EINS

2.2K 120 20
                                    

Wie fühlt es sich an, zurück zukehren an einen Ort, der so viele schmerzliche Erinnerungen birgt? Welche Gedanken, umschwirren den Geist, während man versucht diese Erinnerungen zu verdrängen? Erinnerungen, welche sich wie ein Parrasit in den Kopf einnisten und nie wieder loslassen werden. Wie lebt man weiter, nachdem einem alles genommen wurde? Nachdem das Herz starb, doch der Körper weiterlebte.

Die laute Musik meiner Kopfhörer übertönten die aufgeweckten Stimmen der anderen Schüler. Sie fielen einander in die Arme, lachten und tratschten. Das neue Schuljahr begann und sie kehrten zurück in ihren gewohnten Alltag. Sie trafen sich wieder, nach einem erholsamen und höchstwahrscheinlich atemberaubenden Sommer. Anders, als meiner.
Es war seltsam wieder auf dem Parkplatz vor der Hawkins High School zu stehen, denn dieses Mal war ich alleine. Zum aller ersten Mal alleine. Doch meine Therapeutin war der festen Überzeugung, es wäre nun endlich an der Zeit mich zu Resozialisieren. So gesagt, sie wollte das ich mein altes Leben wieder aufnahm und ein neues Leben daraus schuf. Als wäre all das vergangene vergessen, nach einem Jahr. Nach einem Jahr voller Einsamkeit, Schmerz und Leid. Nach einem Jahr. Zwölf Monaten. Dreihunderfünfundsechzig Tage. Als wäre so etwas jemals möglich.
Mein Blick ruhte auf den noch leeren Parkplätzen und es war ein bestimmtes schwarzes Auto, welches fehlte. Genau dieses Auto, würde nicht erscheinen, selbst wenn ich Jahrzehnte an der selben Stelle festwachsen würde. Genauso wie Billy nicht wieder erscheinen würde. Der Gedanke an seinen Namen, an sein Gesicht und ihn trieb mir Tränen in die Augen. Jeden Tag war es genau dieser Parkplatz gewesen, auf welchem wir parkten nachdem er mich Zuhause eingesammelt hatte. Die kurzen Fahrten in die Schule hatten sich für immer in mein Gedächtnis gebrannt. Ich zappte durch die verschiedenen Radiosender und sang lachend mit während Billy seinen Arm aus dem Fenster streckte und genüsslich an einer Zigarette zog. Er sah mich zufrieden an und sah unsere gemeinsame Zukunft in jedem meiner Atemzüge. Doch diese Zukunft wurde uns genommen und gesellte sich zu den verbleibenden Erinnerungen und Träumen in meinem Kopf. Ich drehte die Musik lauter und zog den Ärmel meiner Sweatshirtjacke über meine Hand damit ich die Tränen von meiner Wange wischen konnte. Doch es war ein Hupen, welches sich durch die Stimme meiner Kopfhörer drängte. Erschrocken drehte ich mich um und blickte in die Scheinwerfer eines roten Autos. Mein Blick wanderte zu dem dazugehörigen Fahrer und ich sah die Verwunderung in seinen Augen. Es war genau diese Verwunderung, welche ich ihm nicht übel nahm. Jeder hier in Hawkins wusste wer Billy war, wer ich war und was angeblich geschehen war. Doch niemand wusste wie es sich anfühlte. Niemand kannte die Wahrheit und niemand würde sie jemals erfahren. Niemand würde jemals erfahren, das es Billy war der mein Leben rettete und niemand wusste, dass ich diejenige hätte sein müssen, die sterben sollte. Nicht er. Sofort spürte ich ein stechendes Ziehen an meinem linken Knöchel. Doch die Narben verdeckte ich. Genauso wie ich versuchte die Erinnerungen an diesen Moment, tief in meinem Gedächtnis zu verstecken.

Ich nickte entschuldigend bevor ich tief durchatmete und auf die Schule zulief. Nervös zupfte ich an dem Saum meiner Jacke und hielt meinen Blick gesenkt. Der Lack meiner Biker Boots war an manchen Stellen bereits ausgeblichen und die meisten Menschen würden sich einfach ein neues Paar kaufen. Aber für mich erzählte jeder Kratzer, jede hellere Stelle eine Gesichte, von einem lang vergangenen Abenteuer. Ich lief über den großen Vorplatz der Schule und spürte wie mein Herz schneller schlug, denn ich wusste was mich erwarten würde. Mitleidige Blicke, trauernde Worte und Gespräche mit Menschen die nur an weitere Informationen wollten, als das sie es wirklich ernst meinen würden. Jeder wollte meine Seite der Gesichte hören, denn seine Seite würde niemand mehr hören können. Die Menschen waren nur daran interessiert sich am Leid anderer zurückzuführen, wie gut es ihnen eigentlich ging. Seit dem Vorfall hatte ich nicht wirklich mit anderen Menschen gesprochen, abgesehen von meiner Therapeutin und Billys kleiner Schwester Max. Sie verstand meine Trauer, verstand was es bedeutet jemanden zu verlieren, den man mit jeder Faser seines Herzens liebt. Ich spürte wie sich Tränen in meinen Augen sammelten und meine Handflächen zu schwitzen bekannen. Es war diese Schule, dieser Ort und diese Stadt, welche mich für immer verfolgen würde. Jedes Fleckchen Erde, verbarg eine unerzählte Geschichte. Geschichten voller Liebe und Freude und Geschichten voller Trauer und Schmerz. Ich biss mir auf die Unterlippe und schmeckte einen metalischen Geschmack in meinem Mund als ich immer wieder den Grund durchging weshalb ich nun hier stand und ich nicht weiter in meinem Trailer verkümmerte.

Billy, würde nicht wollen das du aufgibst. Er würde nicht wollen das du leidest. Billy verliebte sich in dein Lächeln, also sorge dafür, dass er es von oben bewundern kann.

Die Worte seiner Schwester jagten wie ein Flummi durch meinen Kopf und erinnerten mich daran, weshalb ich nun hier stand. Jemand hielt mir die Tür auf und ich spürte wie sich sämtliche Blicke des Flures auf mich richteten. Trotz meiner laut aufgedrehten Musik entgingen mir ihre durcheinander schwirrenden Stimmen nicht.

"Was tut sie hier?"
"Ist sie wieder zurück?"
"Sie ist doch die Freundin des ermordeten Jungen?"
"Sie tut mir so leid."
"Wie es ihr gehen muss?"
"Was sie wohl durchgemacht hat?"

Das Getuschel verschwamm im Klang der Melodien. Doch nach all den Monaten war ich diese Sätze vollkommen gewohnt. Nur an die Erinnerungen, würde ich mich wohl nie gewöhnen. Auch nicht nach fast einem Jahr.

HELLFIRE || Eddie Munson FanfiktionWhere stories live. Discover now