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Greg und Mycroft standen nun endlich gemeinsam vor seinem Grab. Der Inspektor hatte ihn immer mal wieder gefragt, doch sein Freund konnte sich zwei Wochen lang nicht dazu überwinden, zum Grab von Tom West zu gehen.

Es hatte etwas gedauert, Mycroft hatte Zeit gebraucht, brauchte für vieles auch jetzt noch Zeit. Eine neue Sekretärin hatte er sich zum Beispiel noch nicht suchen wollen.

Es regnete und Greg hielt Mycrofts Schirm über sie beide. Das braune Laub unter ihren Füßen häufte sich und die ersten Schichten fingen bereits an zu verdorren.

„Der Tod ist schon etwas Merkwürdiges", sagte Mycroft. „Jeder stirbt einmal. Jeder fürchtet oder respektiert diese Tatsache in gewisser Weise. Dabei sind es doch eigentlich die Angehörigen, die damit zu kämpfen haben."

Das war teils richtig, dachte Greg und erinnerte sich, dass Tom und seine Frau heute geheiratet hätten. Scheußliches Wetter dafür, aber sie hätten sich bestimmt nicht davon unterkriegen lassen... Es wäre sicherlich ein wunderschöner Tag geworden.

„Kommt darauf an, wie lange der Sterbeprozess dauert. Unter diesem Aspekt kann es auch eine Erlösung sein. Christen zum Beispiel glauben ja auch an ein Leben nach dem Tod", antwortete Greg.

„Das Christentum ist eine Wissenschaft für sich. Meiner Meinung nach kann man noch so intelligent oder gebildet sein, aber wir werden niemals herausfinden können, woher wir kommen. Immerhin ist der Urknall auch nur eine Idee von Stephen Hawking, das vergessen Menschen gerne. Denn solch ein Ereignis kann man mit den Mitteln der Wissenschaft nicht beweisen, da die Erschaffung von Leben nicht wiederholbar ist. Und von Zufällen halte ich persönlich ja nicht viel", philosophierte Mycroft und sah zum wolkenbehangenen Himmel hinauf.

„Wie sagt ihr doch so schön: Das Universum ist selten so faul?"

Mycroft schmunzelte.

„Es ist und bleibt eine Glaubensangelegenheit."

Das Rauschen des Regens dominierte ihr Schweigen, die Vögel hörte man kaum und sonst war niemand in der Nähe. Man hätte fast denken können, der Himmel weine über Mr. West und die Natur lege eine Schweigeminute für ihn ein...

Mycroft sah auf den Grabstein.

„Du wirst es mir zwar vielleicht nicht glauben... Aber mir gefällt die Vorstellung von so einem Himmelreich", gestand der Jüngere.

Greg drehte sich zu ihm.

„Tatsächlich?"

„Das habe ich noch nie jemandem erzählt. Es ist aus unserer Perspektive rational nicht zu erfassen. Aber wenn man täglich mit privatem und menschlichem Leid konfrontiert wird, ist die Idee von einem Ort ohne Schmerz und Tod, wo jeder glücklich sein kann, doch irgendwie anregend, findest du nicht?"

Eine Weile lang war es wieder still, dann griff Greg mit seiner freien Hand nach der von Mycroft.

„Mir gefällt die Vorstellung auch", murmelte er und stellte sich vor, wie Tom West gerade im Himmel sitzt und lächelnd auf seine Frau herunterblickte.

Über den Tod nachzudenken war heute gar nicht mehr so einfach, obwohl er doch so präsent ist. Durch Filme oder den Massen an Nachrichten wurde man ziemlich abgestumpft. Greg hatte in seinem Beruf mit dem Tod als Folge von Kriminalität zu tun. Es war immer bedrückend, doch es nahm ihn schon lange nicht mehr so mit, wie am Anfang seines Werdeganges...
Aber wenn es doch einmal die eigenen Liebsten betrifft, dann ist das noch einmal etwas ganz anderes...

„Gehen wir langsam?"

Das ließ Greg aus seinen Gedanken kommen. Er sah Mycroft an, der seine Arme vor der Brust verschränkt hatte. Der Inspektor musterte ihn grinsend.

„Warum? Ist dir kalt? Ich habe dir doch gesagt, dass dein Jackett nicht reichen wird."

Sie gingen Hand in Hand den Weg entlang, hinaus aus dem Friedhof... Und ließen dabei den Blumenstrauß, welchen sie mitgebracht haben, an Tom Wests Grab liegen.

So nahbar der Tod und das Sterben auch sein kann... Egal, an was oder wem es liegt... Was auch immer die Folgen sein mögen... Der Tod zwingt einen immer in die Knie... Aufstehen erfordert immer viel Kraft und es hilft, jemanden an seiner Seite zu wissen, der einen unterstützt...

Als sie am Eingangstor ankamen, blieb Greg noch einmal kurz stehen. Mycroft stoppte ebenfalls und sah ihn an.

„Ist noch etwas?", fragte er. Der Kleinere erwiderte seinen Blick und drückte seine Hand.

Greg wollte so viel sagen. Er war dankbar, dass er Mycroft näher kennenlernen durfte. Wie glücklich er war, dass er ihn an seiner Seite wissen konnte. Dass er ihn niemals mehr aus seinem Leben streichen wollte. Dass er, trotz schwerer Tage, seine Nähe immer genoss... Und noch so viel mehr...

„Ich liebe dich, Mycroft."

Er sagte es oft zu ihm. Immer mindestens einmal, wenn sie sich sahen. Und wenn das nicht der Fall war, schrieb er es ihm. Und jedes Mal machte das Mycroft so unendlich glücklich. Nicht nur, weil sein Herz dabei anfing zu hüpfen, sondern vielmehr weil er wissen konnte, dass er es ernst meinte. Dass Greg ihn nicht anlog...

„Ich liebe dich auch, Greg."

Er beugte sich zu ihm und gab dem Inspektor einen Kuss... und schmunzelte, da er für Greg den Schirm gerade halten musste...

ENDE

Nicht so stark - Mystrade FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt