~two~

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Harrys Sicht:

21. Dezember 2019

Ich hatte raus gemusst. Obwohl ich Urlaub hatte, klingelte eigentlich fast ununterbrochen das Telefon. Es war echt zum verrückt werden! Mein Manager Jeffrey Azoff hatte mir selbst gesagt, dass ich über die Feiertage frei hatte. Und jetzt wollte er von mir, dass ich heute Abend meine neue Single bei einem Interview mit meinem Kumpel James Corden rausbrachte. Dabei war der Termin ursprünglich für den ersten Januar gedacht gewesen. Jedenfalls durfte ich jetzt heute Abend zum Studio gurken, unangenehme Fragen beantworten und seltsame Spiele spielen, anstatt zu Hause in meiner Wohnung mit einer Decke und einem Tee auf dem Sofa zu sitzen und einen Weihnachtsfilm zu sehen. Toller Kompromiss.

Ich hatte einfach aufgelegt, hatte meinen IPod und Kopfhörer eingesteckt und war Joggen gegangen. Dabei bekam ich immer den Kopf frei. Ohne darauf zu achten, wo ich überhaupt hinlief, rannte ich durch die Straßen Londons und erreichte irgendwann ein wirklich hübsches Viertel. Die Häuser waren modern aber nicht zu krass. Schöne, gepflegte Vorgärten, teure Autos in den Garagen der meisten Häuser und wunderschöne, alte Straßenlaternen, die um diese Uhrzeit noch nicht leuchteten.

Um mich zu dehnen und um Luft zu schnappen, blieb ich kurz stehen und hörte eine weiche Stimme leise singen. Ich nahm zog mir die Kopfhörer aus den Ohren und sah mich suchend um. Verwirrt hielt ich Ausschau und stockte, als ich herausfand, wer sang.

Durch das Fenster des Hauses, vor dem ich stand, sah ich eine junge Frau am Herd stehen und verträumt zu meinem Song Sign Of The Times singen. Sie fügte ihre Stimme als Duett hinzu. Es klang magisch, wie ich fand.

Eine ganze Weile blieb ich stehen und beobachtete sie. Sie hatte lange, nasse Haare und trug lediglich ein großes, blaues Hemd. Den Rücken hatte sie mir zugekehrt und lehnte an der Küchenzeile. Ich merkte nicht, wie es anfing, zu schneien. Innerhalb weniger Minuten konnte man kaum noch die Hand vor Augen sehen. Ich verzog das Gesicht vor Kälte und lief schnell durch den Vorgarten des Hauses. Gegen die Tür gepresst, klingelte ich wie ein Verrückter auf der Flucht.

Es dauerte nicht lange, bis sie mir öffnete und überrascht zu mir raufblickte. Ihre Augen waren von einem unnatürlich wirkenden Türkisblau und so intensiv, dass es mir kurz den Atem raubte. Erst, als eine eisige Windböe in den Flur fegte, kam ich wieder zur Besinnung.

   ,,Äh… hi“, sagte ich. Wow, super intelligent, Harry, dachte ich und ohrfeigte mich innerlich. ,,K-kann ich mich kurz hier unterstellen?“

Mindestens genauso verwirrt starrte sie zurück und schüttelte dann kurz den Kopf. Wollte sie etwa nicht, dass ich reinkam? Naja, verübeln konnte ich es ihr nicht. Schließlich kannte sie mich nicht. Doch ihre nächsten Worte ließen mich erleichtert aufatmen.

   ,,Klar, komm rein.“ Sie trat zur Seite und ließ mich rein. ,,Willst du einen Tee?“

Ich trat unbehaglich von einem Bein aufs andere, immer noch draußen vor der Tür stehend. Verdammt, warum wusste ich plötzlich nicht mehr, was ich sagen sollte? Warum machte mich ihre Gegenwart so nervös? Mehrmals öffnete ich den Mund, um etwas zu sagen, brachte aber keinen Ton raus. Also schüttelte ich bloß den Kopf.

   ,,Okay. Willst du dich setzen oder so?“

   ,,Gerne“, antwortete ich mit leiser Stimme. So nervös war ich lange nicht. Nicht mal vor meinem ersten Bühnenauftritt. Scheiße verdammte! Das kann doch nicht wahr sein!
Sie führte mich in die Küche, in der es lecker nach Gemüsepfanne und Toast roch.

   ,,Was machst du bei so einem Wetter da draußen?“, wollte sie wissen und setzte sich an den Platz am Tisch, wo bereits ein Teller mit Toast und gebratenem Gemüse stand.

   ,,Ich war Joggen“, murmelte ich und suchte meine Taschen nach meinem Handy ab. Erstens, um etwas zutun zu haben, und zweitens, um mir ein Taxi zu rufen.

Sie nickte. ,,Okay“, meinte sie und widmete sich ihrem Essen.

   ,,Darf ich... äh… dein Handy benutzen? I-ich glaube, ich habe meins vergessen“, fragte ich und kratzte mich im Nacken. Man, war das peinlich. Wer vergaß denn bitte sein Handy?

   ,,Klar, hier“, sagte sie und reichte mir ihr entsperrtes Telefon. Ich öffnete die Telefon-App und wählte die Nummer von einem der Taxiunternehmen. Während es wählte, sah ich nach draußen und erschrak. Man sah überhaupt nichts mehr. Alles weiß.

   ,,Sehr geehrter Kunde. Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir auf Grund der Wetterlage nicht im Stande sind, unsere Dienste anzubieten. Wir bitten um Ihr Verständnis“, ratterte die Tonbandansage runter. Ich legte auf und reichte ihr das Handy.

   ,,Sie fahren nicht. Es schneit zu stark“, sagte ich und deutete nach draußen. Sie runzelte die Stirn und verschluckte sich fast an ihrem Tee.

   ,,Ach du Scheiße!“, entfuhr es ihr. ,,Und wie willst du jetzt nach Hause kommen?“

Verzweifelt zuckte ich mit den Schultern. ,,Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht.“

   ,,Okay. Wenn es in der nächsten Stunde nicht besser wird, dann bleibst du einfach hier, bis sich das Wetter beruhigt hat“, schlug sie vor. ,,Ich bin übrigens Jocelyn. Oder Jo. Wie du willst.“

   ,,Das ist nett von dir. Vielen Dank. Ich bin… äh… Harry“, sagte ich und war ehrlich gesagte etwas verwundert, dass sie mich nicht kannte, schließlich war ich ein relativ erfolgreicher, bekannter Musiker würde ich mal so sagen.

   ,,Hallo, Harry, schön dich kennen zu lernen.“

   ,,Ganz meinerseits, Joey“, grinste ich. Jetzt, da ich ihren Namen kannte, fiel etwas der Nervosität von mir ab. Seltsam? Auf jeden Fall. ,,Darf ich dein Bad benutzen?“

   ,,Natürlich, was fragst du überhaupt. Im Flur weiter und dann zweite Tür links“, erklärte sie kichernd.

   ,,Danke.“

'Was fragst du überhaupt'. Hatte ich was falsches gesagt? Es war doch richtig, erst zu fragen, oder? Mein Gott, wie kann mich denn eine Frau so krass verunsichern?
Ich stand auf und folgte Joeys Wegbeschreibung und fand das Bad. Es war klein aber fein eingerichtet. Toilette, Waschbecken und ein kleiner Schrank.

Nachdem ich mich erleichterte hatte, ging ich wieder in die Küche. Joey stand an der Spüle und wusch ihr Geschirr ab. Moment, warum nenne ich sie Joey? Sie hat doch gesagt, Jocelyn oder Jo. Warum Joey?, ging es mir durch den Kopf. Weil du diesen Namen magst, du Depp, meldete sich plötzlich mein Unterbewusstsein zu Wort. Was wollte das denn jetzt von mir?

   ,,Willst du auch noch was? Ich habe eh genug gemacht“, bat sie mir an.

   ,,Danke, das ist nett von dir, aber ich will dir echt keine Umstände bereiten.“

   ,,Ach was. Ich hab doch gesagt, dass ich genug gemacht habe!“

Sie holte einen Teller aus dem Schrank, stellte ihn zusammen mit Besteck und einem Glas auf den Tisch und füllte mir dann etwas von dem Gemüse auf.

   ,,Bist du Vegetarierin?“, fragte ich bevor ich den ersten Happen aß. Etwas Small Talk half ja vielleicht, meine Unsicherheit zu verbergen… hoffte ich.

   ,,Nein, aber ich hatte keine Lust, lange irgendetwas zu kochen“, gab sie lachend zu und verschwand dann kurz aus der Küche.

Scheiße, je mehr ich sie reden hörte, desto krasser wurde ihre Wirkung auf mich. Ihre Stimme war so warm und weich, wie ich es noch nie gehört hatte. Sie wirkte so unschuldig, aber gleichzeitig schwang in ihr eine gewisse Erregung mit. Fast verzweifelt kämpfte ich gegen den Drang an, sie direkt hier auf dem Küchentresen durchzuvögeln. Verschwunden war die Unsicherheit.

If I Could Fly ~A H.S. Lovestory~Nơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