Kapitel 8

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Die Gassen von Königsmund waren lang und breit, ganz anders als sie es von Braavos kannte. Daenyra stand an einer Abzweigung, ganz nah an eine Mauer gelehnt, die sich mit einer anderen kreuzte. Sie betrachtete alles sehr genau. Hier war es ziemlich sauber und gar nicht so unheimlich, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie hatte zuvor ihr Pferd an einen Holzpfahl neben einer Schmiede festgebunden und ging nun weiter in Richtung des großen Marktplatzes, fast schon schleichend, und bestaunte dessen Größe. Die riesigen Drachenstatuen fielen ihr sofort ins Auge. Wie wunderschön sie doch sind, dachte sie sich und schaute sich weiter um. Dabei fühlte sie sich immer noch so fremd unter all diesen Menschen, obwohl sie ihren langen dunklen Mantel trug, unter dessen Kapuze sie sich immer so sicher zu sein geglaubt hatte. Niemand sollte sie erkennen, sie wollte wie ein Geist unter ihnen alles beobachten.

Als ihr Blick von den Drachenstatuen abfiel, erspähte sie die gewaltigen Tore des Roten Bergfriedes. "Oh nein, ich komme zu spät...", flüsterte Daenyra leise zu sich selbst. Schnellen Schrittes floh sie durch die Gassen, immer auf der Hut und Ausschau haltend nach den Wachen. Dabei war sie keineswegs mehr eine Diebin wie damals in Braavos. Jedoch das einengende Gefühl unter Menschen zu sein oder von irgendetwas verfolgt zu werden, saß ihr stets im Nacken.

Endlich an den Toren angekommen, erblickte Daenyra schon ihre Mutter Rhaenyra, die gerade aus ihrer Kutsche stieg. Daemon, ihr Vater, folgte ihr und auch ihre Brüder Jacaerys, Lucerys und Gottfried waren dort. Daenyra betrachtete sie alle eine Weile, bis sie ihren Namen hörte. "Daenyra! Da bist du ja endlich!", rief Daemon ihr mit einem Lächeln zu. "Hast du dich gut amüsiert?", fragte er sie grinsend, als er auf sie zuging und seinen Arm um sie legte. Daemon schien zu wissen, wie faszinierend die Stadt doch war abseits des Roten Bergfriedes. Die beiden gingen auf die Stufen zu, wo Rhaenyra mit ihren anderen Kindern schon fast aufgebracht wartete. "Wenn du schon nicht mit uns reist, dann hättest du dir wenigstens eines der schönen Kleider anziehen können.", flüsterte Rhaenyra und warf Daenyra einen stechenden Blick zu. Man merkte ihr die Anspannung über das Kommende deutlich an. Mit Kleidern lässt es sich aber nicht so auf Drachen reiten, dachte sich Daenyra still und heimlich und ihre Gedanken schweiften sofort zu ihrem geliebten Raqiros in Essos über, den sie augenblicklich schmerzlich vermisste. "Hör auf zu träumen und komm jetzt!", schimpfte Rhaenyra und zog sie an ihrem Arm mit sich durch die Tore.

Auf dem Weg zum Thronsaal kam ihnen eine Menschenmenge entgegen, allesamt waren sie prunkvoll gekleidet und gingen stolzen Schrittes. Sie sahen alle so glücklich aus. Daenyra dachte unweigerlich an das, was ihr nun bevorstand. Wird der König sie wohl mögen? Wird er sie anerkennen? Diese Gedanken kreisten in Daenyras Kopf so lange, bis sie hörte, wie das große Tor vom Thronsaal geöffnet wurde.

"Euer Gnaden! Prinzessin Rhaenyra mit Gefolgschaft!", verlautete eine Wache und die Worte hallten in dem äußerst riesigen Saal. "Ahhh meine Tochter! Kommt herein! Ich freue mich euch zu sehen! Wie schön, dass ihr alle hier seid!". Mit diesen Worten hieß Viserys sie alle willkommen. Rhaenyra und ihre Familie schritten den Saal entlang, Daenyra ging hinter ihnen allen. Sie versuchte, sich hinter ihrem Vater zu verstecken, wobei sie ihren Mantel fest an sich hielt. Das alles war so nervenaufreibend für sie. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Erst als sich Daemon und ihre Brüder rechts an die Seite stellten, konnte sie tief durchatmen. Dass ihre Mutter sofort anfing zu reden, war eine Erleichterung für Daenyra. Sie hatte das ständige Gefühl, beobachtet zu werden.

"Vater! Auch wir freuen uns, euch hier anzutreffen!", sprach Rhaenyra und blickte dann zu Alicent, der Königin. Das kurze Schweigen aller ließ Daenyra verwundert aufschauen. Alicent wirkte nicht besonders entzückt, als sie Rhaenyra und ihre Gefolgschaft mit einem Nicken begrüßte. "Was ist der Grund für euren Besuch? Oder hattest du einfach nur Sehnsucht nach deinem Vater?", lächelte Viserys. Daenyra konnte spüren, dass ihre Mutter und ihr Großvater eine besondere Verbindung zueinander hatten. "Nunja..", lachte Rhaenyra, "....du weißt doch, wie sehr ich dich immer vermisse." Sie wandte sich kurz zu ihrem Gemahl Daemon und schaute dann Daenyra an. Sie drehte sich danach wieder um, und atmete tief durch. "Vater, ich weiß, die Vergangenheit ist alles andere als glanzvoll gewesen, aber ich habe dennoch eine Bitte. Ich möchte dir jemanden vorstellen." Daemon schubste Daenyra an, sie war wieder in Gedanken versunken. "Los geh nach vorne.", flüsterte er ihr zu. Daenyras Herz fing plötzlich sehr stark zu klopfen an. Noch nie zuvor war sie wegen etwas so nervös gewesen. Sie fasste all ihren Mut zusammen und stellte sich neben Rhaenyra. Diese sah sie behutsam an. "Eine lange Zeit ist vergangen, aber unsere Wege haben sich dennoch gekreuzt. Ich bin nicht stolz darauf, was ich getan habe, aber nun möchte ich mit umso mehr Stolz bekunden, dass es ein weiteres Mitglied in unserer Familie gibt. Sie heißt Daenrya und ist die Tochter von Daemon und mir!", sprach sie und legte ihre linke Hand auf Daenyras linke Schulter.

