11. Mai 2058, 05.03 Uhr

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Ein Geräusch hatte ihn geweckt. An sich war das nicht wirklich verwunderlich, schließlich hatte Kieran, soweit er sich erinnern konnte, schon immer einen leichten Schlaf gehabt, um potenzielle Gefahren frühzeitig zu erkennen und handeln zu können.

Normalerweise hätte ihn dieses Geräusch, dieses leise Klicken aus Richtung der Haustür, nicht weiter gestört. Die Tatsache, dass es jedoch erst kurz nach fünf Uhr am Morgen war, ließ ihn seine Farben an die Dunkelheit anpassen. Glücklicherweise funktionierte das auch, denn er hatte vor kurzem festgestellt, dass seine Fähigkeiten nicht mehr so wollten, wie er. Im ersten Moment hatte ihn das entsetzt, ehe er begriff, dass bloß sein Farbwechsel betroffen war. Und so nützlich dieser auch war, auf ihn konnte er noch am ehesten verzichten. Kieran hatte einmal gehört, dass Menschen krank werden konnten. Er selbst hatte so etwas bei sich noch nie festgestellt, dennoch ging er davon aus, dass es sich bei dem Kontrollverlust seines Farbwechsels um eine Krankheit handeln konnte. Grundsätzlich verschwanden Krankheiten nach einiger Zeit und so hoffte er, dass das auch bei ihm der Fall war.

Das Chamäleon fand es nämlich nicht sonderlich gut, dass er keine Kontrolle mehr darüber hatte. Gestern Mittag hatte sein Farbwechsel entschieden, sich selbstständig machen zu wollen, sodass er plötzlich von oben bis unten in blau im Wohnzimmer gestanden hatte. Ein wenig später war er gelb und noch ein wenig später rosa gewesen. Und anstatt auffällig zu sein, zog er es vor, ungesehen zu bleiben.

Daher konnte Kieran nur hoffen, dass seine Fähigkeit ihn nicht auch jetzt im Stich ließ, während sich ganz offensichtlich jemand daran gemacht hatte, ins Haus einzubrechen. Sein erster Gedanke waren die Elitesoldaten gewesen. Doch schnell hatte er ihn abgeschüttelt. Sollte Flavio wirklich hier sein, hätte er ihn nicht gehört. Ebenso wenig die anderen.

Geräuschlos hatte das Chamäleon sich vom Teppich erhoben, auf dem die Severos ihm gestatteten, zu schlafen und hatte sich an die Wand gepresst. Mit der Dunkelheit war er verschmolzen. Auf keinen Fall würde er überstürzt handeln. Das konnte er sich nicht leisten. Sein aufgeregt klopfendes Herz zwang er, sich zu beruhigen. Aufmerksam schweiften seine dunklen Augen über das Wohnzimmer, das trotz seiner Größe, nur spärlich eingerichtet war. Es gab keine Dekorationen, einfach nur die notwenigen Möbel.

Vom Flur aus vernahm er leise, fremde Stimmen. Jedoch handelte es sich dem Anschein nach nur um zwei Personen. Ob Mensch oder Mutant konnte Kieran noch nicht sagen. Dennoch blieb er ruhig und bewegungslos. Er kannte ihre Absichten nicht. Allerdings vermutete er, dass es sich bei den Einbrechern entweder um Diebe oder um Jäger handelte. Mit beiden würde er fertig werden. Obwohl ihn die Möglichkeit, dass es sich um Jäger handeln könnte, leicht beunruhigte. Seit er hier war, waren noch nie Jäger in dieser Straße gewesen. Wegen ihm schon gar nicht.

Soweit er wusste, handelte es sich bei den Jägern um unabhängige Gruppen, die weder der Regierung noch Ambrosia unterstanden. Die meisten Jägergruppen hatten auch nichts mit den anderen Jägern zutun. Dennoch hatten sie von Ambrosia einige Notizen zu gefährlichen Mutanten erhalten. Dass die Jäger auch etwas über ihn hatten, bezweifelte er.

Kieran gehörte zu den ersten neununddreißig Mutanten, die von den restlichen Mutanten getrennt gelebt hatten. An den ersten Mutanten wurden die allerersten Experimente an Kindern und auch Jugendlichen gewagt, wobei sich herausstellte, dass sie bei Kindern deutlich besser anschlugen, wobei sich Kinder einem fremden Willen deutlich leichter unterordnen ließen als Jugendliche.

An die Informationen über die Mutanten aus dem Ambrosia Institut gelangten Außenstehende deutlich schwerer, als an Informationen aus den Ambrosia Laboren, in denen alle anderen Mutanten gewesen waren. Die Jäger wussten nichts über ihn. Außerdem hielt er sich sehr bedeckt. Selbst die Mutanten, die nebenan lebten, hatten ihn noch nie zu Gesicht bekommen.

Entstehungsgeschichte einer BestieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt