2. Kapitel •

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Amara

Während mein Bewusstsein nur schleichend wieder an die Oberfläche tritt, spüre ich bereits , wie steif mein gesamter Körper mittlerweile geworden ist. Die Winterkälte ist mir bis tief in die Glieder gekrochen und es fühlt sich an, als würde sie versuchen, mich erbarmungslos zu sich in ein bodenloses Nichts zu ziehen. Doch ich kämpfe dagegen an. Und gewinne.

Bevor ich es endlich schaffe, meine vom Schlaf verkrusteten Augen gegen das mich blendende Tageslicht zu öffnen, fallen mir allerdings genau zwei Dinge auf. 

Erstens: Ich bin immer noch ein Wolf. Der dringend benötigte Schlaf hat mir also leider überhaupt kein bisschen dabei geholfen, zurück in meine menschliche Form zu gelangen.

Und zweitens: Ich höre laute Stimmen. Das heißt, jemand muss in meiner Nähe sein. Sogar gleich mehrere Personen, wird es mir bewusst, als es mir nach einer Weile gelingt, mich genauer auf die Geräusche um mich herum zu konzentrieren. Fuck.

Vielleicht sollte ich doch lieber erst mal weiterhin so tun, als würde ich noch schlafen, kommt es mir ober-schlau in den Sinn.

Deshalb halte ich meine Augen jetzt doch noch geschlossen und lausche neugierig der hitzigen Diskussion, welche anscheinend schon vor längerer Zeit zwischen den Unbekannten entfacht sein muss. Und sie sprechen eindeutig über mich.

War ja klar, dass ich es nicht mal 24 Stunden als Wolf überleben werde. Super gemacht, Amara!, lobe ich mich selbst ironisch.

"Verdammt, Bryce! Bist du jetzt völlig übergeschnappt?! Du weißt genauso gut wie ich, dass Mason uns den Hals umdrehen wird, wenn wir eine Fremde mit ins Lager bringen!", ertönt es aufgebracht von einer männlichen Stimme zu meiner Rechten. Seine Stimme ist, wie die eines jeden Werwolfs, sehr melodisch. Man behauptet der Grund dafür sei, dass die Gestaltwandler ihre Beute so besser in einen willigen Zustand versetzen können, sodass diese in ihrer Trance nichtsahnend auf ihre eigene Schlachtung zuschlendern.

Allerdings ist das sowieso nur eine uralte Legende und seit wir uns vor Jahrhunderten von den Menschen zurückgezogen haben und seitdem im Verborgenen vor der uns körperlich untergeordneten Spezies leben, hat sie meiner Meinung nach noch dazu an Bedeutung verloren.

Ich muss mich zusammenreißen, um nicht vor Schreck zusammenzuzucken und mich damit zu verraten, da mir erst jetzt bewusst wird, wie nah diese Leute mir in diesem Moment sind. Ich kann ihren gewöhnlichen Pulsschlag hören, was mir zeigt, dass sie sich keine darüber Sorgen machen, womöglich als Verlierer aus dieser Situation hervorzugehen. Sie müssen erfahrene Kämpfer sein, während ich nur eine Abtrünnige bin, die dem Wolfs-Dasein bis zu letzter Nacht abgeschworen hatte und dazu vermutlich nicht einmal die Kraft  besitzt, ihnen ordentliche Gegenwehr zu bieten.

Sie könnten mich auf der Stelle umbringen und ich hätte nicht ein mal die Chance, davonzulaufen. 

Konzentrier' dich. Was sie sagen könnte noch wichtig für dich werden.

"Siehst du nicht, dass es ihr schlecht geht? Sie ist kurz davor hier armselig zu krepieren!", schreit ein anderer Mann von links, wahrscheinlich dieser Bryce, anscheinend den zuvor Sprechenden an. Sein gefährlicher Unterton beschert mir sofort eine Gänsehaut und ich hoffe, dass man mir das in meiner tierischen Gestalt nicht ansehen kann.

"Und wen zur Hölle interessiert das bitte?! Vielleicht ist sie ein Spion und wir haben Glück, wenn sie es nicht mehr lebend hier wegschafft!"

"Jungs, Ruhe! Alle beide!", mischt sich unerwartet eine weibliche Stimme ein und die Streithähne verstummen auf ihren Befehl hin tatsächlich.

Ist das etwa die Anführerin? Eine Frau? Vielleicht ist meine Lage dann ja doch nicht ganz so aussichtslos, denke ich mir belustigt.

Dann erinnere ich mich allerdings wieder daran, dass sie zuvor einen Mason erwähnt hatten, vor dem sie sich offensichtlich fürchten.
Nein, dieser Mason muss ganz sicher ihr Anführer sein, berichtige ich mich deshalb.

"Es reicht mir jetzt mit eurem Gehabe!", fährt die Frau fort und ich muss mir eingestehen, dass sie mir jetzt schon sympathisch ist, so wie sie sich mit ihrer Honig-weichen Stimme mutig vor diesen Kerlen behauptet. Aber der erste Eindruck kann ja bekanntlich täuschen. "Wir nehmen sie mit. Wenn sie zu keinem Rudel gehört, wird Mason sie sicher bei uns aufnehmen. Und falls doch irgendwas mit ihr nicht stimmen sollte, wird er sie sowieso töten."

Wusste ich es doch, dass ich mich in ihr getäuscht habe, schießt es mir noch wehmütig durch den Kopf, bevor ich durch den Schreck vor meiner voraussichtlichen Hinrichtung ungeplant die Augen aufreiße.

"Na sieh' mal einer an, wer da auferstanden ist", lächelt mir eine junge Blondine entgegen.

Das hätte vielleicht der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden können. Wäre da nicht die winzige Tatsache, dass sie wahrscheinlich der Grund für meinen Tod sein wird. Und würde sie mich nicht, zusammen mit den Muskelprotzen zu ihren Seiten, welche ich instinktiv Dumm & Dämlich taufe, aus einer furchteinflößenden Fratze entgegenblicken. Zwar sind sie in Menschengestalt, doch ihr Wolfsgebiss ist ausgefahren und ihre Augen leuchten in mordlustigem Rot, sodass sie alles andere als freundlich wirken.

Rouges. Ich bin bereits tot.

Hektisch denke ich darüber nach, was ich tun soll und fasse einen Entschluss.

Ich werde nicht einfach hier liegen bleiben und auf meinen eigenen Tod warten.

Als ich mich jedoch aufrichten will, um mich irgendwie an der kleinen Gruppe vorbeizuzwängen und blitzschnell abzuhauen, bevor sie überhaupt realisieren was ich vorhabe, fängt die Welt auf einmal an zu schwanken. Mir wird schwarz vor Augen und ich höre nur noch ein frustriertes Fluchen von der Stimme, die ich instinktiv als diejenige von diesem Bryce identifiziere, bevor ich endgültig in Ohnmacht falle.

Amara & Mason ~ Alpha Der RudellosenWhere stories live. Discover now