Daenyra sah noch immer auf den Boden, in der Hoffnung sie würde sich jeden Augenblick auflösen, um der Situation zu entfliehen. Sie vernahm ein lautes Schnauben, welches sie aufblicken ließ. War das die Reaktion des Königs? Woher kam dieses Geräusch? Sie guckte den König an, dieser aber lächelte nach wie vor zuversichtlich. Ihr Blick schweifte ab zu Alicent, die offensichtlich nicht so glücklich wirkte. Sie ballte die Faust und verzog ihre Mundwinkel. Ihr starrender Blick war nur auf Rhaenyra gerichtet. Als sie merkte, dass sie beobachtet wurde, versteckte sie ihre geballten Hände schnellstmöglich hinter ihrem Rücken und brachte ein zögerliches Lächeln hervor.

"Mein Kind...", beugte sich Viserys hervor, "....wie alt bist du?" Daenyra bemerkte gar nicht, dass sie immer noch ihre Kapuze aufhatte. Sie griff sich an ihren Kopf und zog ihre Kapuze zurück. Ihr wunderschönes langes, blondes Haar fiel hinab auf ihre Schultern. Ihre Mutter hatte ihr zuvor ein paar Haarsträhnen geflochten. Zweifelsfrei konnte man erkennen, dass sie eine Targaryen war. Ein Raunen ging durch den Raum. Daenyra spürte die stechenden Blicke, sie konnte sie kaum ertragen. "Ich bin 19 Jahre alt, mein König!", sprach sie mit besorgter Stimme und schaute Viserys schon fast mit voller Stolz an. Daenyra hob ihr Kinn, als ob sie jeden Moment bereit wäre, sich gegen denjenigen zu stellen, der sie bekämpfen wollte. Ihr Blick wanderte durch die Gesichter, die neben dem König standen. Alicent - eine wunderschöne und stolze Frau, jedoch verfinsterte sich ihre Miene schlagartig wieder. Prinz Aegon - seine Gleichgültigkeit in seinen Augen wurde nur durch sein starkes Lächeln versteckt. Sein Bruder, Prinz Aemond, starrte Daenyra bereits eine Weile erstaunt an, als sie seine Augenklappe musterte. Er sah wie gefesselt aus, während Aegon ihn hämisch grinsend mit einem lauten Grunzen anschubste. Dieser reagierte aber nicht. Aegon war der starrsinnige Lupenblick seines Bruders bereits bekannt, aber das leuchtende Funkeln in seinem noch verbliebenen Auge, war ihm vorher noch nie aufgefallen. Verwirrt über seinen eigenen, doch eigentlich immer so distanzierten Bruder, klopfte Aegon ihm in den Rücken, um ihn aus seiner Starre herauszuholen. Aemond blinzelte verwirrt, so als ob er sich gerade in einer anderen Welt befand und nickte Daenyra dann höflich zu.

Was für ein amüsanter Schlag des Schicksals - dachte Viserys sich im Stillen. Endlich hatte sich sein doch so anspruchsvoller Sohn Aegon eine ehrwürdige Frau für ein Bündnis ausgesucht und seine Familie wuchs scheinbar immer weiter mit diesem neuen Mitglied aus den Reihen von Rhaenyra. Viserys liebte Kinder und hatte sich immer eine riesige Familie gewünscht, deren Gelächter die Gänge und Säle mit Glückseligkeit überschüttete.

"Das ist doch wunderbar!", rief Viserys und unterbrach das seltsame Schweigen. "Meine Kinder, lasst die Vergangenheit ruhen. Die Zeit, die uns noch verbleibt, ist viel zu kostbar. Neunzehn Jahre habe ich nun schon verpasst, es soll kein Weiteres mehr folgen!". Viserys beugte sich vor und erhob sich aus dem Eisernen Thron. Mit voller Stolz verkündete er: "Hiermit erkenne ich Daenyra als meine rechtmäßige Enkelin an. Sie soll fortan den Namen Targaryen tragen! Jeder, der die Legitimität meiner Nachkommen in Frage stellt, dem soll die Zunge entfernt werden!" Nachdem Viserys diese Worte durch den Thronsaal hallen ließ, ging er langsamen, aber stolzen Schrittes auf Daenyra zu und umarmte sie herzlich. "Du hast die Augen deiner Mutter.", sprach er sanft und blickte zu Rhaenyra. Er informierte sie darüber, dass heute Abend ein Festessen zu Ehren der Vermählung von Prinz Aegon stattfinden würde und sie alle selbstverständlich dazu eingeladen wären.

Daenyra hatte all ihre Furcht abgelegt. Sie bemerkte die Wärme, die von Viserys ausging. Ihr Blick wanderte über seine Schulter und erhaschte Aemond. Dieser stand nach wie vor regungslos da und starrte sie an. Als sie sich von Viserys Umarmung lösen konnte und sie mit ihren Eltern und Brüdern den Thronsaal verließ, konnte sie diesen gefesselten Blick noch immer in ihrem Nacken spüren.


Die Kinder der SchattenWhere stories live. Discover now