27. November 2055

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Es grenzte beinahe schon an Unverschämtheit, wie leicht es gewesen war. Kieran hatte sich informiert. Auf den Straßen Londons hatte er weggeworfene Zeitungen überflogen und einem unachtsamen Menschen hatte er eine seltsame durchsichtige Platte entwendet, ähnlich der, auf der Doktor Benton ihm die Bilder seiner Familie gezeigt hatte. Allerdings war diese deutlich kleiner.

Am längsten hatte er gebraucht, mit der Platte zurechtzukommen. Diese war nämlich nicht nur dafür da, um Bilder zu zeigen. Stattdessen enthielt sie jede beliebige Information, wenn man nur wusste, wie man sie abrief.

Erneut war die Flamme seines Hasses und seiner Wut in die Höhe geschossen, als er erfahren hatte, dass man Mutanten tatsächlich in Auktionshäusern ersteigern oder auf „Haushaltshilfen"-Märkten erworben werden konnten. Dabei war beides nichts anderes als ein Sklavenmarkt.

Manchmal riefen auf bestimmten Seiten innerhalb der Scheibe verschiedene Stadtverwaltungen die Leute auf, einen Mutanten aufzunehmen, wenn sie einen ohne Erlaubnisschreiben herumstreifend aufgegriffen hatte.

Da die alten Menschen, bei denen Kieran untertauchen wollte, jedoch so gut wie gar nicht das Haus verließen, würde er auf diese Weise niemals an sie herankommen. Darum hatte er sich etwas anderes überlegt. Mithilfe der Scheibe war er über Gewinnspiele und Verlosungen gestolpert sowie auf die Seite der Regierung gestoßen.

Anscheinend behauptete diese, ihre Bürger zu unterstützen und es gab etwas, das sich „Sozialhilfen" nannte. Wirklich konnte Kieran sich nichts unter diesem Begriff vorstellen, doch er hatte seine eigene grobe Interpretation.

Er hatte vorgefertigte Schreiben gefunden, an denen er sich orientiert hatte. Mithilfe des durchsichtigen Geräts war er dazu in der Lage, einen offiziell aussehenden Brief zu verfassen, den er dann bloß noch von der Platte auf Papier bekommen musste. Aber auch dabei war das Gerät ihm eine Hilfe und es lotste ihn zu irgendeinem Geschäft, das „ausdrucken" konnte. Da er kein Geld besaß, war er nachts eingebrochen, hatte sein Schreiben ausgedruckt, in einen weißen Umschlag gesteckt und anschließend eine Briefmarke draufkleben müssen.

Schnell fand er auch heraus, wie man eine Adresse aufzuschreiben hatte, die er auf den Umschlag druckte. Als alles vorbereitet war, kehrte er zu dem Haus zurück und warf den Brief in einen Kasten am Zaun ein. Nun hieß es nur noch abwarten.

In seinem Schreiben hatte Kieran sich als Verwaltungsangestellter der Regierung ausgegeben und behauptet, dass den Severos (wie das alte Ehepaar hieß) ein Mutant zur Seite gestellt werden würde, um ihnen unter die Arme zu greifen. Es wären Daten ausgewertet worden und die Entscheidung sei auf die Severos gefallen, weshalb die diese „Sozialhilfe" erhalten würden.

Abschließend hatte er vermerkt, dass diese „Sozialhilfe" am 27. November 2055 eintreffen würde.

Alles hatte genauso funktionier, wie geplant. Als er am Morgen des 27. Novembers vor dem abgeschlossenen Zaun der Severos gestanden hatte, waren diese zwar nicht begeistert gewesen, doch sie hatten ihn hereingelassen. Schnell hatte sich ihm bestätigt, dass die Severos wirklich ätzende Menschen waren, doch mit ihnen würde er klarkommen. Die meiste Zeit über würde er ihnen gar nicht begegnen. Es sei denn, sie hätten einen Befehl für ihn.

Aber Kieran würde ruhig bleiben. So gerne er diesen widerlichen selbstgefälligen Leuten auch die Köpfe abreißen wollte, bis das Blut nur so spritzte. Eines Tages würde er das vielleicht auch tun. Doch jetzt musste er sich im Hintergrund halten. Durfte nicht auffallen.

Er würde warten. Warten, bis die Zeit reif war, sich zu erheben. 

Entstehungsgeschichte einer BestieWhere stories live. Discover now