14. Februar 2043

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Weiß. Die Wände waren weiß. Alles war weiß. Sein Bett, die Decke, der Boden. Selbst er trug weiß. Er hasste weiß. Ihm war kalt. So kalt. Doch er wagte es nicht, sich in seiner weißen Bettdecke einzuwickeln. Sonst würde er nichts tun können, wenn sie ihn wieder mitnehmen wollten. Immer wieder zuckte Kierans Blick ängstlich zu der einzigen Tür in diesem Raum. Es gab keine Fenster. Nur diese eine Tür.

Sein Gesicht fühlte sich geschwollen an. Er hatte so viel geweint. So viel, dass er jetzt keine einzige Träne mehr übrig hatte. Er war leer. So oft hatte er nach seiner Mutter gerufen. Nach seinem Vater. Hatte geschrien und um sich geschlagen, bis er ganz heiser und kraftlos war. Doch es hatte niemanden interessiert. Die Männer und Frauen in den weißen Kitteln hatten ihn bloß nur wieder zum Schweigen gebracht. Und es tat höllisch weh. Seine Eltern hatten ihn niemals geschlagen. Sie hatten ihn immer zum Lachen gebracht. Er wollte nach Hause. So unbedingt nach Hause. Aber sie ließen ihn nicht.

Ohne ein Geräusch von sich zu geben, schwang die Tür auf. Kieran lief es eiskalt den Rücken hinab. Er versteifte sich, zitterte. Sein Puls raste. Nein! Er wollte nicht! Er wollte nach Hause! Er wollte das hier nicht! Eine grinsende Frau trat in sein Zimmer, das bis auf das Bett leer war. Ihren weißen Kittel hatte sie zugeknöpft und darunter trug sie eine weiße Hose und weiße Schuhe. Nur ihr Haar war so dunkelbraun, dass es beinahe schwarz wirkte.

„Hallo Neununddreißig." Professor Kim nannte ihn niemals bei seinem Namen. Kieran presste sich an die Wand hinter ihm. Wenn er sich nur fest genug daran presste, würde er vielleicht eins mit der Wand werden. Und dann könnte sie ihn nicht mehr mitnehmen.

Hinter ihr trat ein hagerer Mann durch die Tür. Zwar trug auch er einen weißen Kittel, doch er war kein Professor. Sein Name war Mister Kim und er war Professor Kims Ehemann und Assistent. Als Kieran in seiner Hand die Handschellen erblickte, brachen unter ihm die Beine weg. Keuchend und schwitzend stützte er sich auf seine Hände. Er zitterte so stark, dass der Boden eigentlich mit ihm zittern müsste. Und dann würde er die beiden umwerfen, sodass Kieran fliehen konnte. Natürlich geschah das nicht. Mit bestimmten Schritten ging Mr. Kim auf ihn zu, packte ihn grob am Arm, sodass Kieran vor Schmerz aufschrie und drehte ihm den Arm auf den Rücken. Dann den anderen. Und mit einem Klicken konnte er seine Arme nicht mehr von seinem Rücken nehmen.

Wortlos riss der Assistent Kieran an den Handschellen vom Boden und zerrte ihn aus dem Zimmer. Noch immer lag ein Grinsen auf Professor Kims Lippen, als sie ihnen wortlos folgte. Sobald sie Kierans Zimmer verließen, gelangten sie in einen weitaus größeren Raum, in dem allerhand merkwürdige Sachen zu finden waren. Große und kleine Maschinen, Dinge, die ständig piepten, seltsam aussehende Gläser und unheimliche Flüssigkeiten. Doch das alles sah Kieran nicht mehr. Er hatte nur Augen für die weiße, harte Liege, auf die sie ihn wieder einmal fesseln wollten.

Obwohl er geglaubt hatte, keine Tränen mehr zu haben, weinte er. Strampelte mit seinen Beinen. Doch Mr. Kim ließ sich davon nicht aufhalten. Er versetzte Kieran bloß einen Tritt in den Hintern, sodass er es nicht mehr wagte, sich zu rühren. Stumm rannen die Tränen über sein dunkles Gesicht. Er traute sich nicht mehr, nach seinen Eltern zu rufen. Sie waren nicht hier. Sie konnten ihm nicht helfen. Aber wo waren sie? Weshalb hatten sie zugelassen, dass man ihn hier her gebracht hatte? Weshalb ließen sie zu, dass man ihm das antat? Und warum besuchten sie ihn nicht? Er wollte doch nur nach Hause.

Sobald sie bei der Liege angelangt waren, löste Mr. Kim die Handschellen und presste Kieran auf die Liege. Zügig fesselte er den kleinen Jungen an das Möbelstück. Kierans Handgelenke waren bereits wund gescheuert. Immer und immer wieder hatte er versucht, hiervon loszukommen. Stattdessen hatte er sich bloß Schmerzen eingehandelt. Hier gab es nichts als Schmerz.

„Sehr gut.", sagte nun Professor Kim und ihr Mann trat schweigend zur Seite. Das leise Klacken ihrer Absätze jagte Kieran eine höllische Angst ein. Sein Atem ging nur noch stoßweise. Ihm war heiß und kalt zugleich. Schweiß lief ihm von der Stirn in die Augen. „Gib mir die Spritze. Ich werde ihm noch einmal Blut abnehmen. Wir müssen ganz sicher sein, dass er stabil ist und die Prozedur aushalten wird. Allein gestern haben wir fünf Kinder verloren. Das ist nicht akzeptabel."

Noch immer schweigend reichte Mr. Kim ihr eine Spritze. Hektisch huschten Kierans Augen hin und her. Sie wollten einfach nicht stillstehen. Obwohl er bereits aufgegeben hatte, suchten sie noch immer nach einem Ausweg. Ohne die Stelle zu betäuben, stach Professor Kim mit der Spritze in sein weiches Fleisch. Ein Schrei entfloh Kierans Kehle. Wimmernd flossen die Tränen über seine Wangen, vermischten sich mit seinem Schweiß.

„Bring das zu Doktor Garcia.", sagte Professor Kim, die Kierans Blut in eines der seltsamen schmalen Gläser spritzte und es verschloss. Mr. Kim nickte, nahm das Glas, das Kierans Lebenssaft enthielt an sich und verließ den Raum.

Sie wandte sich an Kieran. „Für heute bist du fertig." Unsanft löste sie seine Fesseln, packte ihn am Oberarm und zerrte ihn von der Liege. Handschellen legte sie ihm keine an. Ohne große Worte schubste sie ihn wieder in sein Zimmer und verriegelte die Tür. Wie ein Häufchen Elend hockte Kieran auf dem weißen Boden in seiner weißen Zelle und weinte still.

Entstehungsgeschichte einer BestieWhere stories live. Discover now