Kapitel 1

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- 109 n.A.E. -

Sie machte einen Schritt nach dem Anderen, ihre Füße wurden immer schwerer. Die junge Dame lehnte sich gegen einen Baum, mitten im Wald. Ihr Kleid wurde vom Wind aufgeweht und ließ sie die Kälte spüren, es war eine Wohltat. Langsam streichelte sich Quaithery über ihren gewölbten Bauch. Plötzlich erschien ein Bild vor ihren Augen.

Eine weitere Vision.

Sie sah hohe, edelgebaute Türme. Magie strömte aus den Kuppeln hervor. Drachen flogen durch die Luft. Dies konnte nur ein Ort sein.

Valyria.

Ein Babygeschrei ließ sie hinabsehen. Sie hielt plötzlich ein Neugeborenes in ihren Händen.Sie konnte es nicht genau erkennen, die Vision ließ nach, bis sie völlig verschwommen war und letztendlich komplett verschwand. Quaithery seufzte leise und änderte ihre Laufrichtung. Auf nach Valyria, dachte sich die schwangere Frau und marschierte weiter.

Nach wenigen Tagen kam Quaithery in Valyria an, völlig erschöpft von ihrer langen Reise. Valyria sah anders aus, als sie es in ihrer Vision gesehen hatte. Nahezu alle Gebäude waren bis auf das Fundament zerstört durch die Hitze der Lava, welche ganz Valyria überschüttet hatte, nachdem einer der vierzehn Vulkane ausbrach. Valyria befand sich damals auf dem Höhepunkt seiner Macht mit all den Drachen und der Magie, welche dort ausgeübt wurde. Quaithery kämpfte sich durch die alten Ruinen, ein großer Stock gab ihr den Halt, den sie brauchte. Plötzlich ertönte ein lautes Drachenknurren. Quaithery sah sich schreckhaft um und erblickte tiefer in den Ruinen einen großen Drachenkörper liegen, bedeckt mit Asche und Dreck. Die junge Schattenbinderin näherte sich der Kreatur, der Nebel verdeckte den Großteil des Körpers. Quaithery stöhnte leise, während sie sich über einen großen Trümmerhaufen quälte. Als sie einen weiteren Blick auf den Drachen warf, spiegelte sich ihr Körper in den violetten Augen des Drachen wieder. Eiskalt lief es Quaithery den Rücken hinunter, während sie das langsame, schwere Atmen des Drachen wahrnahm. Sie ging immer weiter, aber der Drache bewegte sich nicht, sondern sah sie stets an. Erst als sie ganz nah an ihm dran war, erkannte Quaithery, wie riesig diese Bestie wirklich war. Sie selbst kannte nur kleinere Drachen, war auch noch nie einem so nah gewesen. Doch die Größe dieses Wesens ließ Quaithery darauf schließen, dass es das alte Valyria in seiner vollen Pracht noch gesehen haben muss. Ein lautes Stöhnen entglitt dem Drachen, sodass Quaithery aufschreckte. Sie sah sich den Körper des Drachens genauer an und erkannte sehr viele, tiefe Verletzungen, wohlmöglich die Folgen eines Kampfes. Der Blick des Drachens ruhte weiterhin auf Quaithery, sie entdeckte ein Flehen in seinen Augen. Quaithery zögerte nicht lange und kniete sich vor den Drachen auf den Boden. Sie stellte Kerzen um sich herum, welche sie zuvor aus ihrer Tasche heraus geholt hatte. Während sie die Lichter mit Bedacht entzündete, fing sie an, ein Lied auf valyrisch dabei zu singen.

"Weh euch, weh euch, das Drachenblut naht. Zum Licht ward das Dunkel, es lebt die Legende. Fürwahr, fürwahr, das Drachenblut ist da."

Der Wind trug ihre Worte durch die Ruinen von Valyria. Als sie ihre Hände langsam auf den Körper des Drachen legte, atmete sie kurz ein. Quaitherys Blick traf den des Drachens, während sie das Lied weiter sang.

Das letzte Wort ward gesungen, als Quaithery spürte, wie die Geburt ihres Kindes einsetzte. Verzweifelt sah sie den Drachen an, jedoch waren seine Augen geschlossen. Sie bemerkte, dass er nicht mehr atmete und ließ den Kopf sinken. Quaitherys Schreien hallte bis zu den Bergen um Valyria herum, gefolgt von einem Babyschrei. Die Geburt war schnell aber schmerzhaft. Quaithery riss Stoff von ihrem Kleid ab und umwickelte das Baby damit. Behutsam hielt sie es in den Händen und betrachtete es eine Weile. Ihr fielen direkt die violetten Augen auf, jedoch spürte sie nichts - nur, dass ihre Magie immer schwächer wurde. Eine Träne lief Quaithery die Wange herunter, als sie merkte, dass sie nichts fühlte außer Verlust.

Quaithery eilte nach der Geburt so schnell, wie sie konnte zur nächsten Stadt.

Volantis.

Dort drängelte sie sich an den Menschen vorbei, quer über den belebten Markt, durch die bunten Gassen, tief in die Stadt hinein. Das quängelnde Babygeschrei nahm sie gar nicht wahr, sie lief wie in Trance umher, als ob ihr Körper wusste, was ihr Verstand suchte.

"Quaithery", flüsterte eine junge Frauenstimme und riss Quaithery aus ihrer Trance. "Was machst du hier?" Quaithery drehte sich um und erkannte, dass sie vor dem großen Palast stand, wo die alten Drachenherren aus Valyria wohnten, nachdem sie Volantis errichtet hatten. "Bitte kümmer dich um sie." Die junge Frau nahm das Neugeborene entgegen und betrachtete es. "Was ist mit ihr?" Quaithery stöhnte leise vor Schmerzen. "Der Drachengeist ruht in ihr, sie ist etwas Besonderes. Bring sie zu Lord Mellarys." "Ich verstehe", nickte die junge Frau und ging mit dem Baby zum großen Gebäude. Bevor sie hineintrat, drehte sie sich erneut um und fragte, "Wie heißt sie?"

"Visenya."




Die Kinder der SchattenWhere stories live. Discover now