken gegen einen Baum. Der Schrei des Jungen holte Daenyra aus ihrer Trance und sie sah in die verängstigten Gesichter ihrer Brüder, welche Fynn direkt zur Hilfe eilten. "Monster!!", schrien sie Daenyra an, welche fassungslos ihre Hände betrachtete. Panisch sah sie sich um. Ohne ein Wort zu verlieren, rannte Daenyra los. Sie wusste nicht,wohin ihre Beine sie trugen, aber sie wusste, dass sie diesen Ort verlassen muss.

"Hey", rief ihr ein älterer Händler am Marktplatz hinterher, nachdem sie sich einen kleinen Sack Äpfel geklaut hatte und damit weiter durch die Gassen Braavos' lief. Seit dem Tod ihrer Mutter hatte sie gar keine Verbindung mehr zu dieser Stadt - wenn sie die denn überhaupt jemals gehabt hatte. Nachdem sie den Hafen erreicht hatte, sah sie, wie ein paar Männer damit beschäftigt waren, ein großes Schiff mit Kisten zu beladen. Ohne lange zu überlegen, schlich sich Daenyra an den Männern vorbei und versteckte sich im Lager des Schiffes zwischen den Waren. Sie hörte, wie die Männer sich unterhielten. "Wir müssen sogleich ablegen, sonst erreichen wir Volantis zu spät." Brummend stimmte der andere Mann zu und verschwand irgendwo auf dem Schiff. Daenyra horschte den Schritten der Männer und versank tiefer zwischen den Kisten und Säcken, panisch atmete sie tief ein. Sie spürte, wie sich das Schiff seinen Weg durch das Wasser bahnte. Langsam gewöhnte sich ihr Körper an das Schunkeln, es beruhigte sie sogar. Daenyras Augen wurden immer schwerer, bis sie nicht mehr gegen ihre Erschöpfung ankämpfen konnte und einschlief.

Nach zwei Tagen kamen sie endlich in Volantis an. Daenyra wartete bis zur Abenddämmerung und schlich sich vom großen Schiff. Ihren Sack mit Äpfeln hielt sie fest an sich, während sie sich durch die Gänge Volantis kämpfte. Alles war viel größer und eindrucksvoller als in Braavos.In der Ferne erkannte sie hohe, mit Gold verzierte Gebäude. Daenyra staunte, als sie auf einem großen Marktplatz eine große Menschenmenge vorfand. Alle versammelten sich vor einer Bühne, wo ein Theaterspiel aufgeführt wurde. Die Menge lachte laut und klatschte. Das junge Mädchen kannte nur die mürrischen, undankbaren und hinterhältigen Menschen aus Braavos.

Die Kinder der SchattenWhere stories live. Discover now